NSA-Skandal und kein Ende: Was bisher geschah

Seit inzwischen zwei Jahren geben die Enthüllungen rund um die NSA und ihre Partner einen Einblick in den gigantischen Überwachungsapparat westlicher Geheimdienste. Wir haben die bedeutendsten Erkenntnisse und wichtigsten Reaktionen erneut zusammengefasst.

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Inhaltsverzeichnis

(Bild: c't)

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Der NSA-Skandal auf heise online

Eine erste, zweite, dritte, vierte und schließlich fünfte ausführliche Zusammenfassung aller bekannten Informationen und Reaktionen hat heise online bereits geliefert.

Einen immer wieder aktualisierten Überblick über die Enthüllungen, Berichte und Kommentare zum NSA-Überwachungsskandal bringt auch die Timeline auf heise online. Außerdem hatten wir Anfang 2015 zusammengetragen, wie unterschiedlich Europa auf die Enthüllungen reagiert.

Inhalt:

Vor zwei Jahren trat der Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden an die Öffentlichkeit und enthüllte, dass westliche Geheimdienste die Bevölkerung stärker überwachen, als die lautesten Kritiker befürchtet hatten. Obwohl sich die Flut der Enthüllungen immer weiter fortsetzt, blieben wirkliche Konsequenzen aus, dank schützender Hände über den Überwachern. Geradezu beispielhaft erlebt das der deutsche NSA-Untersuchungsausschuss, dem das für die Geheimdienste zuständige Kanzleramt ständig neue Hindernisse in den Weg legt.

Wenig scheuen Geheimdienste so sehr wie das Licht der Öffentlichkeit. Deswegen ist eine der schwerwiegendsten Konsequenzen der Snowden-Enthüllungen, dass seit Monaten immer neue Details zur Arbeit des deutsche Auslandsnachrichtendienstes BND bekannt werden. Maßgeblich dafür verantwortlich ist der NSA-Untersuchungsausschuss, der seit mehr als einem Jahr versucht, Licht ins Dunkel der Überwacher zu bringen.

Überblick über den NSA-Skandal in inzwischen zwei Zeitleisten

Zehn Monate nach dem ersten auf Snowden-Dokumenten beruhenden Bericht über die Massenüberwachung von NSA und Co. hatten die Bundestagsfraktionen gemeinsam den Untersuchungsausschuss eingesetzt. Unter anderem sollte das Gremium klären, was an den Vorwürfen des Ex-NSA-Mitarbeiters Snowden dran war. Clemens Binninger (CDU), der damalige Vorsitzende, wollte auch ein Zeichen setzen, dass eine anlasslose Überwachung "mit unserem Verständnis" des Rechtsstaats nicht vereinbar sei.

Gelang es dem Gremium anfangs nur mühsam, neue Einzelheiten zutage zu fördern und das Thema NSA-Skandal auf der Tagesordnung zu halten, hat sich das zumindest teilweise geändert. Weil ausländische Geheimdienste wie die NSA außer Reichweite sind, konzentrierte sich das Gremium verstärkt auf den deutschen BND. Mit der Debatte um die NSA-Selektoren hat es ein heißes Eisen gefunden. Der BND soll für die Partner der NSA über Jahre hinweg weitgehend unkontrolliert Suchbegriffe in die eigenen Überwachungssysteme eingespeist haben. Darunter befanden sich offenbar Hunderttausende Begriffe, die nichts mit Terror zu tun hatten, deutschen und europäischen Interessen aber deutlich widersprechen. So hatte die NSA etwa nach "Eurocopter" und Politikern aus EU-Staaten forschen lassen.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Bisher können die Bundestagsabgeordneten nicht herausfinden, woran die NSA interessiert war, weil sie in die Liste der vom BND viel zu spät beanstandeten Selektoren keine Einsicht haben. Dafür müsste das zuständige Bundeskanzleramt die Liste für die Parlamentarier freigeben. Das ist bislang nicht geschehen und auch nicht geplant. Angela Merkel hoffte nach eigenen Angaben, dafür eine Genehmigung aus den USA zu erhalten. Wenig überraschend kam diese Genehmigung nicht. Das stellte die Kanzlerin vor die Frage, was sie für wichtiger erachtet: die Rechte des Bundestags oder die Beruhigung des US-Verbündeten. Als Minimalkompromiss soll ein Sonderermittler Einsicht in die Listen nehmen und dem Ausschuss Bericht erstatten. Dagegen wollen die Oppositionsfraktionen aber klagen – sie halten die Einsichtnahme für ein Recht des Parlaments.

Kritisch ist in diesem Zusammenhang auch der Umgang des Kanzleramts mit den Verhandlungen über ein sogenanntes No-Spy-Abkommen mit den USA. Nach Beginn der Snowden-Enthüllungen hatte die Bundesregierung in diese Richtung Verhandlungen aufgenommen, um den öffentlichen Druck abzumildern. Die Hoffnung war, dass die USA der Bundesrepublik zusichern, dass man gegenseitig auf Spionage und Überwachung verzichtet. Die USA haben mit vier Staaten ähnliche Regelungen abgeschlossen: Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Zusammen mit den USA bilden sie die Geheimdienst-Allianz der "Five Eyes". Offenbar wollte die Bundesregierung auch Deutschland in dieser Gruppe sehen.

In den Wochen vor der Bundestagswahl 2013 verbreitete die Bundesregierung konstant Optimismus, dass ein solches Abkommen erreichbar sei. Schließlich erklärte Kanzleramtsminister Pofalla sogar, die USA habe das Abkommen prinzipiell zugesichert: Der NSA-Skandal sei also gar keiner mehr und würde zu einem guten Abschluss gebracht. Jetzt, anderthalb Jahre später, zeigen veröffentlichte E-Mails, dass diese Erklärungen nicht den Tatsachen entsprechen. Vielmehr hatten die USA immer wieder klar zu stellen versucht, dass sie zu solch einem Abkommen nicht bereit seien. Doch erst Monate nach der – für die CDU/CSU erfolgreichen – Wahl gestand die Bundesregierung das Scheitern der Verhandlungen ein.

Ihren Ausgang genommen hatten diese Entwicklungen mit mit einem unscheinbaren jungen Mann, der im Sommer 2013 in einem Hotel in Hong Kong vor eine Kamera und die Weltöffentlichkeit trat. Am 9. Juni 2013 zeigte sich Edward Snowden für die Enthüllungen über ein immenses US-Überwachungsprogramm namens PRISM verantwortlich (siehe c't 14/2013). Sein ehemaliger Arbeitgeber, der US-Geheimdienst NSA, habe eine umfangreiche Infrastruktur aufgebaut, um möglichst jede Kommunikation abzufangen: "Sie haben keine Ahnung, was möglich ist". Snowden kündigte weitere Enthüllungen an und erklärte, in einer derart überwachten Welt nicht leben zu wollen. Seitdem haben Medien in aller Welt enthüllt, was die NSA, der britische Geheimdienst GCHQ aber auch der BND unternehmen, um jedwede Kommunikation zu überwachen – und dies nicht mehr nur auf Basis der Snowden-Dokumente.

Die wichtigsten NSA-Folien (13 Bilder)

Allmächtiger

Deutlicher kann man den eigenen Allmachtsanspruch wohl nicht zusammenfassen.

Dabei hat sich ein Bild unzureichend kontrollierter Nachrichtendienste verfestigt, die wenige Schranken akzeptieren. Immer wieder begründeten deren Vertreter ihr Vorgehen mit der Terror-Gefahr und verweisen auf gesetzliche Legitimierungen. Die müssen aber als zahnlos gewertet werden, wenn sie die Bevölkerung – vor allem Ausländer – nicht ohnehin im rechtsfreien Raum lassen. Auch dadurch sind die Geheimdienste selbst zur Gefahr für die Demokratie geworden. Diese hat außer halbherziger Reförmchen noch immer keine Antwort auf die Bedrohung gefunden; vielerorts ist das Interesse bereits wieder abgeflaut. In Frankreich und Australien wird die Überwachung inzwischen sogar weiter ausgebaut.

Ganz zu Beginn des NSA-Skandals hatte Edward Snowden enthüllt, wie die NSA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gemeinsam mit alliierten Geheimdiensten ein System zur Überwachung des Internetverkehrs aufgebaut hat. Dazu werden Daten entweder gezielt von Internetdiensten beschafft, beispielsweise anhand von Verfügungen eines Geheimgerichts, oder direkt an der Infrastruktur des Internet abgegriffen.

Zuerst wurde PRISM publik: Mit diesem Programm hat die NSA die Anfragen nach Nutzerdaten an verschiedene IT-Unternehmen automatisiert. Über Prism können Geheimdienstler nicht nur auf E-Mails und Chats zugreifen; auch Videos, Audios, VoIP-Kommunikation und Datenübertragungen stehen ihnen offen. Betroffen sind demnach AOL, Apple, Facebook, Google, Microsoft, Paltalk, Skype, Yahoo und Youtube.

Der britische GCHQ (hier das Zentralgebäude) brüstet sich als besonders erfolgreich.

(Bild: dpa, Gchq/British Ministry Of Defence)

Darüber hinaus wird im Rahmen eines Programms namens Upstream die Kommunikation direkt an großen Unterseekabeln abgefangen, etwa im Mittelmeer, Nahen Osten und an der britischen Küste. Hier tun sich die Briten offenbar besonders hervor. Intern rühmen sie sich, innerhalb der Five Eyes im größten Maßstab zugreifen zu können. Mit dem Programm Tempora "beherrsche man das Internet" ("Mastering the Internet"). Die Geheimdienste kooperieren laut Informationen der Süddeutschen Zeitung und des NDR mit einigen der größten Telekommunikationskonzernen, darunter Level 3. Einige von ihnen hätten ganz hilfsbereit sogar Software entwickelt, die bei der Überwachung hilft.

Auf diesen Wegen gelangen die Geheimdienste an Unmengen von Daten, die gesammelt und zumindest vorübergehend gespeichert werden. Verbindungsdaten – wer, wann und wo mit wem kommuniziert hat – und Inhalte der Kommunikation werden in unterschiedliche Datenbanken geleitet. Die Inhalte werden separat gespeichert, weil die Privatsphäre inländischer Personen in den jeweiligen Staaten gesetzlich geschützt ist. Verbindungsdaten genießen hingegen einen geringeren oder gar keinen Schutz. Ausländern, in diesem Fall etwa Deutschen, helfen solche Einschränkungen nichts: Datenschutzgesetze gelten für die Geheimdienste nur für die Bürger des jeweiligen Landes.

Freude bei der NSA über das Eindringen bei Google

(Bild: Washington Post)

Damit sind die Grenzen der Überwachungen aber noch lange nicht erreicht. So wurde bekannt, dass die Geheimdienste auch den internen Datenverkehr zwischen den Rechenzentren von IT-Riesen wie Google und Yahoo angezapft haben. Selbst wenn Anwender ihre E-Mails bei Google verschlüsselt abriefen, ließen sie sich dennoch abfangen, weil die Unternehmen ihren internen Traffic unverschlüsselt ließen. Als Reaktion kündigten mehrere Unternehmen an, künftig auch ihre internen Kommunikationskanäle zu verschlüsseln.

Mindestens in Afghanistan und auf den Bahamas zeichnet die NSA darüber hinaus alle Telefonate auf und speichert sie für 30 Tage. Dies geschieht unter anderem zu Testzwecken, wie Glenn Greenwald, der Zugriff auf die Snowden-Dokumente hat, im Mai 2014 enthüllte. Im Irak wiederum werde jede E-Mail, jede SMS und jede Standortinformation gesammelt. In Kenia, Mexiko und den Philippinen greift der US-Geheimdienst zusätzlich alle Verbindungsdaten zu Telefonaten ab.

Es ist davon auszugehen, dass all diese Überwachungsprogramme in den letzten beiden Jahren weiter ausgebaut wurden und werden. Die Enthüllungen sind nur die Spitze des Eisbergs.

Im Zuge der Enthüllungen wurde außerdem deutlich, wie Geheimdienste das totale Überwachungssystem verwenden, um gezielt gegen Einzelne vorzugehen. Den Gesetzen zufolge sollten das eigentlich Terroristen sein. Die Dokumente liefern aber auch Indizien für Spionage gegen Unternehmen und andere Regierungen. So enthüllte der Journalist Glenn Greenwald, dass in Brasilien das Bergbau- und Energieministerium ausgespäht wurde. Dort habe der kanadische Geheimdienst CSEC E-Mails, Telefonate und Handy-Nummern registriert.

Das Ministerium wurde wohl über sogenannte Man-on-the-Side-Angriffe angegriffen, wie der Journalist Jacob Appelbaum und der Spiegel später erläuterten. Wollte ein Spähziel – beispielsweise ein Administrator –, eine bestimmte Website besuchen, schaltete sich der Geheimdienst dazwischen. Dem Opfer wurde eine eigens eingerichtete Seite angezeigt, die nach außen hin aussah wie das Original, aber mit Schadcode infiziert war. Damit so etwas klappt, muss die Technik der NSA schneller sein als die Antwort des tatsächlichen Surf-Ziels. Die Geräte oder Software des Geheimdienstes müssen dazu physisch nahe am Auszuspähenden installiert sein. Da die Geheimdienste die globale Netz-Infrastruktur infiltriert haben, scheint dies kein Problem darzustellen.

Ende 2013 enthüllte Appelbaum eine Reihe weiterer Werkzeuge, mit denen die NSA einzelne Personen gezielt und intensiv ausforschen kann. Dazu gehören Sensoren, die an Bildschirmkabeln direkt Daten abgreifen, aber nicht aktiv weitersenden. Stattdessen würden sie aus der Ferne mit einem Radarsystem angestrahlt; aus dem reflektierten Signal werde dann der Bildschirminhalt rekonstruiert. Ähnliches gebe es für Tastaturkabel. Außerdem kann überwacht werden, was abseits eines Computers im Raum passiert – auch dies, ohne dass das Überwachungsgerät aktiv senden müsste.

Appelbaum zufolge lassen sich Rechner, Festplatten und andere IT-Komponenten auf vielfältige Weise manipulieren und ausforschen. Dazu würden unter Umständen auch online bestellte Komponenten während der Zustellung abgefangen und mit Wanzen präpariert. Für das Abfangen zuständige Einheiten seien nicht nur in den USA stationiert, sondern auch in Deutschland, Südkorea und China, ergänzte die Enthüllungsjournalistin Laura Poitras. In all diesen Staaten sitzen wichtige Gerätehersteller. Appelbaum erklärte auf dem 30. Chaos Communication Congress in Hamburg, dass sich die NSA damit rühme, jedes iOS-Gerät "knacken" zu können. Apple hat eine Kooperation mit der NSA dementiert.

Angriff auf Smartphones (3 Bilder)

Respekt sieht anders aus. Die NSA begrüßt, dass immer mehr Menschen ihrem Smartphone immer mehr anvertrauen: "Wer wusste wohl 1984,... (Bild: Spiegel)

Viele der aufgedeckten Angriffsmethoden funktionieren nur, solange die NSA über ein umfangreiches Arsenal an Schwachstellen und Sicherheitslücken von IT-Geräten verfügt. Statt diese den Herstellern zu melden, damit sie behoben oder geschlossen werden, nutzt der Geheimdienst sie aktiv aus, um seine Überwachung zu ermöglichen. Diese Strategie gefährdet alle, weil die offen bleibenden Lücken auch von anderen Angreifern ausgenutzt werden.

Zu Beginn seiner Enthüllungen hatte Edward Snowden noch erklärt "Verschlüsselung funktioniert!", was angesichts seiner sonst apokalyptischen Äußerungen zumindest etwas beruhigt hatte. Doch selbst wenn die mathematischen Grundmethoden den Angriffen tatsächlich gefeit sind, hat die NSA genügend Tricks auf Lager, um dennoch verschlüsselte Inhalte einzusehen.

Das belegte der Fall des E-Mail-Anbieters Lavabit im Oktober 2013. Dessen Betreiber Ladar Levison hatte sichere Kommunikation versprochen und damit unter anderem Edward Snowden als Kunden gewonnen. Kaum war dieser an die Öffentlichkeit getreten und seine E-Mail-Adresse bekannt geworden, zeigten sich US-Behörden neugierig. Im Geheimen drängten sie Levison, ihnen Zugriff auf Snowdens gespeicherte Daten zu gewähren.

Zunächst durfte Levison sich dazu nicht einmal öffentlich äußern. Später erklärte er, sich anfangs gewehrt zu haben. Letztlich sei er aber doch bereit gewesen, für den Geheimdienst spezielle Software zu schreiben, die einen Zugriff ermöglichen sollte. Darauf hätten die Behörden jedoch nicht vertrauen wollen. Stattdessen bestanden sie auf der Herausgabe der geheimen Server-Schlüssel, was die geschützte Kommunikation zwischen dem Dienst und seinen Kunden komplett offengelegt hätte. Levison wehrte sich mit Händen und Füßen – unter anderem, indem er den privaten SSL-Schlüssel als Ausdruck herausgab – in unleserlich kleiner 4-Punkt-Schriftgröße gedruckt. Schließlich wurde er gerichtlich zur Übergabe der Schlüssel verpflichtet. Daraufhin schaltete er seinen Dienst komplett ab.

Diese Details gelangten nur an die Öffentlichkeit, weil weil Levison eine Freigabe der Gerichtsdokumente durchsetzen konnte. Die Unterlagen untermauerten seine deutlichen Warnungen vor allen US-amerikanischen Internetdiensten – deren Verschlüsselung muss allgemein als kompromittiert gesehen werden.

Im Herbst 2013 wurden Vermutungen bestätigt, dass die NSA auch Computer-Standards manipuliert, um seine Überwachung zu erleichtern. Auf Basis der Snowden-Dokumente konnte aufgedeckt werden, dass der US-Geheimdienst in einen Pseudo-Zufallszahlengenerator des US-Standardisierungsorgans NIST eine Hintertür eingebaut hat. Nutzt eine Verschlüsselungsmethode diesen Generator, kann sie von der NSA umgangen werden. Dabei wurde der Kollateralschaden in Kauf genommen, dass der für Sicherheits-Software wichtige Standard allgemein geschwächt wurde und jetzt kein Vertrauen mehr genießt.

Der New York Times zufolge gibt es auch Hinweise darauf, dass die NSA notfalls auch in Systeme einbricht, um geheime Schlüssel an sich zu bringen. Auf diesem Weg entschlüsselte Nachrichten stellt der Dienst aber seinen Partnern nicht zur Verfügung, um das Vorgehen nicht offenzulegen. Das mache die NSA nur, wenn sie auf legalem Wege an die Inhalte gelangt sei.

Laura Poitras enthüllte darüber hinaus, dass die NSA Undercover-Agenten in Unternehmen platziert. Dort können die Agenten an vertrauliche Materialien wie private Schlüssel gelangen. Aufgrund dieser Informationen können SSL-verschlüsselte Verbindungen nicht mehr als sicher gelten – zumindest nicht zu zu US-Websites.

Wer die Enthüllungen verfolgte, musste sich frühzeitig darüber im Klaren sein, dass eine derart umfassende Überwachung vor niemandem Halt macht – genauer: nicht Halt machen kann. In Berlin hielt sich die Aufregung in Grenzen, bis der Spiegel Ende Oktober 2013 berichtete, dass auch die Bundeskanzlerin ein Spionageziel war.

Angela Merkel nutzt ihr Handy sehr intensiv.

(Bild: dpa, Maurizio Gambarini/Archiv)

Offenbar wurde Angela Merkel, die für ihre intensive Handynutzung bekannt ist, gezielt und seit Jahren überwacht. Viele Botschaften im Berliner Regierungsviertel sind gleichzeitig Geheimdienst-Lauschposten. Denen kam zugute, dass Merkel mehrere Handys nutzt, von denen nur einige durch Verschlüsselung abgesicherte Kryptohandys waren. Später wurde öffentlich, dass auch die Festnetzanschlüsse vieler Regierungsmitarbeiter überwacht wurden.

Gleich nach der ersten diesbezüglichen Enthüllung telefonierte die Kanzlerin mit US-Präsident Barack Obama, um sich zu beschweren. Er und das Weiße Haus versicherten ihr daraufhin nur, sie werde jetzt und in Zukunft nicht mehr abgehört. Auf die Vergangenheit wurde explizit nicht eingegangen – was Beobachter als implizite Bestätigung der ursprünglichen Vorwürfe werteten.

Anderthalb Jahre später wurde bekannt, dass auch Frankreichs Präsident François Hollande und mindestens zwei seiner Vorgänger ausspioniert wurden. Auch Hollande beschwerte sich und bekam aus Washington im Sinn dieselbe Antwort wie Merkel. Wie im Fall Deutschlands dürfte auch die – kurzzeitige – Empörung Frankreichs ohne Konsequenzen bleiben.

Deutsche Bürgerrechtler fordern, dass die Bundesrepublik Edward Snowden Asyl gewährt.

(Bild: dpa, Ole Spata)

Dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele war unterdessen bereits Ende 2013 ein regelrechter Coup gelungen, als er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Whistleblower Edward Snowden in Moskau besuchte. Snowden übergab ihm eine Botschaft an die Deutschen: Er sei zu einer Aussage in der Bundesrepublik bereit, wenn ihm zugesichert werde, dass er danach hier oder in einem vergleichbaren Land bleiben dürfe.

Dazu kam es allerdings nie. Im Mai 2015 soll Sigmar Gabriel gegenüber Glenn Greenwald erklärt haben, die USA hätten gedroht, Deutschland im Fall eines Asylangebots für Snowden von allen geheimdienstlichen Informationen abzuschneiden.

Auch wenn die Reaktionen deutscher Politiker enttäuschen mögen – weltweit fiel das politische Echo noch verhaltener aus. Eine wesentliche Ausnahme ist Brasilien. Dort hatte Präsidentin Dilma Rousseff erfahren, dass sie ebenfalls im Visier der USA stand. Dann wurde auch noch die Überwachung des Bergbau- und Energieministeriums bekannt. Um ihr Missfallen auszudrücken, sagte Rousseff einen geplanten Besuch in Washington ab.

Gemeinsam mit Deutschland brachte Brasilien außerdem bei den Vereinten Nationen eine – allerdings nicht bindende – Resolution ein, um die Privatsphäre im digitalen Zeitalter zu schützen. Hinter den Kulissen drängte die US-Regierung auf Änderungen an der Vorlage – größtenteils erfolgreich.

Immerhin wurde die deutlich entschärfte Resolution von der UN-Vollversammlung einstimmig verabschiedet. So besteht immerhin die Hoffnung, dass sie zumindest eine symbolische Wirkung entfaltet.

Auch das Europäische Parlament zur Aufarbeitung des NSA-Skandals einen Untersuchungsausschuss einberufen. Dieser litt bei seinen Sitzungen aber darunter, dass er hochrangige Zeugen nicht befragen konnte. So sagte der GCHQ-Direktor Iain Lobban seine Teilnahme ab. Auch Thomas Oppermann, damaliger Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, ließ sich entschuldigen. Edward Snowden erklärte dem Gremium in einer schriftlichen Antwort, Deutschland habe auf Druck der USA das G-10-Gesetz geändert, das hierzulande die Überwachung regelt.

In Großbritannien wurde ebenfalls ein parlamentarischer Ausschuss mit der Aufklärung der NSA-Affäre betraut. Der Ausschuss lud unter anderem die Chefs der drei wichtigsten nationalen Geheimdienste. Die Verantwortlichen für MI5, MI6 und GCHQ versicherten lediglich, man halte sich an alle geltenden Gesetze. Deutlich intensiver befragte der Ausschluss den damaligen Chefredakteur des Guardian – jener Zeitung, deren Berichte die Lawine überhaupt erst ins Rollen gebracht hatten. Alan Rusbridger musste seine Zeitung gegen Vorwürfe verteidigen, die Berichte über die Snowden-Dokumente hätten Terroristen geholfen.

Es gibt keine Anzeichen, dass die NSA-Affäre auf ein Ende hinsteuern würde. Fest steht schon jetzt, dass niemand vor der NSA und ihren Verbündeten sicher ist. Für die angestrebte totale Überwachung verwenden die Geheimdienste alle Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Wenn überhaupt, akzeptieren sie gesetzliche Einschränkungen offenbar nur bezüglich Bürger der Five Eyes. Die Privatsphäre deutscher Bürger – und aller anderen Staaten – bleibt ungeschützt.

Für frühere Zusammenfassungen der Enthüllungen zum NSA-Skandal siehe auch:

Zur Einordnung einige Kommentare:

Zu den technischen Hintergründen und der Rolle der Provider und Backbone-Betreiber bei der Überwachung durch die Geheimdienste siehe auch:

  • Willfährige Helfer: Provider unterstützen die Geheimdienste beim Datenschnüffeln
  • Globaler Abhörwahn: Wie digitale Kommunikation belauscht wird

(mho)