transmediale: "Das Internet der Dinge gehört in die Hände der Nutzer"

Sollte der Zug in Richtung der komplett vernetzten Gerätewelt schon nicht mehr zu stoppen sein, müsse die Technik zumindest an den Bedürfnissen der Anwender ausgerichtet werden, sind sich Hacker, Entwickler und Cyperpunks einig.

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transmediale: Das Internet der Dinge gehört in die Hände der Nutzer

Bruce Sterling, Frank Rieger und David Cuartielles (v.l.n.r.)

(Bild: Stefan Krempl)

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Inhaltsverzeichnis

Das vielbeschworene Internet der Dinge werde derzeit vor allem entlang der Vorgaben großer Internetkonzerne wie Amazon, Apple, Facebook, Google oder Microsoft sowie von Bürokraten in den Schaltstellen der politischen Macht vorangetrieben, monierte Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC) am Sonntag auf dem Kunst- und Medienfestival Transmediale in Berlin. Es sei überfällig, die vernetzte Gerätewelt "an unseren Bedürfnissen auszurichten". Sie müsse "hackbar" sein, also offen sein für spielerische Veränderungen, und sich an den Bedürfnissen der Nutzer ausrichten.

Die kommenden Techniken bezeichnete Rieger als Werkzeuge, um Optimierungsziele zu erreichen. Daher müsse breit darüber debattiert werden, um welche Formen der "bestmöglichen Lösung" es gehen solle. Derzeit bestimmten die Bürokraten und die Unternehmen, wohin der Hase laufe. Dies seien aber genau die falschen Leute. Programmierer und Entwickler etwa setzten in der Regel nur das um, was ihnen gesagt werde. Dafür würden sie schließlich auch bezahlt.

Es herrsche laut Rieger die Denkweise vor, die Wirtschaft, aber auch das Selbst – siehe Wearables und Fitness-Tracker – müsse endlos optimiert werden. Dazu komme das Narrativ von Angst, Krise und Terror, demzufolge "alles überwacht werden muss". Diese Stränge würden so auch in der Technik nachgebildet, auch wenn ihnen längst nicht alle folgten. Das gängige Internet der Dinge stelle in diesem Sinne ein Experiment zur Cloud-gesteuerten Kontrolle der Gesellschaft dar.

Um mit Hilfe der Technik etwa Strom sparen zu können, sei es es aber gar nicht nötig, Haushaltsgeräte ans Internet zu hängen und einen "Smart Meter" als Großen Bruder im automatisierten Heim zu installieren. Es reiche aus, über ein schlichtes Display transparent zu machen, welche Geräte wie viel Strom verbrauchen. Derlei einfache Wege seien freilich nicht im Interesse der Industrie, die komplexe Produkte verkaufen und die abgesaugten Nutzerdaten am liebsten in Silos getrennt von Dritten halten wolle.

Für die Politik sieht Rieger in einem Gegenszenario eine gewisse Rolle. Sie könne etwa Regulierungsinstanzen im "öffentlichen Interesse" schaffen, um dem Hang zu Monopolen entgegenzuwirken, die Nutzer in ökonomischen Netzwerkstrukturen auszuspionieren. Denkbar sei auch ein Label, mit dem Firmen angeben müssten, wie lange sie für ein Gerät oder einen Dienst Vernetzungsmöglichkeiten sowie Security-Updates anbieten wollen. Sollten diese Zusicherungen nicht mehr eingehalten werden, müsse die gesamte zugehörige Infrastruktur quelloffen und für alle zugänglich werden, um sie in Eigenregie weiter betreiben und "Zombies" im Internet der Dinge verhindern zu können.

Die Open-Source-Werkzeuge für das vernetzte Heim nebst unterschiedlichsten Sensoren seien prinzipiell bereits vorhanden, ergänzte der Mitentwickler der offenen Steuerplattform Arduino, David Cuartielles. Es fehlten aber noch nutzerfreundliche Schnittstellen, die die Entscheidung erleichterten, welche Daten man mit Dritten teilen und welche man im eigenen Netz behalten wolle. Hier sei der Staat gefordert, eine Infrastruktur aufzubauen, die auch mit kritischen Fragen wie dem der Netzneutralität und der Verfügbarkeit umgehen können müsse. Dann sei es einfach, darauf intelligente Open-Source-Projekte in Bürgerhand aufzubauen, etwa um Luftverschmutzungs- oder Lärmpegel in Städten zu dokumentieren.

Eine Skizze des Haushaltsroboters für das Casa Jasmina

(Bild: Stefan Krempl)

Ein alternatives Musterhaus fürs Internet der Dinge möchte der Cyberpunk Bruce Sterling im Rahmen eines zweijährigen Forschungsprojekt mit der italienischen Maker- und Arduino-Gemeinde in Turin aufbauen. "Wir wollen nicht warten, bis uns die Firmen hier etwas verkaufen oder die Regierungen uns etwas vorschreiben", betonte der Science-Fiction-Autor. Die "Casa Jasmina", ein privater Lebensraum aus den 1920ern inmitten einer alten Fiat-Fabrik, solle daher zu einem Gegenmodell mit "Co-Working"-Räumen, 3D-Druckern und einem "neuen Industrieroboter in einem Sicherheitskäfig" werden.

"Das neue luxuriöse Leben wird in Hackerlabors geboren", ist sich Sterling mit Blick auf den Vorstoß sicher. Es gehe darum, die klassische italienische Handwerkskunst auf Open Source umzustellen und in die digitale Welt zu übertragen gemäß dem Motto "Make in Italy". Ein kleiner Spielzeug-Haushaltsroboter solle genauso dazu gehören wie ein großer quelloffener Plotter, mit dem Internetkunst für die Wände der früheren Industriellenvilla erstellt werden kann. "Gezähmte Street Art" solle daraus unter Mithilfe der Internetgemeinde hervorquellen, ganz langsam und garantiert ohne Facebook-Profil.

Ob das ausreiche, um den Hunger in der Welt zu stillen oder Probleme wie die Waffenkontrolle oder Terrorismus in den Griff zu bekommen, wollten Vernetzungsskeptiker aus dem Publikum wissen. Technik sei nicht die Lösung für alles, waren sich die Vortragenden einig. "Man kann nicht alle Formen des Bösen gleichzeitig bekämpfen", konstatierte Sterling. "Wählt Eure Schlachten." Alles andere sei eine Illusion, von der man sich verabschieden müsse. (mho)