Wehwehweh

Seit es das Internet und vor allem: Seit es Spielkonsolen gibt, war es noch nie so einfach und so verhältnismäßig gesundheitsunschädlich, exzessiv zu sein.

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Von
  • Peter Glaser

Der spanische Bioinformatiker Dr. Julio Bonis Sanz befaßt sich gewöhnlich mit komplexen wissenschaftlichen Arbeiten irgendwo zwischen Mensch und Maschine. Neulich muß ihm jemand eine Spielkonsole geschenkt haben. Nach einem ausgedehnten virtuellen Tennismatch mit seiner neuen Wii plagte ihn ein modernster Muskelkater. Aus dem Ach und Weh richtete sich der Quasi-Mediziner zu voller Größe auf. Dr. Sanz sieht schmerzhafte Schädigungen auf die Weltmuskelmasse zukommen - Wii-itis. Da einen das spielerische Gefuchtel mit dem Wii-Controller nicht so ermüde wie die jeweils reale Sportart, würde die Simulation Spieler dazu verlocken, weitaus länger zu spielen als sie sich das auf dem Sportplatz zumuten würden. Folge: Überlastungen des Bewegungsapparats und bedenkliche Gelenkschmerzen. Sanz rät zu einwöchiger Konsolen-Nulldiät. Man solle maßvoll spielen.

Maßvoll! Eine Revolution ist im Gange (die digitale), und man soll maßvoll sein. Seit es das Internet und vor allem: Seit es Spielkonsolen gibt, war es noch nie so einfach und so verhältnismäßig gesundheitsunschädlich, exzessiv zu sein. Man kann nicht rauchen und trinken, während man wiifuchtelt, man tut was für seinen Kreislauf und man unterhält seine Freunde, weil man aussieht als sei einem ein angeriebenes Streichholz ins Hemd gefallen.

Diese Art von Gejammer hat Tradition. Vor nicht allzulanger Zeit kamen Bedenken auf, das ständige Herumdrehen am Stellrad des iPod könne womöglich lebenslange Folgeschäden nach sich ziehen. Das Rad mit dem Daumen zu bewegen sei "eine absolut unnatürliche Bewegung” und würde das Gelenk beschädigen, behauptete Carl Irwinvom Verband britischer Chiropraktiker und empfahl, MP3-Player als auch Handys stets mit beiden Händen zu bedienen. Mich erinnert das an Leonard Cohen, der mal gesagt hat, er könne einen Ton beim Singen nur halten, wenn links und rechts ein Griff dransei.

Harmonisch fügt sich der iPod-Daumen in die lange Abstammungslinie körperlicher Malaisen, die neuartiger Technologiebedienung folgen. Wer erinnert sich nicht gern an digitale Frühzeitgebrechen wie die Joystick-Klaue oder den DFÜ-Finger – mit DFÜ (“Datenfernübertragung”) bezeichnete man in den achtziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts Online-Aktivitäten, bei denen die Verbindung zum Modem der Gegenseite über ein Wählscheibentelefon erkurbelt wurde. War die Leitung besetzt, was bei beliebten digitalen Anlaufpunkten häufig der Fall war, mußte die Nummer wieder und wieder gewählt werden - bis man einen dicken Finger hatte.

Varianten des dicken Fingers führen noch tiefer in die Technikvergangenheit. Drückaufwand, Kantenbeschaffenheit und Materialität bilden die wichtigsten Parameter, die Auskunft über die Kraftanforderungen gab, welche Knöpfe an einen Körper stellen. Wer einmal Gelegenheit hatte, auf einer alten Remington-Schreibmaschine zu tippen, weiß, was ich meine. Wenn man ordentlich drückt, fungiert das Schreibgerät auch als Stanzmaschine und schießt mit Buchstaben wie dem o kleine, überzeugend analoge Löcher ins Papier. Hat man Nietzsche oder Hemingway - zwei der berühmten Schreib-/Stanzmaschinenverwender - jemals über Sehnenscheidenentzündung klagen gehört? Nein. Hemingway hat stattdessen ein Buch über den Stierkampf geschrieben, wie es kommt, dass sich ein Mann zu Fuß in einer Arena einem Stier entgegenstellt und am Ende meistens der Stier und ab und zu der Matador stirbt.

Was ich sagen will: Lange Jahre sind PCs nicht ernstgenommen worden. Echte Männer - man kennt das aus Doris Day-Filmen, in denen Lochkartenwolken aus Rechenzentren herauswehen - haben bis in die siebziger Jahre an richtigen, echten Computern gearbeitet, das heißt, Maschinen in hammerschlaglackierten Metallgehäusen, umtost vom infernalischen Geschepper von Kettendruckern. PCs waren Schnickschnack für Amateure. Als schließlich der Macintosh auf den Markt kam, galt er lange als eine Art Damen-Rechner, ein süßes Designerstück, aber kein echter Computer für echte Männer. Nach jahrelangem Ringen sind kleine PCs und Macs nun endlich auch richtig männlich (natürlich auch richtig weiblich), eine kleine Wii vereint die Power mehrerer Doris Day-Rechenzentren in sich, und die Maschinen machen uns unter anderem ein bißchen zivilisierter, indem sie unsere Gewaltphantasien aufsaugen und uns spielerisch wilde Schlachten schlagen lassen. Nun verwandeln sie uns auch noch aus lahmen Couchpotatoes in, naja, sagen wir mal: fröhlich fitnessgeneigte Spieler. Wozu jammern und klagen?

Das einzige ernsthafte technische Kleinleiden hat mit falschen Möbeln zu tun, und nicht mit den Maschinen, die darauf stehen. Die Mausschulter hat sich zum digitalen kleinen Bruder des Tennisarms entwickelt - meist eine Folge zu hoch aufliegender Tastatur oder Mausmatte und einer gewissen Bewegungsmonotonie. Während die einen ihr Heil in elastischen Bändern suchen, greifen andere, statt zu klagen, zu härteren Bandagen. Die Programmiererin und Verschlüsselungsspezialistin Romana Machado alias Cypherella etwa verwendete bei der Arbeit, um der modernen Mikro-Überanstrengung zu entgehen, gern einen Kettenhandschuh wie ihn Schlachter verwenden. (wst)