Neuer Bitkom-Chef hält Datensparsamkeit für veraltet und hinderlich

Thorsten Dirks, frischgebackener Präsident des Branchenverbands Bitkom, hat eine Bilanz der bald einjährigen digitalen Agenda der Bundesregierung gezogen und bestehende Datenschutzprinzipien als großes Hindernis ausgemacht.

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Bernhard Rohleder und Thorsten Dirks

Bitkom Geschäftsführer Bernhard Rohleder (l.) und der neue Bitkom-Präsident Thorsten Dirks

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

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Noch nachdrücklicher als sein Vorgänger Dieter Kempf hat der seit wenigen Wochen amtierende Präsident des Digitalverbands Bitkom, Thorsten Dirks, traditionelle Datenschutzregeln als Hürde für die vernetzte Wirtschaft ausgemacht. "Das Prinzip der Datensparsamkeit hat sich in fast allen Lebensbereichen überholt", erklärte der Telefónica-Chef am Montag in seinem vorläufigen Fazit zur knapp einjährigen digitalen Agenda der Bundesregierung. Er stützte so den Kurs der EU-Mitgliedsstaaten, die sich bei der in Brüssel verhandelten Datenschutzreform von diesem Ansatz weitgehend verabschieden wollen.

Ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen zur Privatsphäre der Bürger wäre eine "große Erleichterung" für die Unternehmen, betonte Dirks. Es komme aber auf die darin enthaltene Richtung an. "Wir wollen kein Supergrundrecht auf Datenschutz", betonte er. Dieser müsse abgewogen werden etwa gegenüber Informationsfreiheit.

Der Bitkom-Chef räumte ein, es sei wichtig, den Verbrauchern gerade im Lichte der NSA-Affäre "die Sicherheit zu geben, dass mit ihren Daten sicher umgegangen wird". So wie es immer wieder zu Wohnungseinbrüchen komme, werde es aber auch weiter Hackerangriffe mit kriminellem Hintergrund geben. Firmen und Behörden müssten daher transparent machen, welche Daten sie speichern und dem Bürger Kontrolle darüber geben.

Konkret wirke sich Datensparsamkeit derzeit etwa auf Startups im Bereich digitaler Finanzdienstleistungen und E-Health negativ aus, erläuterte Dirks. Über Smart Watches und Fitness-Tracker würden personenbezogene Informationen verstärkt mehr oder weniger beiläufig erhoben und zentral gespeichert. Europa sei bei den darauf basierenden Diensten aber noch "nicht an dem Punkt wie Amerika", wo weniger strenge Datenschutzregeln gelten.

Auch der E-Health-Gesetzentwurf der Regierung bleibe hinter den Möglichkeiten zurück: "Wir müssen hier deutlich mutiger werden", forderte der Branchenvertreter. Auch große internationale Akteure rüsteten sich bereits für diesen Markt. Es dürfe hier nicht soweit kommen wie im digitalen Konsumentenbereich, wo die großen Plattformen "alles amerikanische Unternehmen" seien, die nach dem Motto: "The winner takes it all" agierten.

Für Dirks ist daher klar: "Wir brauchen für Industrie 4.0 einen gesetzlichen Rahmen." Das laufende Spiel müsse damit in den Bereichen Business-to-Business, vernetztes und selbstfahrendes Auto, Maschinenbau sowie der Pharma- und Chemieindustrie gewonnen werden. Nötig seien "funktionierende digitale Ökosysteme" in allen Sektoren bis hin zur Landewirtschaft. Der Staat sollte sich dabei als Dienstleister sehen "dank E-Government und intelligenten Verwaltungsnetzen".

Genau hier habe die digitale Agenda aber noch eine Lücke gelassen, kritisierte der Unternehmer. Das Hausaufgabenheft des Kabinetts wertete er daher als wichtigen, aber nur allerersten Schritt in die richtige Richtung. Vorreiter in Europa sei Deutschland etwa mit der Versteigerung der 700-MHz-Frequenzen, die die Weichen für den weiteren Breitbandausbau nun stelle. Bei 60 Projekten der Agenda habe die Arbeit aber erst begonnen, bei 25 sei bislang noch nichts passiert. Es fehle etwa auch ein Gesetz für Wagniskapital, das Gründer auf der Suche nach Finanzmitteln nicht geradezu ins Ausland dränge.

Für unerlässlich hält Dirks auch mehr politisches Engagement für Bildung und Arbeit 4.0. Ein solches müsse bei der Ausstattung der Schulen und den Lehrplänen anfangen, die von der Grundschule an Medienkompetenz anbieten sollten. Lebenslanges Lernen sei neu auszurichten etwa auch auf den Elektriker, der mit der Heimvernetzung konfrontiert werde.

Auf EU-Ebene müsse ein digitaler Binnenmarkt geschaffen werden, "der ohne Subventionen die Wachstumschancen für die Unternehmen deutlich erhöhen wird". Die Kleinstaaterei müsse aufhören. Oberste Priorität in der Netzpolitik haben für die Branche nach einer aktuellen Bitkom-Umfrage unter 200 Mitgliedsfirmen der Breitbandausbau, eine Bildungsoffensive gegen den Fachkräftemangel sowie das Thema Vertrauen und Sicherheit. Nur knapp dahinter liegen Industrie 4.0 sowie der Ausbau Intelligenter Netze. (anw)