Mehr Realität für die Virtualität

Die Firma High Fidelity will virtuelle Avatare mit Mimik und Gestik ihrer Nutzer schaffen. Gründer ist der Second-Life-Erfinder.

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Auch wenn es Second Life noch gibt, der Hype um die virtuelle Welt ist lange vorbei. 2008 verließ Philip Rosedale die Firma Linden Lab, die das Computer-Universum erschaffen hatte. Was er nicht aufgab, war der Traum von einer allumfassenden virtuellen Realität. Nun will er ihn mit seiner neuen Firma High Fidelity verwirklichen, berichtet Technology Review. Mit VR-Brillen, 3D-Kameras und Bewegungssensoren sollen die Nutzer völlig eintauchen. Auf die Avatare will Rosedale die Mimik und Handbewegungen ihrer Nutzer projizieren. "In einigen Jahren werden wir virtuelle Welten haben, die viel größer sein werden als die reale Welt, in jeder Hinsicht", sagt der Kalifornier.

Second Life hat zwar nach wie vor rund eine Million Nutzer pro Monat, aber es war nie das große Ding, zu dem es viele Medien Mitte des ersten Jahrzehnts gemacht haben. Zu kompliziert war es, Häuser, Möbel oder andere Gegenstände zu bauen. Zu langsam arbeitete die Simulation, um wirklich eintauchen zu können. Mit High Fidelity will Rosedale das ändern. "Wir möchten, dass die Besucher untereinander auf emotional normale Weise interagieren", sagt Rosedale.

Zugute kommen ihm einige entscheidende Entwicklungen der vergangenen Jahre: Erste Laptops besitzen 3D-Kameras, mit ihnen lässt sich die Mimik der Nutzer aufnehmen und auf ihre Avatare übertragen. Geräte für die Gestenerkennung – wie etwa Leap Motion – sind klein genug, um sie in Computer einzubauen, Bewegungssensoren passen in Armbänder. So bekommen die digitalen Ebenbilder echte Handbewegungen. Vor allem aber stehen mit der Oculus Rift oder Modellen von Sony und HTC überzeugende VR-Brillen vor der Markteinführung.

Noch klappt das Zusammenspiel zwischen realer und virtueller Umgebung bei High Fidelity nicht reibungslos. Avatare brechen beispielsweise immer wieder seitwärts aus, weil der Input der Sensoren falsch gedeutet wird. Für Jeremy Bailenson, Leiter des Virtual Human Interaction Lab an der Stanford University, betritt Rosedale dennoch neuen Boden. "In Second Life waren die Gesichter halbwegs realistisch, aber es gab keine Möglichkeit, sie zu kontrollieren. High Fidelity hat das Problem gelöst", versichert er. Er habe es ausprobiert und tatsächlich das Gefühl gehabt, "einer anderen Person gegenüberzustehen".

Nötig ist für diese Illusion allerdings gewaltige Rechenpower. Rosedale hofft, sie über einen verteilten Ansatz zu bekommen: Jeder Nutzer soll Kapazität seines eigenen Computers zur Verfügung stellen. So können sie Digitalgeld verdienen, mit dem sie wiederum Güter in High Fidelity erwerben können.

Wie High Fidelity selbst Geld verdienen will, ist weniger klar. Das Programm ist Open Source, jeder kann seine eigene Umgebung erschaffen. "High Fidelity ist ein Netz virtueller Welten", betont Rosedale. Er will jedoch eine Art Adressverzeichnis anbieten, das die verschiedenen Welten verbindet. Dort können sich die Nutzer Einträge kaufen.

"Warum ins All reisen, wenn wir alle Geheimnisse, unbekannte Orte und neue Lebewesen in Computern erschaffen können?", fragt Rosedale. Folgerichtig sieht er Bildungseinrichtungen als eine der wichtigsten Zielgruppen. Der Schulbesuch könnte künftig also ziemlich abenteuerlich werden. (bsc)