20 Jahre .mp3: Eine Erfolgsgeschichte, die die Musikindustrie durcheinanderwirbelte

Was es mit dem Standard ISO/IEC 11172-3 auf sich hat, wissen nur Eingeweihte. Bei MPEG Audio Layer III werden schon mehr Leute hellhörig, doch spätestens bei der Dateiendung .mp3 weiß jeder, worum es geht: eine 20-jährige Erfolgsgeschichte.

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20 Jahre .mp3
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Volker Zota
Inhaltsverzeichnis

Am 14. Juli 1995 teilte Jürgen Zeller das Ergebnis einer internen Befragung am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen mit: "Nach der überwältigenden Meinung aller Befragter: Die Endung für ISO MPEG Audio Layer 3 ist .mp3." Bis dahin verwendeten die Wissenschaftler als Dateiendung des mit dem Ende 1992 zusammen mit anderen MPEG-Audiolayern als ISO-Standard verabschiedeten Audiokompressionsalgorithmus die Bezeichnung .bit. Doch der griffigen Bezeichnung allein ist die Erfolgsgeschichte des Formats nicht zu verdanken.

"Wir träumten damals vom digitalen Hör-Rundfunk und Millionen von Nutzern", sagte Karlheinz Brandenburg. Der Forscher wird oft als "MP3-Erfinder" bezeichnet, weil seine Dissertation "Ein Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikcodierung" eine wesentliche Grundlage für MP3 und MPEG-2 Advanced Audio Coding (AAC) legte; er ist aber nicht alleine für MP3 verantwortlich. Als "Mutter von MP3" gilt übrigens Suzanne Vega, deren Song "Tom's Diner" zur Feinjustierung des psychoakustischen Modells von MP3 diente.

Durch die Irrelevanzreduktion des psychoakustischen Modells erreichte MP3 ohne (deutlich wahrnehmbare) Verluste eine Kompressionsrate von 11:1 gegenüber Audio-CDs (128 kBit/s statt 1411 kBit/s), sodass ein ganzes Album MP3-kodiert dieselbe Datenmenge veranschlagte wie sonst ein einzelner Song – ein Meilenstein bei der verlustbehafteten Musikkompression.

MP3 im Hörtest in c't 19/02 (13 Bilder)

Zwar konnte ab 1997 jede Windows-Kopie von Haus aus MP3-Dateien abspielen; der Encoder war jedoch auf niedrige Bitraten beschränkt. Der vollwertige MP3-Encoder war vor allem für die Musikindustrie gedacht und sollte teuer sein. Doch ein australischer Student erwarb den Fraunhofer-MP3-Encoder l3enc unter Verwendung einer gestohlenen Kreditkartennummer, modifizierte die Software und verteilte sie mit dem freundlichen Hinweis "thank you Fraunhofer" kostenlos im Internet. Nun konnte jeder mit einem halbwegs schnellen Rechner den Inhalt von Audio-CDs in handliche MP3-Dateien umwandeln, die sich selbst über langsame Internet-Verbindungen übertragen ließen. Ab 1998 tauchten alternative Encoder auf: Der wohl bekannteste Vertreter ist LAME ("LAME Ain't An MP3 Encoder"), der bis heute als einer der besten MP3-Encoder gilt. Er setzte ursprünglich auf einer Beispielimplementierung der ISO auf, kam seit Mai 2000 aber komplett ohne deren Quelltext aus.

Winamp war jahrelang untrennbar mit dem MP3-Erfolg verknüpft. "It really whips the llamas ass!"

Vor allem die FTP-Server (nicht nur) amerikanischer Universitäten wurden im Handumdrehen zu Umschlagplätzen ganzer CD-Kollektionen. Die Dateien waren anfangs nur auf dem PC abspielbar – eine Pentium-CPU sollte es dafür schon sein. Vor dem Erscheinen von Justin Frankels Shareware-Player Winamp war die Fraunhofer-Software WinPlay3 die einzige Möglichkeit, um unter Windows MP3-Dateien in Echzeit abzuspielen. 1999 kam der erste MP3-Hardware-Player auf den Markt: der MPMan F10 des koreanischen Unternehmens SaeHan Information Systems mit gerade einmal 32 MByte Speicher. Zwei Jahre später brachte Apple den ersten iPod heraus; dessen 5-GByte-Festplatte fasste immerhin 1000 Songs.

Bis zur Erfindung von Peer-to-Peer-Tauschbörsen wie dem auf MP3 spezialisierten Napster im Jahr 1999 war die Musikindustrie noch einigermaßen Herr der Lage, doch dann gab es kein Halten mehr. Plötzlich konnte jeder den Namen des gesuchten MP3s eintippen und es herunterzuladen. Napster wurde ebenso wie zahlreiche Trittbrettfahrer à la Audiogalaxy, Kazaa & Co. von der Recording Industry Association of America (RIAA) mit Klagen überzogen und musste dicht machen. Den Namen Napster gibt es zwar immer noch, aber nur noch in Form eines legal betriebenen Musikdienstes, der auch im aktuellen c't-Test der Musik-Flatrates von Apple vs. Spotify & Co. dabei ist.

Durchgerockt, läuft aber immer noch: ein iRiver iHP-120 mit alternativer Rockbox-Firmware

In den folgenden Jahren musste die Musikindustrie komplett umdenken und versuchte, brauchbare legale Angebote gegen Tauschbörsen und illegale Portale wie AllOfMP3 zu setzen. Nach einer Gängelperiode mit DRM-geschützten Songs in Musik-Downloadshops rückten die meisten Online-Musikläden im Jahr 2008 von DRM ab und verkaufen seither MP3s; bei Amazon bekommt man inzwischen beim Kauf von Audio-CDs mit "AutoRip"-Funktion sogar MP3-Fassungen als Dreingabe. iTunes und einige andere verkaufen AAC-Dateien, bilden damit aber eher die Ausnahme.

Der MP3-Algorithmus ist schon längst nicht mehr State of the Art. Bereits 2002 bescheinigten die Leser dem patentfreien Ogg Vorbis in unserem Online-Hörtest bessere Klangqualität bei gleicher Datenrate. Doch trotz effizienterer Nachfolger und Alternativen dominiert MP3 im Bereich der verlustbehafteten Audiokompression weiterhin, weil es weiterhin den besten Kompromiss hinsichtlich Effizienz und Verbreitung darstellt.

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An dem Siegeszug konnten nicht einmal Patentstreitigkeiten etwas ändern, die in den vergangenen Jahren auf Messen immer wieder für Aufregung sorgten. So ließ der italienische Patentverwerter Sisvel Messestände räumen, um Druck auf Firmen auszuüben, die keine Lizenzverträge für die von Sisvel verwalteten MPEG-Audiopatente abgeschlossen hatten. Inzwischen sind diverse MPEG-Audio- und MP3-Patente ausgelaufen; einige Patente laufen jedoch noch bis Ende 2017. Danach dürfte sich MP3 ohne Patent- und Lizenzgebühren einsetzen lassen, wenn wir kein Patent übersehen haben. (vza)