Was machst Du grade?

Mit den Microblogging-Diensten von Pownce, Jaiku, Twitter und Facebook wird das Banale zur Botschaft - oder steckt doch mehr in der Technologie? Jason Pontin, Chefredakteur der US-Ausgabe von Technology Review, wagte den Selbstversuch.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Jason Pontin
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Nur wenige Minuten, bevor ich mit diesem Text angefangen habe, twitterte ich folgenden Satz: "Bin zuhause in Boston und schreibe ein weiteres Mal über Twitter." Robert Scoble, der Autor des bekannten Technologieblogs Scobleizer, schrieb im kalifornischen Half Moon Bay über sein neues Baby: "Das Leben mit Milan ist eindeutig verrückt. Er weckt uns um 3 Uhr morgens und wir schauen uns in die Augen und sagen: Was für ein Glück, dass er so verdammt süß ist." In San Francisco meldete sich Twitter-Mitbegründer Evan Williams zum zweiten Twitter-Mitbegründer Biz Stone zu Wort: "Sprechen darüber, dass Biz beim Twittern besser werden muss." In Tokio sagt unterdessen jemand namens Shiru, dass er inzwischen besser beim Surfen sei: "Okay, zurück zur Arbeit."

Drüben bei Pownce schreibt Michael Owens, ein 22jähriger Grafikdesigner in Chicago, mit virtuell fester Stimme: "Ich brauche eine Methode, mich dazu zu zwingen, mir nicht dauernd die ganzen Social-Media-Dienste, Blogs und Webcomics anzuschauen – und all die anderen Dinge, die mich ablenken." Ein wenig später scheint er die Disziplin allerdings schon wieder über Bord geworfen zu haben: "Heilige Scheiße. Der Glücksbärchis-Film läuft. Das ist ja total super." Auf Facebook meldet sich derweil Ed Vaizey, ein alter College-Freund von mir, der heute im britischen Parlament sitzt – und berichtet seinen zirka 233 Freunden von seiner aktuellen Berufslektüre: "Habe gerade Robin Harris Biographie über Talleyrand gelesen – superb. Edwards Pearces Walpole-Biographie war aber nicht so gut, viel zu verschmitzt."

All diese Notizen – knapp, manchmal etwas verworren und oft endlos selbstreferenziell – sind Beispiele für ein Social Media-Phänomen namens "Microblogging": Kurze elektronische Botschaften an Freunde oder eine größere Gemeinschaft, die einige aktuelle Informationen über den Absender liefern. Wer Microblog-Postings verschickt, sagt: "Ich bin hier!". Wer sie liest, stillt das Bedürfnis seiner Mitmenschen, die genauesten Details des Lebens für sie interessanter Leute zu erfahren. New Media-Intellektuelle haben bereits einen Begriff gefunden, der dieses soziale Verhalten umschreibt: Sie sprechen von "Präsenz", wir sind also mit solchen Werkzeugen virtuell "always on" und omnipräsent.

Seit Twitter im März 2007 bei den "Web Awards" des New Media-Festivals South by Southwest in Austin ausgezeichnet wurde, kennt der Dienst nur noch eine Richtung: nach oben. Im März hatte Twitter laut Biz Stone nur 100.000 Mitglieder, heute sollen es mindestens 500.000 sein, wenn man dem unabhängigen Verzeichnis TwitDir glauben kann. Das deutlichste Signal für die Wichtigkeit des Microblogging-Trends ist aber ein anderes: Es gibt immer mehr Twitter-Nachahmer und Konkurrenten. Ein chinesisches Blog zählte kürzlich gut 100 solcher Klone in mindestens 12 Ländern. Sie alle haben hübsche, fast telegrafische Namen: Jaiku, Kyte, Plazes, Pownce oder Yappd – jeweils mit unterschiedlichen Ansätzen, aber immer mit der Möglichkeit, die Twitter-Grundfrage "What Are You Doing?" zu beantworten. Selbst das "heiße" soziale Netzwerk Facebook macht bei dem Trend mit: Die cleversten Social Networking-Anbieter erlauben ihren Nutzern nun, kurze Posts herauszuschicken, die ihren aktuellen "Status" umschreiben.