Kanada beschließt neue Antiterror-Gesetze

Das Unterhaus des kanadischen Parlaments hat eine umfassende Erweiterung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten beschlossen. Trotz intensiver Proteste werden Bürgerrechte weiter eingeschränkt.

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Kanadas Flagge

Kanada bildet mit den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland einen engen Geheimdienstverbund.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit 183 zu 96 Stimmen hat das Unterhaus des kanadischen Bundesparlaments Mittwochabend die Regierungsvorlage C-51 angenommen. Das an die 20.000 Worte fassende "Anti-Terrorismus-Gesetz" bewirkt eine deutliche Ausweitung der Macht von Polizei und Geheimdiensten. Die Zustimmung des Oberhauses gilt als sicher, die königliche Zustimmung durch den Generalgouverneur als Formalakt.

Im zweitgrößten Land der Welt ist ein Flugverbot besonders hart.

Abschnitt 1 des Gesetzes beseitigt Schranken beim Informationsaustausch zwischen Behörden. Selbst das Gesundheitsministerium darf nun Daten weitergeben. Die Daten können dann auch mit anderen Ländern geteilt werden. Abschnitt 2 ermächtigt ein Ministerium, eine No-Fly-List zu erstellen. Sie nennt Personen, die im Verdacht stehen, dass sie gegen die Verkehrssicherheit vorgehen werden, oder dass sie für terroristische Zwecke reisen werden. Die Flugverbotsliste ist zwar geheim, darf aber mit ausländischen Regierungen geteilt werden.

Betroffene können in einem aufwändigen Verfahren eine Löschung von der Liste beantragen. Nach drei Monaten können sie ein Gericht anrufen. Dabei reicht es aber nicht aus, zu beweisen, dass sie kein Risiko darstellen. Darüber hinaus müssen sie beweisen, dass der Verdacht des Ministeriums "unvernünftig" (unreasonable) war. Die Regierung kann ihre Beweise im Geheimen vortragen, so dass weder der Betroffene noch sein Anwalt erfahren, was angeblich vorliegt. Auch ansonsten vor Gericht unzulässige "Beweise" muss der Richter berücksichtigen.

Abschnitt 3 widmet sich dem Strafrecht. Für Äußerungen, die als Unterstützung von "Terrorismus im Allgemeinen" ausgelegt werden können, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Das umfasst beispielsweise auch positive Äußerungen über virtuelle Demonstrationen in Form von DDOS-Attacken, die eine Regierung zu einer Meinungsänderung bewegen sollen. Denn die Störung von Systemen gilt bereits als terroristischer Akt. Ebenso wären Spendenaufrufe für ein Kinderhilfsprogramm einer Organisation problematisch, der man auch terroristische Ziele nachsagen kann.

Auf manche Flüsterwitze stehen in Kanada bald 5 Jahre Haft.

(Bild: Daniela Vladimirova CC-BY 2.0 )

Die Äußerungen müssen nicht vorsätzlich sein, Fahrlässigkeit reicht aus. Kriminell wird nicht nur der Urheber, sondern auch alle Beitragenden, wie etwa Assistenten, Lektoren, Verleger, Layouter, oder Retweeter. Auch rein private Äußerungen, ohne Öffentlichkeitswirkung, sind umfasst. Das ist im Lichte der gleichzeitig erweiterten Abhörbefugnisse zu beurteilen.

Seit 2001 ist es in Kanada möglich, Personen zu verhaften, die zwar keine Straftat begangen haben, aber von denen angenommen wird, dass sie sich terroristisch betätigen werden, wenn die Verhaftung zur Verhinderung der Tat notwendig ist. Das wird nun erweitert: Fortan reicht für die Verhaftung die Annahme aus, dass sich die Person terroristisch betätigen könnte und dass die Verhaftung wahrscheinlich verhindernde Wirkung hat. Berufungen sind möglich, allerdings kann sich die Regierung aussuchen, welches Gericht darüber entscheidet.

Abschnitt 4 revolutioniert den Geheimdienst CSIS (Canadian Security Intelligence Service). Bisher ist er nur mit Überwachung beauftragt. Nun soll er erstmals auch aktiv tätig werden, und zwar weltweit. Dabei soll er "Maßnahmen" setzen, um mögliche Bedrohungen gegen die Sicherheit Kanadas zu "reduzieren". Die Sicherheit des Landes umfasst neuerdings auch die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität.

Zwecks Zeugenschutz können bald auch anonyme oder unsichtbare Zeugen vor Gericht aussagen.

(Bild: Gemeinfrei (via imgkid))

Drei Dinge sind CSIS vorenthalten: Körperverletzungen oder Tötungen von Menschen, Behinderung der Justiz, sowie Verletzung der sexuellen Integrität einer Person. Alles andere ist erlaubt, worunter nach Auslegung durch Juristen auch Foltermethoden wie simulierte Hinrichtungen oder das berüchtigte Waterboarding fallen. Möchte CSIS etwas unternehmen, was eigentlich illegal wäre, kann sich der Dienst dafür eine richterliche Genehmigung besorgen.

Bereits jetzt brauchen Personen, die (noch) nicht kanadische Staatsbürger sind, in unterschiedlichen Fällen ein "Security Certificate". Dafür wird in einem geheimen Verfahren, von dem der Betroffene ausgeschlossen ist, überprüft, ob er eine Gefährdung darstellt. Die Interessen des Betroffenen sollen dabei von einem "Special Advocate" vertreten werden.

Dabei handelt es sich um Anwälte, die von der Regierung speziell ausgewählt wurden. Ihre Namen sind geheim, und sie dürfen mit niemandem über die Verfahren sprechen. Neu ist unter anderem, dass die Regierung in bestimmten Fällen relevante Informationen auch dem Speziellen Advokaten vorenthalten darf.

Die Gesetzesvorlage hat in Kanada eine nie dagewesene Welle öffentlichen Widerstands ausgelöst. Neben "üblichen Verdächtigen" wie Künstlern und indigenen Völkern trat eine Reihe überraschender Kritiker an die Öffentlichkeit: Vier ehemalige Premierminister (drei Liberale, ein Konservativer), Hundert Professoren für Rechtswissenschaften, fünf ehemalige Höchstrichter, sieben ehemalige Justizminister, zwei ehemalige Datenschutzbeauftragte der Regierung, ein pensionierter Kontrollor der Bundespolizei, sowie drei ehemalige Mitglieder jenes fünfköpfigen Teilzeit-Gremiums, das für die Überwachung von CSIS zuständig ist.

Genutzt hat es nichts. In den Parlamentsausschüssen wurden der Form halber Anhörungen durchgeführt. Neben den Konservativen, die über eine absolute Mandatsmehrheit verfügen, haben auch die Liberalen das Gesetz unterstützt. Sie bilden die drittgrößte Fraktion im Unterhaus. Die zweitgrößte Fraktion, gestellt von der sozialdemokratischen NDP, forderte eine strengere Kontrolle der Geheimdienste. Sie drang damit aber nicht durch und stimmte schließlich mit Nein. Außerdem sprachen sich die beiden Grünen Abgeordneten sowie drei Separatisten aus der Provinz Quebec gegen C-51 aus. (ds)