Zahlen bitte!

Im Web 2.0 ist ja grundsätzlich alles "beta" und die meisten Dienste kostenlos, weil die neuerdings wieder boomende Online-Reklame zur Refinanzierung herangezogen werden kann. Vielleicht sollte der ein oder andere Dienst endlich einmal etwas kosten.

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Der Kommunikationsdienst Twitter hat bekanntlich eine enorm einfache technologische Prämisse: Er leitet reine Textbotschaften von gerade einmal 140 Zeichen Länge zwischen einer aktuell mehrere Hunderttausend User umfassenden Nutzergemeinde hin und her. Dennoch scheint das ein enorm komplexes Computing-Problem zu sein: Nach den Ausfällen des Dienstes können sich die Fans des gepflegten Präsenzzwitscherns quasi die Uhr stellen, von fehlgeleiteten oder verspätet angekommenen Botschaften einmal ganz abgesehen.

Nun mag es ja sein, dass der Ansturm bei dem Anbieter zurzeit derart hoch ist, dass es nicht anders geht – zudem muss er ja auch die verschiedensten Kanäle (Instant Messaging, Handy, Web) generös beschicken und bietet eine Anwendungsschnittstelle für Drittentwickler, die sicher durchaus eine gewisse Komplexität besitzt. Dennoch muss die Frage erlaubt sein: Würde ein solcher Dienst überleben, wäre er nicht im Web 2.0-Stil kostenfrei und zunächst einmal Risikokaptial-finanziert (ein Geschäftsmodell steht bei Twitter wie bei anderen neuartigen Diensten nämlich bekanntlich noch aus)?

Was ich damit ausdrücken möchte: Kann es sein, dass wir uns bei dem ganzen aktuell laufenden Hype ums "Mitmachweb" und seinen teilweise tatsächlich wunderbaren Erfindungen mit einer Produktqualität von Diensten und Anwendungen zufrieden geben, die wir, würden sie Geld kosten, niemals hinnehmen würden? Die Hoffnung all dieser Start-ups beruht, wie dies während der inzwischen altertümlich wirkenden "New Economy" bereits der Fall war, vor allem auf dem Verkauf von Online-Reklame. Natürlich gibt es hier einen großen Nachholbedarf, wandert doch immer noch ein zu geringer Gesamtbudgetanteil der Mediaagenturen ins Internet, obwohl hier längst die Menschen sind. Doch vielleicht mögen ja auch die Werbekunden es nicht, wenn ein Dienst zu oft "down" ist?

Problematisch ist, dass die Geschenkter-Gaul-Mentalität längst in Bereiche übergeht, die kritisch sind. Googles kostenloser E-Mail-Dienst beherbergt inzwischen Gigabytes an wichtigsten Kommunikationsdaten vieler User. Aber haben Sie beispielsweise schon einmal versucht, dessen Support zu erreichen, wenn etwa der Account gehackt wurde? Ist ja auch klar: An der Kundenzufriedenheit wird nur am Rande verdient, Support möglichst kleingeschrieben.

Für die Start-ups ist die Betarisierung ihrer Dienste und Anwendungen denn auch tatsächlich ein großer Vorteil: Sie erhalten eine prima Ausrede für schlechte Produktqualität, können schrittweise und damit billiger entwickeln und anpassen ("Release early, release often!") sowie immer, wenn es mal zu schlimm wird, auf die nicht vorhandene Geldleistung verweisen, die der Nutzer erbringen muss. Vielleicht sollte der ein oder andere Dienst endlich einmal etwas kosten. Das hilft auch dem Geschäftsmodell, falls der Werbeboom wieder vorbeigezogen ist. (wst)