Big Brother Awards 2015: Im Westen nichts Neues

Zur Stunde werden in Bielefeld die Big Brother Awards verliehen. Neben deutschen Ministerien und Geheimdiensten sind diesmal auch Preisträger US-amerikanischer Prägung dabei, für die das Wort Datenschutz ein Fremdwort ist.

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Big Brother Awards 2015: Im Westen nichts Neues

(Bild: bigbrotherawards.de)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
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Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich, sein Nachfolger Thomas de Maizière, Gesundheitsminister Hermann Gröhe und der Bundesnachrichtendienst (BND) zeigen, dass Deutschlands Regierung und seine Dienste Spitze sind, wenn das viel gepriesene "hohe deutsche Datenschutzniveau" verwässert wird. Mit Amazon und Mattel sowie US-amerikanisch dominierten Job-Plattformen haben sich weitere Preisträger eingefunden oder auch nicht: Ob Vertreter der Preisträger anno 2015 in Bielefeld erscheinen und ihren Preis entgegennehmen, zeigt sich live vor Ort.

Die Berichte und Proteste zur sprach-"verstehenden" Puppe "Hello Barbie" haben den Spielzeug-Konzern Mattel und seinen Technik-Partner Toytalk so verschreckt, dass das Püppchen vorerst nicht in Europa angeboten wird. Europas Kinder können so keine "besondere Beziehung" zu ihrem Spielzeug aufbauen und bleiben in ihrer Entwicklung weiter zurück. Da haben es die Alten besser mit ihren Pflegerobben, wenn die Familie zahlt.

Als Vorreiter für weitere Beziehungshelfer gibt es für Mattel und Toytalk dennoch einen Big Brother Award in der Kategorie Technik, weil eine "datenschutzrechtlich äußerst fragwürdige Technik ohne erkennbaren sinnvollen Anwendungszweck" ins Kinderzimmer wandert. Dabei wendet sich die Jury nicht gegen die Spracherkennung als solche, die wirklich nützlich ist: "Wir können beim Autofahren SMS schreiben, ohne kleine Kinder zu überfahren."

Im Zuge des NSA-Skandals hat sich der BND eine gewisse Berühmtheit erarbeitet. Besonders die höchst unredliche Operation Eikonal, mit der Daten an die NSA geliefert wurden, sorgte für Aufregung und eine Debatte, wie es um die Kontrolle der Geheimdienste bestellt ist. Zudem wurde bekannt, dass der Auslandsdienst ausgebaut werden soll, um Cyber-Gefahren abzuwehren und mit Zero Day-Exploits handeln will. Preiswürdig auch der Versuch, eine Weltraumtheorie zu basteln, nach der das All nachrichtentechnisch ein Kellerspeicher ist.

Dass der BND, in persona vertreten durch seinen Präsidenten Gerhard Schindler (FDP) den Big Brother Award 2015 in der Kategorie Behörden bekommt, dürfte niemanden überraschen. Die Arbeit des Auslandsdienstes würdigt der Laudator Rolf Gössner, der über 30 Jahre lang vom Verfassungsschutz, dem Inlandsdienst beobachtet wurde. Sein Glückwunsch ist verbunden mit einem lauten "Petri Heil" an die BNDler, deren neue Berliner Zentrale mit einer "originellen Geheimdienstoperation" unter Wasser gesetzt wurde. Das Ganze begleitet von dem aufrichtigen Wunsch, dass kein BND-Mitarbeiter in Datenfluten ertrinken muss.

Mit Amazons Web Service Mechanical Turk und Elance-O-Desk bekommen gleich zwei Firmen den Datenkraken-Preis in der Kategorie Wirtschaft, die höchst unterschiedliche Jobs vermitteln. So ist der Mechanical Turk vor allem auf US-amerikanische und indische Programmierer ausgerichtet, die sich entweder ein Zubrot verdienen (USA) oder ihren Lebensunterhalt mit den Angeboten bestreiten (Indien).

In Deutschland ist Elance vertreten, das vor allem bei Übersetzern und Textern beliebt ist. Die Big Brother Awards erhalten beide, weil sie nach Ansicht der Jury das digitale Prekariat anziehen, dass für andere Captchas löst, Fake-Bewertungen schreibt und "Likes" verteilt. Dabei soll besonders Elance dem Gedenken an George Orwells Big Brother alle Ehre machen: Die Software kommt mit einem Feature namens Work View, das regelmäßig Screenshots zur Dokumentation der Arbeitsleistung anfertigt. Kontrolle ist Vertrauen, heißt es im besten Neusprech.

Neusprech wird seit einigen Jahren bei den Big Brother Awards mit einem launigen Vortrag geehrt. 2015 hat es wieder einmal die Vorratsdatenspeicherung erwischt, die bereits 2011 als "Mindestspeicherfrist" zu Ehren kam. Diesen Begriff prägte der damalige Innenminister von NRW, Ralf Jäger. Sein SPD-Parteikollege Heiko Maas folgt ihm mit dem ebenbürtigen Begriff der Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, doch diesmal nur denkbar knapp in Führung vor der CSU, die in einem Erklärbärfilm erfrischend offen von der digitalen Spurensicherung schwärmte.

Die "Regeln des deutschen Datenschutzgesetzes" könnten in dieser Allgemeinheit fast in die Kategorie Neusprech fallen, stehen aber in den Einwilligungserklärungen, die Amazon in Bad Hersfeld und Koblenz von seinen Mitarbeitern unterzeichnen lässt. Angeblich werden die nicht näher ausgeführten deutschen Regeln beachtet, doch dann heißt es in der Erklärung, dass Mitarbeiter darin einwilligen, alle Daten "auch soweit sie meine Gesundheit betreffen" verarbeitet und genutzt werden können " und dass die Daten an eine Zentraldatenbank in den USA übermittelt und dort verarbeitet und genutzt werden". Außerdem willigen die Mitarbeiter ein, dass ein von Amazon bestimmter Arzt und nicht etwa der vertrauensärztliche Dienst der Krankenkassen die Arbeitsunfähigkeit bestimmen darf, wenn es Zweifel gibt. Deutscher Datenschutz geht anders, deshalb bekommt Amazon einen Preis in der Kategorie Wirtschaft.

Bekanntlich will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) Tempo machen auf der telemedizinischen Datenautobahn und den in der Garage schlummernden Sportwagen Gesundheitskarte auf Hochtouren bringen. Für sein geplantes e-Health-Gesetz bekommt Gröhe den Big Brother Award in der Kategorie Verbraucherschutz, wie ihn zuvor schon einmal Gesundheitsministerin Ulla Schmidt kassierte. Das war im Jahre 2004, als mit dem GKV-Modernisierungsgesetz die elektronische Gesundheitskarte eingeführt wurde. Nun wird sie beschleunigt und dass nicht zu unser aller Gesundheit, meint die Jury, sondern einzig und allein, um der IT-Industrie satte Erlöse zu bescheren. Rund 15 Milliarden Euro werden so ausgegeben und kommen dem Shareholder Value der Firmen zugute, heißt es in der Preisbegründung.

Gleich zwei Minister dürfen sich über einen Preis in der Kategorie Politik freuen. Denn prämiert die verschleppende und bremsende Haltung von Deutschland bei der Europäischen Datenschutzgrundverordnung. Um diese Verordnung wird seit Jahren gerungen, deshalb geht der Big Brother Award zu gleichen Teilen an den Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wie an seinen Amtsvorgänger Hans-Otto Friedrich (CSU), die bei der "Grundrechtsvernichtung" ganze Arbeit geleistet haben, wie die Jury anmerkt.

Stimmt der vom Veranstalter Digitalcourage vorab übermittelte Ablaufplan der Preisgala, dann wird der Nicht-Verbraucher Max Schrems von Lobbyplag und Europ vs. Facebook die Laudatio halten und von seinen Erfahrungen als europäischer Datenschutzaktivist berichten. Lobbyplag hatte vor Jahren nachweisen können, dass Änderungsanträge zur Datenschutzreform von Industrie-Lobbyisten geschrieben werden. Unlängst wurden dank Lobbyplag ein Mailwechsel veröffentlicht, in denen Mitarbeiter des Innenministeriums Unternehmen anschrieben mit der Bitte "um möglichst rasche Rückmeldung, ob Sie vielleicht noch ein, zwei harte Punkte haben, die wir noch kurzfristig einbringen sollen". (anw)