"Landesverrat"-Ermittlung gegen Netzpolitik.org: Kanzleramt war seit April im Bilde

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat das Bundeskanzleramt bereits im Frühjahr über die Anzeigen gegen Netzpolitik.org informiert. Bisher hieß es, die Affäre sei dort erst jüngst aufgeschlagen.

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Bundeskanzleramt in Berlin

Das Bundeskanzleramt in Berlin

(Bild: dpa, Paul Zinken)

Lesezeit: 3 Min.
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Das Bundeskanzleramt wusste schon früher über die drohenden Ermittlungen gegen zwei Blogger von Netzpolitik.org wegen Landesverrat Bescheid als bislang angenommen. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat die Regierungszentrale schon am 21. April "am Rande einer Besprechung" erstmalig "mündlich und in allgemeiner Form" über die umstrittenen Strafanzeigen unterrichtet. Dies erklärt das Bundesjustizministerium in einer jetzt veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion.

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Bislang hatte die Regierung behauptet, die Affäre und ihre Brisanz sei im Kanzleramt erst Ende Juli mit den ersten Medienberichten über die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft gegen die Journalisten angekommen. Das Justizressort spricht auch jetzt davon, dass die Anzeigen vom März und April sich "gegen Unbekannt" gerichtet hätten.

Im Text der Ermittlungsgesuche werden die Publikationen zum Beispiel von Budgetplänen des Staatsschutzes auf Netzpolitik.org aber deutlich angeführt und auch der Autor der Beiträge sowie der Betreiber des Blogs genannt. Auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags, an die sich die Geheimpapiere richteten, wird in dem Schreiben an das Landeskriminalamt Berlin (LKA) aufgeführt. Damit dürfte den Informierten deutlich geworden sein, gegen wen sich die Anzeigen richten.

In der Runde im April waren offenbar Bundeskanzleramtschef Peter Altmeier, der Geheimdienstbeauftragte Klaus-Dieter Fritsche und ein Abteilungsleiter sowie Staatssekretäre unter anderem aus dem Innen- und dem Justizministerium dabei. Zumindest erläutert die Regierung, dass diese Personen "in der Regel" an dem Jour Fixe teilnehmen. Die Beteiligten hätten also schon damals aktiv werden können, um die sich abzeichnenden und mittlerweile wieder eingestellten Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Pressevertreter abzuwenden.

Das "Gutachten" zu "rechtlichen Ausführungen zur Frage des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses", das der Verfassungsschutz dem LKA übermittelte, hält die Regierung weiter zurück, da es als Verschlusssache eingestuft sei. Das Justizressort schweigt sich auch darüber aus, wer es erstellt hat. Entlocken ließ es sich nur, dass der Verfasser über "eine wissenschaftliche Ausbildung und die Befähigung zum Richteramt" verfüge. Ob in der Bundesregierung noch davon ausgegangen wird, dass es sei bei den Veröffentlichungen um Landesverrat handeln könnte, geht nicht aus den Antworten hervor.

Der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz hält mit den Auskünften "die Mär widerlegt", die Spitze der Bundesregierung habe von den Ermittlungen nicht gewusst und davon erst aus der Presse erfahren. Auch die anderen Ressorts und vor allem das Innenministerium seien zudem "sehr viel intensiver eingebunden" gewesen, als sie bislang zugegeben hätten. "Alle Beteiligten hätten durchaus die Gelegenheit gehabt, zu intervenieren", meint der Abgeordnete. Offensichtlich sei es ihnen aber wohl darum gegangen, die Presse und das Parlament einzuschüchtern. Insgesamt bleiben viele Fragen offen wie etwa, mit welchen Mitteln die Blogger überwacht worden seien. (anw)