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Was war. Was wird. Vom Zauber, der verflogen ist.

Lucille schweigt, der Blues bleibt. Trauer ist angesagt, grummelt Hal Faber, in diesem beschissenen Leben. Nicht nur, weil einer der Großen unserer Zeit gegangen ist und uns nur Pudel wie die SPDler mit ihrer Vorratsdatenspeicherung zu bleiben scheinen.

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Was war. Was wird. Vom Zauber, der verflogen ist.
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***The thrill is gone, Lucille schweigt, aber nur 12 Takte lang. Denn der Blues ist immer da und verlässt dich nicht, weder auf dem Friedhof noch in der mean old world. Aber niemand, niemand kann dir B.B. King wegnehmenHow blues can you get, dafür gibt es keine Grenze in diesem beschissenen Leben. Denn immer, wenn du denkst, es wird was und es ändert sich, dann ist der Blues da. Bei dir.

Anfang der Überwachung: Entwurf der ersten deutschen
Lochkarte für die Volkszählung 1910/1911

*** Es gab eine Zeit, als Sigmar Gabriel in der SPD ganz offiziell als "Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs" eine Website namens sigmar.de hatte, auf der der niedersächsische Ministerpräsident für Blues in Lehrte warb. Heute hat er als Pudel von Merkel für solche Sperenzchen keine Zeit, denn Blues und Politik, das geht gar nicht. So eröffnete er in dieser Woche pudelbrav eine China-Ausstellung, in der Regimekritiker wie der im letzten WWWW erwähnte Ai Weiwei mit keinem Wörtchen erwähnt werden. Ja, Kunst muss eben doch auf Wirtschaftsinteressen Rücksicht nehmen, das wusste bereits Albrecht Dürer, als er sein Monogramm entwarf.

*** Der Pudel als solcher nimmt vielerlei Gestalt an. So gibt es neben dem Gabrielschen Großpudel auch Zwergpudel wie Heiko Maas, die brav das Stöckchen namens Vorratsdatenspeicherung apportieren, wenn ihnen das befohlen wird. Und wie schnell das geht! Um 14:51 war am Freitag der Referentenentwurf für die Vorratsdatenspeicherung fertig, um 20:34 tauchte er bei Netzpolitik.org auf. Und wie schön das aussieht! Klar und deutlich beschreiben die Juristen im Abschnitt "A. Problem und Ziel" ihr verfassungswidriges Vorhaben, sprechen von tiefen Grundrechtseingriffen , die aber notwendig sind, weil es sonst nur eine Frage des Zufalls ist, ob Daten da sind oder nicht. Und das geht ja gar nicht! Sonst müssten ja die Strafverfolgungs- und die Gefahrenabwehrbehörden auf Kommissar Zufall setzen. Aber halt, es kommt noch besser, denn es gibt "B. Lösung". Diese Belösung geht so:
"Die Eingriffsintensität wird durch ein deutlich reduziertes Datenvolumen (keine verpflichtende Speicherung von Daten von Diensten der elektronischen Post) und eine sehr kurze Speicherfrist (vier bzw. zehn Wochen) im Vergleich zur vorhergehenden Ausgestaltung deutlich reduziert."

*** Das ist zwar das Verletzen von Grundrechten, aber eben nur ein kleines Bisschen. Ritzen liegt voll im Trend, warum soll das nur bei Jugendlichen gehen. Eine geritzte Verfassung, das hat was. Zumal bei den rund 1000 Unternehmen, die künftig mit der verdachtslosen Speicherung aller unserer Verkehrsdaten beschäftigt sein werden, keines verbluten bzw. einer "erdrosselnden Wirkung" durch unbillige Härten ausgesetzt sein soll.
"Von den vorhandenen ca. 1000 Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste sind 20 so groß, dass sie 98 Prozent des Marktes abdecken, die übrigen sind kleine bis mittlere Unternehmen, die sich voraussichtlich häufig auf eine unbillige Härte berufen werden."

*** Wir sehen, dass die neue Vorratsdatenspeicherung nicht nur unterschiedslos alle Menschen trifft, die sich gerade auf dem Boden der Bundesrepublik aufhalten, sondern eben mal bis zu 980 Unternehmen in die Krise schickt. Wo es um den Schnüffelstaat geht, darf man nicht auf Wirtschaftsinteressen Rücksicht nehmen, so einfach ist das. Dann überleben halt die fittesten und sind umso mehr in der Lage, sich um die technologische Souveranität zu kümmern, die im Koalitionsvertrag steht, den die Sozialen Pudel Deutschlands mit unterschrieben haben. Ganz nebenbei werden die Kosten für den Schnüffelstaat auf die Beschnüffelten umgelegt, eine ungemein elegante Lösung:
"Es ist davon auszugehen, dass die übrigen betroffenen Unternehmen diese Kosten bei ihrer Preisgestaltung einkalkulieren und an ihre Kunden weitergeben werden."

*** Und Hurra, Juchheissassah! Mit der Vorratsdatenspeicherung kommt ein neues Gesetz, dass die Datenhehlerei unter Strafe stellt. Denn die neuen Datenberge wecken Begehrlichkeiten bei all denen, die Bewegungsprofile bilden und auswerten können. Die Bestimmungen sind wunderbar multifunktional gelungen! Schließlich wird direkt das Bundeslagebild Cybercrime erwähnt, der rasant zunimmt und auch zu dieser Datenhehlerei führt.
"Wer Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

*** Zwar soll der Passus zur Datenhehlerei nur die abschrecken, die sich an den anlasslos gespeicherten Daten vergreifen wollen, doch mit der schammigen Definition einer rechtswidrigen Tat ist man auch das elende Problem der Whistleblower losgeworden, die Journalisten informieren wollen. Und, was noch hübscher ist, ist die Ausnahmegenehmigung für die Strafverfolger, nicht nur bei den berühmten "schweren Straftaten" zuzugreifen, sondern auch bei Ordnungswidrigkeiten. Denn die Datenhehlerei
"...gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Dazu gehören insbesondere solche Handlungen von Amtsträgern oder deren Beauftragten, mit denen Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen."

*** Ganz nebenbei findet sich in den Ausführungsbestimmungen ein Passus zu den Berufsgeheimnisträgern, der das Herz eines jeden Ermittlers freudig pochen lässt. Die einmal diskutierte Weißliste der Geheimnisträger ist vom Tisch, auch die TK-Verkehrsdaten von Politikern, Pfaffen und Pudeln werden gespeichert:
"Die Berufsgeheimnisträger in ihrer Gesamtheit schon von der Speicherung ihrer Verkehrsdaten auszunehmen, ist nicht möglich. Dazu müsste sämtlichen Telekommunikationsanbietern, von denen es in Deutschland ca. 1000 gibt, mitgeteilt werden, wer Berufsgeheimnisträger im Sinne des §53 StPO ist; diese Liste müsste dauernd aktualisiert werden."

*** Wir lieben euch alle. Und das ist gut so! Sind die Daten da, kann man sie auswerten und hoppla, wenn ein Berufsgeheimnisträger mit dynamischer IP-Adresse auf einmal drunter sein soll, hat man sie schon ausgewertet und schließt gnädig die Augen. So geht anlasslos. Genauere Regeln sind verpönt, denn da gibt es ja diesen rasanten Wandel der Technik. Was heute eine dynamische Adresse ist, kann morgen IPv6.

*** Überhaupt hatte es dieser Freitag computertechnisch in sich: Da wurden Indizien bekannt, nach denen der Bundesnachrichtendienst für die USA in Österreich mithörte, ganz nach dem Motto "Ausland ist Ausland". Tapfer kämpfte der Bundestag gegen Hacker und die Gefahr, dass da Daten abfließen wie das Wasser im Bundesnachrichtendienst. Es entbehrt nicht der Ironie, dass man einen Trojaner im Netz vermutet und daher am Freitag auf alle Rechner die Warnung schickte: "Um Datenverlust zu vermeiden, schalten Sie bitte ihre PCs zum Dienstschluss aus." Die Vorstellung, dass die "pfeilschnellen Rechner" von Dell nach dem Ausloggen sonst ein ganzes Wochenende herumdösen, bis eine Reinigungsfachkraft das macht und kein Bundesrechenzentrum ein shutdown -q verschickt, hat etwas tröstliches. Es geht nichts über Handarbeit.

Was wird.

Wie Dänemark soll auch Deutschland das Bargeld abschaffen, empfiehlt ein "Wirtschaftsweiser", dem man ohne Weiteres abnimmt, dass er niemals Trinkgeld gibt. Begründet wird die neue Vorratsdaten-Überwachungskomponente damit, dass auf diese Weise die Märkte für Drogen und Schwarzarbeit ausgetrocknet werden und wertvolle Zeit an der Kasse aufgeholt werden kann. Man hätte auch den "Kampf gegen den Terrorismus" als Begründung nennen können. Der führte 2011 dazu, dass automatische Kontenabfragen drastisch erleichtert wurden. Seitdem verdoppeln sich die Abrufzahlen Jahr für Jahr, weil der Terrorismus ansteigt.

Aus: Marshall McLuhan / Quentin Fiore, Das Medium ist die Massage.

Vielleicht regt sich Protest, wenn das in Deutschland sehr beliebte Bargeld flöten geht, vielleicht auch nicht. Dann muss der Blues-Sänger auf der Straße in Naturalien bezahlt werden. Aber warum in die Ferne gucken, wenn das Schlechte liegt so nah? Bereits in zwei Wochen soll das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nach Informationen von Netzpolitik vom Bundeskabinett beschlossen werden. Vorher gibt es am Dienstag noch einen großen Pudelkonvent, bei dem die Fraktion von Sigmar Gabriel des Pudels Kern berät. Dahin fahren sie, die Sozialdemokraten. Dahin, vielleicht. Der Kasus aber lässt uns bitter lachen.

Darauf einen Security Blues ...

They who can give up liberty, mama,
what in the world they do?
Obtain a little safety, mama
that's all for these fools.
But when it all sums up, they
deserve no liberty 'n safety too. (jk)