Das Web in 3D

Der Spezialbrowser "SpaceTime" lockt Nutzer mit einem dreidimensionalen Surferlebnis. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das schon.

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Von
  • Kate Greene

Das New Yorker Start-up SpaceTime will das Internet umkrempeln. Sein gleichnamiger kostenloser Browser stellt Websites und Suchergebnisse als frei schwebende Objekte dar, die man im dreidimensionalen Raum durchblättern, organisieren und auch navigieren kann. Das grafische Konzept erinnert dabei an Videospiele aus der Ego-Shooter-Perspektive: Der Nutzer bewegt sich in einem virtuellen Raum.

Statt Gegner abzuschießen, können SpaceTime-Nutzer hingegen durch das Web "fliegen". Bewegt man sich nach links, rechts, hoch oder runter, lassen sich die Seiten abrufen, die man kürzlich angesehen hatte, und hineinzoomen. "SpaceTime ist auch deshalb interessant, weil sich das, was man sieht, ständig neu aufbaut – wie in einem Spiel, in dem man der Spieler jede Position einnehmen kann", erläutert Firmenchef Edward Bakhash.

Jeder, der bereits das neue Microsoft-Betriebssystem Vista verwendet hat, weiß, dass 3D-Ansichten nichts wirklich Neues sind. Dort lassen sich Fenster etwa in einem 3D-Stapel anordnen, die man dann nach gewünschten Inhalten durchsuchen kann, um sich das gewünschte Programm nach vorne zu holen. Die nächste Version des Apple-Betriebssystems Mac OS X bietet ähnliche Effekte – beispielsweise innerhalb der Backup-Lösung "Time Machine" und der Desktop-Organisationshilfe "Stacks". Laut Bakhash ist SpaceTime aber ganz anders, weil es "nicht im Betriebssystem verdrahtet" sei und dadurch eine dynamischere Navigation erlaube.

SpaceTime folgt dem allgemeinen Trend, von der zunehmenden Grafikpower moderner Rechner auch bei den Benutzerschnittstellen Gebrauch zu machen. So nutzt die Software explizit die Leistung aktueller Chips: "Normalerweise werden die ja dazu verwendet, Videospiele realistischer zu machen oder bessere Lichteffekte zu erzeugen. Bei SpaceTime nehmen wir diese Power, um dem Nutzer mehr Nutzwert an die Hand zu geben", meint Bakhash.

Die Software läuft unter Windows XP sowie Vista und arbeitet nur auf Rechnern vollwertig, die mindestens 128 MB Grafikkartenspeicher und 512 MB Hauptspeicher haben. SpaceTime sei zwar auch auf schwächeren Systemen getestet worden, doch dort funktioniere es nicht vollständig wie gewünscht, meint Bakhash.

Beim Start von SpaceTime sieht man eine Adressleiste am oberen Rand des Bildschirms – daneben ein Feld für Sucheingaben. So wie bei Firefox oder Internet Explorer 7 kann der Nutzer dann verschiedene Suchmaschinen auswählen. In der ersten Version sind das unter anderem Yahoo, Google, Flickr und eBay. Webseiten und Suchergebnisse werden in der Mitte des Bildschirms angezeigt und schweben über einem hellblauen Hintergrund mit Wolken. Am unteren Rand des SpaceTime-Bildschirms erscheint eine zweidimensionale Zeitleiste, in der man eine Thumbnail-Darstellung der abgeschlossene Suchvorgänge und der besuchten Websites abrufen kann. Links befindet sich außerdem ein (standardmäßig verstecktes) Fenster, in dem man die besuchten Websites auch über ein normales Aufklapp-Menü aufrufen kann.

Die Arbeit mit SpaceTime kann recht fordernd sein: Wer etwa mit Google sucht, bekommt plötzlich elf verschiedene 3D-Fenster auf den Schirm. Das erste enthält die Suchergebnisliste, die anderen Fenster gleich die ersten 10 Ergebnisseiten. Eines der Probleme mit zweidimensionalen Browsern sei, dass es "so zeitraubend ist, Suchergebnisse durchzugehen", meint Bakhash. Man müsse ständig auf den "Zurück"-Knopf drücken. In einer 3D-Oberfläche könne der Nutzer nun hingegen visuell entscheiden, was er brauche – und zwar schnell.

Ein bisschen Overkill sind all die geöffneten Seiten allerdings schon – die meisten Nutzer benötigen so viele Informationen nicht auf Anhieb. Bei einer eBay- oder Bilder-Suche sieht das schon anders aus: Hier zeigt SpaceTime nur die Fotos, nicht die ganzen Seiten. Mit dem 3D-Interface lassen sich diese dann schnell heranzoomen.

Hinter der SpaceTime-Grafiksoftware stecken laut Bakhash acht Jahre Arbeit. Ergebnis ist eine zum Patent angemeldete Technologie, mit der sich mehr als 60 offene Seiten und Bilder gleichzeitig darstellen lassen. Dazu wurde ein System entwickelt, das eine Überlastung des Grafikspeichers mit all den Daten verhindert, eine ausgangsoffene Navigation jedoch weiter erlaubt. Teil des Systems ist außerdem eine Erkennungsroutine, die ermittelt, was der Nutzer als nächstes sehen muss, wenn er sich durch die 3D-Umgebung bewegt.

SpaceTime soll auch Vorteile für "Power User" haben, die gerne viele Tabs oder Fenster gleichzeitig geöffnet haben. Im Gegensatz zu normalen Browsern verkleinert SpaceTime die Tabs nämlich nicht. Durch die 3D-Darstellung muss der verfügbare Raum nicht verkleinert werden – gleichzeitig kann man ständig auf bereits besuchte Seiten über die Zeitleiste und das Menü zurückgreifen.

Trotz all der netten visuellen Effekte sind sich Beobachter uneinig, ob SpaceTime ein Erfolg werden kann – oder wie die zahlreichen anderen 3D-Ansätze, die in den letzten Jahren kamen und gingen, wieder in der Versenkung verschwindet. Andries van Dam, Professor für Informatik an der Brown University, sieht vor allem die Gefahr der Nutzungsverlangsamung: "Die Leute nutzen 3D beim Surfen nicht, weil sie dadurch aufgehalten werden." Erst wenn eine Technik die Nutzung beschleunigt, mache sie Sinn. In der Praxis habe er aber noch keine 3D-Oberfläche gesehen, bei der dies der Fall gewesen sei.

SpaceTime kontert, man habe Nutzerstudien vorgenommen, die alle erdenklichen Zielgruppen umfassten. "All diesen verschiedenen Personen machte die Nutzung von SpaceTime Spaß", meint Firmenchef Bakhash. Besonders Spieler hätten das System schnell verstanden. Allerdings hat SpaceTime bislang noch keine Vergleichstests durchgeführt, wie sich die 3D-Technologie in Konkurrenz zu ganz normalen Browsern schlägt. Und schließlich: Das Web an sich bleibt flach. Die Inhalte dargestellter Seiten sind zweidimensional, wie sie erdacht waren.

In der nächsten Version von SpaceTime will der Hersteller nun noch weitere Funktionen einbauen – etwa RSS-Feeds, mehr Suchmaschinenmöglichkeiten und Vergleichsfunktionen, bei denen man Suchergebnisse nebeneinander platzieren kann. Außerdem wird sich die nächste Version die 3D-Positionen merken können. Alle Fenster bleiben dann am gewünschten Platz in der gewählten Orientierung. (bsc)