Französische Geheimdienste können mit deutlich mehr Befugnissen rechnen

Der Gesetzentwurf, mit dem die Lizenz französischer Spione zur Massenüberwachung ausgeweitet werden soll, dürfte die Nationalversammlung problemlos passieren. Es gibt im Parlament nur wenige Kritiker.

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Französische Geheimdienste können mit deutlich mehr Befugnissen rechnen

François Hollande

(Bild: elysee.fr)

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Die französische Nationalversammlung will am morgigen Dienstag über einen umstrittenen Gesetzesvorstoß abstimmen, mit dem die Geheimdienstbefugnisse deutlich ausgeweitet und der Richterkontrolle entzogen werden sollen. Nach den Anschlägen auf die Redaktionsräume des Satiremagazins Charlie Hebdo und einen Pariser Supermarkt Anfang des Jahres rechnen Beobachter damit, dass die Abgeordneten das Gesetz mit großer Mehrheit und ohne maßgebliche Änderungen verabschieden werden: mit der sozialistischen Regierungsfraktion und der konservativen UMP befürwortet der Großteil des Parlaments das Vorhaben.

Kritiker an dem Entwurf gibt es in den beiden entscheidenden Blöcken der Nationalversammlung nur wenige. Nicolas Bays, der sozialistische Vize des Verteidigungsausschusses, gehört zu den "Abweichlern". Er hat nach der 1. Lesung angekündigt, gegen das Gesetz stimmen zu wollen. Auch der Sicherheitsexperte der UMP, Pierre Lellouche, beklagt mögliche schwere Menschenrechtsverstöße. Viele Formulierungen seien so vage, dass auch protestierende Studenten oder streikende Arbeiter überwacht werden könnten.

Der weitgehende politische Konsens, dem sich insbesondere kleinere Oppositionsparteien vom linken bis zum ganz rechten Spektrum nicht anschließen wollen, wird mit dem "Geist des 11. Januar" erklärt, als die französische Staatsführung gemeinsam mit Regierungschefs vieler Nationen vor einer Großdemonstration gegen islamistischen Terror in Paris auf die Straße ging. "Wer auch nur die geringsten Bedenken gegen den Gesetzestext äußert, wird faktisch beschuldigt, Terrorismus zu unterstützen, sagt der im Iran geborene sozialistische Volksvertreter Pouria Amirshahi.

Französische Geheimdienste sollen künftig nicht nur zur Terrorbekämpfung oder im Interesse der "Verteidigung der Nation" Internetkommunikation einschließlich Metadaten erfassen und durchsuchen können, sondern etwa auch, um gegen "umfassende ausländische politische Interessen" sowie drohende "Angriffe auf die institutionelle Form der Republik" vorgehen zu können. Schnüffelaktivitäten werden auch legitimiert, wenn es um "industrielle oder wissenschaftliche Interessen" geht.

Die in Frankreich bereits bestehende Vorratsdatenspeicherung soll auf bis zu fünf Jahre ausgedehnt werden, der Geheimdienst soll einen Staatstrojaner bekommen, um Internet-Telefonate abzuhören oder heimlich online zu durchsuchen. Insgesamt ein Freibrief zur verdachtsunabhängigen Massenüberwachung, meinen Gegner der Initiative, zu denen auch die Internetwirtschaft zählt. Das neue Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste mit dem Kürzel CNCTR halten sie für einen Papiertiger, zumal die Spione sich ihre Aktionen nicht mehr von einem Gericht absegnen lassen müssten.

Die parlamentarische Debatte hat der französische Präsident François Hollande mit einem Schachzug weitgehend zum Erliegen gebracht: Der Sozialist hat angekündigt, das Gesetz selbst dem Verfassungsrat vorlegen zu wollen, der in Frankreich für Verfassungsbeschwerden zuständig ist.

Der Entwurf, den die Regierung im Schnellverfahren ohne 2. Lesung durchs die Nationalkammer und den Senat schleusen will, gilt auch als Grund für das weitgehende Pariser Schweigen im aktuellen BND-NSA-Skandal. Obwohl der Bundesnachrichtendienst mit Zielvorgaben des US-Partners bei seiner Satelliten- und Fernmeldeaufklärung offenbar besonders auf französische Politiker, Institutionen und Firmen geachtet hat, haben bislang nur Randgruppen darauf reagiert und Erklärungen sowie Entschuldigungen eingefordert. Hollande und sein Kreis halten sich dagegen zurück. Schon nach den Snowden-Enthüllungen hatte Frankreichs Präsident überraschend schnell die Affäre für beendet erklärt und in Washington beteuert: "Das Vertrauen ist wiederhergestellt." (anw)