Jugendschützer machen mobil gegen Extremgewalt im Netz

Vor allem fürs Web 2.0 und soziale Medien fordern Politiker von Bund und Ländern internationale Standards und technische Lösungen, um Gewaltvideos von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten. Plattformbetreiber müssten handeln.

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Jugendliche am Computer
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Der Kampf gegen extreme Gewaltdarstellungen im Internet soll unter dem Aufhänger Jugendschutz verschärft werden. Über soziale Netzwerke verbreiteten sich Gräueltaten des IS genauso wie privat gefilmte Horrorvideos in Sekundenschnelle, beklagte Siegfried Schneider, Präsident der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), bei einer Diskussionsrunde der Bund-Länder-Einrichtung in Berlin. Dagegen "brauchen wir europaweit und international Standards", betonte Schneider. Die staatlichen Kontrolleure müssten mehr Medienkompetenz vermitteln, bräuchten aber auch bessere Sanktionsmöglichkeiten.

Eine Facette der geforderten Initiative sei der "technische Schutz", führte Schneider aus: "Wir können nicht nur Glasfaser verbuddeln und am Ende fehlen wenige Tausende oder auch Millionen Euro", um Entwicklungen in diesem Bereich voranzubringen. Vorinstallierte Filter könnten hier ein sinnvoller Weg sein, auch wenn es bei solchen Mitteln mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung in vielen Fällen "sehr kitzlig" werde.

Die Politik rede hier nicht nur, verteidigte sich der KJM-Chef gegen entsprechende Kritik von Machern des Schutzprogramms JusProg. So seien Bund und Länder bei einem geplanten "Entwicklungsfonds" für Schnittstellen technischer Jugendschutzlösungen ein Stück weitergekommen. Es sei verabredet, dass jeweils der Bund, die Medienanstalten und die beteiligten Unternehmen pro annum auf über drei Jahre hinweg je 500.000 Euro einzahlen sollten.

"Im Web 2.0 kämpfen wir mit einer Flut an jugendgefährdenden Inhalten", ergänzte die bayerische Staatsministerin für Europa-Angelegenheiten, Beate Merk. "Es darf nicht sein, dass ein Enthauptungsvideo im Fernsehen zensiert, aber im Internet gezeigt wird." Hier seien "Lösungen aus einem Guss" nötig, die gleiche Maßstäbe an alle anlegten. Die CSU-Politikerin begrüßte daher eine Ansage von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), beim Jugendschutzgesetz die gleichen Prinzipien anlegen zu wollen wie beim Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, an dessen Reform sich die Länder nach einer Pleite 2010 wieder herangewagt haben.

Der EU-Kommissar für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger (CDU), hat laut Merk zudem zugesagt, Abrufdienste im Internet im Rahmen einer Reform der Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste ähnlich streng regulieren zu wollen wie lineares Fernsehen. Ein entsprechender Entwurf solle Anfang 2016 kommen und zügig die Brüsseler Gremien passieren. An die Betreiber sozialer Netzwerke appellierte die Christsoziale, mehr Verantwortung für die Inhalte zu übernehmen, die Nutzer bei ihnen einstellten. Diese könnten es sich doch nicht bieten lassen, für Propaganda missbraucht zu werden. Die Politik wolle aber keine Zensur ausüben oder eine rosarote Sicht auf die Welt bieten. Jeder solle seine Erfahrungen machen können, aber "alles zu seiner Zeit".

"Wir wollen gewisse Geräte, die Sperren schon vorher installiert haben", schloss sich Susann Rüthrich, Vorsitzende der Kinderkommission im Bundestag, ihren Vorrednern prinzipiell an. So wie Surfer auf der Suche nach sexualisierten Gewaltdarstellungen von manchen Betreibern auf Informationsseiten wie "Kein Täter werden" umgeleitet würden, könnten Interessenten an Enthauptungsvideos zu Demokratieprojekten im Netz geführt werden. Die SPD-Politiker setzt sich derzeit aber vor allem dafür ein, dass Kinderrechte ins Grundgesetzt aufgenommen werden: "Dann hätten wir vielleicht auch eine andere Diskussionsgrundlage."

Bei klassischen Medien spielten extreme Propagandavideos von Gotteskriegern "praktisch keine Rolle", befand Felix Seidel, Jugendschutzbeauftragter von Bild.de. In der Regel werde nur mit Standbildern darüber berichtet. Dies sei nötig, "um die Realität abzubilden". Beim IS-Gräuelvideo von der Steinigung einer jungen Frau nach angeblichem Ehebruch habe das Nachrichtenportal aber Bewegtbilder gezeigt bis zur eigentlichen Aktion, um dem Leser einen Eindruck zu verschaffen, was eine solche Strafe bedeute. Das eigentliche Problem bestehe aber in ungefilterten Beiträgen in sozialen Medien.

Otto Vollmers, Geschäftsführer der Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), unterstrich, dass die Institution Beschwerden zu Online-Plattformen nachgehe und prüfe, ob deutsches Recht anwendbar sei. Gegebenfalls gehe man an den Anbieter heran, wenn es klar ums Schockieren gehe. Vor allem die großen Betreiber seien auf solche Hinweise angewiesen und reagierten in der Regel schnell. Er räumte aber ein: "Wir kommen mit den Instrumenten nicht so klar, wie es sich die Gesellschaft wünscht."

Mit dem Gerücht, dass es keine "Kooperationswilligen der US-Plattformen" hierzulande gebe, wollte Sabine Frank, Jugendschutzexpertin bei Google Deutschland, aufräumen. Es sei keineswegs im Interesse des hauseigenen Videoportals YouTube, terroristische Inhalte zu verbreiten. Dort würden aber jede Minute 300 Stunden neues Material hochgeladen, sodass gegen die Regeln verstoßende Aufnahmen oft erst auf Zuruf hin überprüft und gegebenenfalls gelöscht werden könnten. (jk)