Wollsocken und Aktien

Die großen Bundestagsparteien befinden sich bereits im Wahlkampf und haben das Internet und die New Economy als Profilierungsthemen entdeckt. Doch mit den bislang vorgetragenen Patentrezepten in der Medien- und Wirtschaftspolitik lässt sich nur schwer punkten.

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Angela Merkel macht sich Sorgen um den Innovationsstandort Deutschland. Der Vorsitzenden der CDU ist eine Anzeige im Gedächtnis geblieben, in der ein Hochschulabgänger laut überlegt, in welchem Land er wohl am besten sein Startup hochziehen solle. Um im ‘internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe’ attraktiv zu sein, fordert die Politikerin daher, ‘brauchen wir ein gesellschaftliches Klima, das die Gründung eines Unternehmens anerkennt.’ Die zu schaffende ‘Kultur der Selbständigkeit’ verlange zudem nach ‘mehr Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital, zum Beispiel in Form von Aktienoptionen.’

Derartige Forderungen hätten deutsche Politiker vor zwei Jahren noch als reif für das Irrenhaus abqualifiziert. Heute präsentieren sich dagegen fast alle Parteien beseelt von einer neuen Gründerkultur. Im Beschluss ‘Informationsgesellschaft - green IT’ des kleinen Parteitags der Bündnisgrünen vom Herbst lassen sich beispielsweise einer Unternehmerpartei Konkurrenz machende Ziele nachlesen - etwa die Schaffung eines ‘positiven Klimas der Selbständigkeit’, in dem ‘Geschäftsideen schnell umgesetzt werden können’. Wie die CDU begrüßen die Grünen die verstärkte Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenskapital. Aktienoptionen sollten der Fraktion zufolge vom Finanzminister begünstigt und zum Zeitpunkt der Gewährung versteuert werden.

Trotz der traurigen Lage am Neuen Markt ist die New Economy auch für Siegmar Mosdorf keine schon wieder aus der Regierungspolitik zu streichende Eintagsfliege. Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium vergleicht sie vielmehr mit dem ‘Epizentrum der Veränderung unserer Volkswirtschaft.’ Kaum zu bremsen ist Mosdorf gar, wenn er auf die Chancen der europäischen Startups zu sprechen kommt: ‘Content ist das ‘funky business’, das das Kapital zum Tanzen bringt’, jubelt der SPD-Politiker. Seine Einsicht, die zunächst einem Buzzword-Generator der New Economy entsprungen zu sein scheint, hat er aus dem Buch ‘Funky Business’ der beiden glatzköpfigen Schweden Kjell A. Nordström und Jonas Ridderstråle gezogen. Die preisen ihr Werk als ‘Pflichtlektüre’ für alle an, ‘die versuchen, die Sprache und die Masche der neuen Ökonomie zu verstehen.’ Der Trendsurfer Mosdorf glaubt darin nun endlich einen ‘Beweis’ für seine langjährige These gefunden zu haben, dass in der Informationswirtschaft die Hardware an Bedeutung verliert und Inhalte immer wichtiger werden.

Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) will den vielfach ausgerufenen Wandel sogar konkret daran festmachen, dass es für junge Leute ‘nicht mehr erstrebenswert ist, im öffentlichen Dienst angestellt zu werden.’ Die Bereitschaft zur Selbstständigkeit sei enorm gewachsen, der ‘Megatrend’ zur kleinen Einheit in der neuen Unternehmenswelt nicht mehr rückgängig zu machen. Dem Wirtschaftspolitiker liegt vor allem daran, das Arbeitsrecht zu entschlacken, um den Entrepreneur-Spirit nicht zu unterwandern. Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, freut sich derweil über die ‘liberale Grundhaltung der Online-Szene.’ Er sieht die FDP als ideale Netzpartei, da der dezentrale, die Eigenverantwortung betonende Charakter des Internet den liberalen Vorstellungen von jeher entspräche.

Ob schwarz, ob grün, ob gelb oder rot - fast identisch klingende Thesen rund um die New Economy sollen Parteiprogrammen zu mehr Pepp verhelfen und Offenheit gegenüber dem Fortschritt signalisieren. Einzelne Politiker sind in einen eloquenten Wettstreit um die Ehre eingetreten, als kompetentester Ansprechpartner für die Belange der Startups akzeptiert zu werden. Doch ein paar englische Vokabeln und die Präsentation alter Rezepte im neuen Gewand helfen wenig, um sich selbst und die Neue Ökonomie zu beflügeln. Rhetorische Spitzenleistungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Politiker noch ziemlich ratlos dem Internet und dem Tempo der Gründer gegenüberstehen, die neben Steuerprivilegien vor allem eine allgemeine Entbürokratisierung auf ihrer Wunschliste ganz oben stehen haben und einen zentralen Ansprechpartner für alle Startup-Belange bei der Bundesregierung suchen.

Keine klaren Zielvorgaben lassen sich auch in dem 10-Punkte-Plan von Bundeskanzler Gerhard Schröder erkennen, der ein Destillat des im Herbst 1999 vorgestellten ‘Aktionsprogramms’ zur Informationsgesellschaft des Kabinetts ist. Dass selbst der junge Hoffnungsträger im Kanzleramt, Staatssekretär Hans Martin Bury, bei Vorträgen auf Fachkonferenzen der IT-Branche nicht über ein bloßes Referieren dieser Thesen hinauskommt, spricht für die Ideenlosigkeit der Regierungsspitze. Ein schwacher Trost kann da nur sein, dass auch der CDU wenig einfällt zur New Economy. Thomas Heilmann, der im vergangenen Jahr zum Internet-Sprecher der CDU gekürte Geschäftsführer der Agentur Scholz & Friends Berlin, bemüht sich zwar, der Parteivorsitzenden das Internet-ABC beizubringen. Der für den Herbst angekündigte ‘Entwicklungsplan’ für Bildung, Forschung und Wirtschaft im Zeichen des Netzes’, den die von Heilmann geleitete ‘Internet-Kommission’ ausarbeiten sollte, ist aber anscheinend zu Merkels vager Forderung einer Neuen Sozialen Marktwirtschaft verkommen.

Abzuwarten bleibt daher, welche Ergebnisse das Ende Januar von den Grünen ins Leben gerufene Forum ‘e-green’ bringen wird. Bundesvorstand und Bundestagsfraktion sehen darin einen Think Tank, der bei der Weiterentwicklung des Programms helfen und die Arbeit des von der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung betreuten ‘Netzwerks Neue Medien’ ergänzen soll. Vom Image einer reinen Ökopartei wollen sich die Bündnisgrünen gleichzeitig endgültig verabschieden. Für den nötigen Input sollen Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft sowie Gewerkschaftskreisen sorgen.

Unterteilt ist das Forum in vier Fachgruppen. Im Arbeitskreis Informationsgerechtigkeit sollen der Berliner Informatikprofessor Wolfgang Coy sowie Ute Bernhardt vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung bei der Klärung der Frage helfen, was zur Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft in User und Loser zu tun ist. Der Komplex Informationsfreiheit, worunter die Grünen Bereiche wie Datenschutz und Fragen der Überwachung des Netzverkehrs genauso fassen wie die Stärkung der Demokratie durch die Online-Kommunikation, wird unter anderem von den Politologen Claus Leggewie (Universität Gießen) und Jeanette Hoffmann (Wissenschaftszentrum Berlin) aufbereitet. Regulierungsfragen im Zusammenhang mit der Konvergenz von neuen und alten Medien werden in einem weiteren Arbeitskreis erörtert.

Natürlich darf in einem solchen Forum der Bereich Internetökonomie nicht fehlen. Denn in der grünen Partei dreht sich längst nicht mehr alles um ‘Wollsocken und Bauernhof’, sagt Sylvius Bardt, Geschäftsführer der Expertenvermittlung Questico. Neben dem Startup-Gründer und anderen Fachleuten aus der New Economy sowie von der IG Metall wird auch Margareta Wolf ihre neuen Erfahrungen als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium in diesen Diskussionskreis einbringen. Gemeinsame Positionen sollen zur Unternehmenskultur in Startups und zu allgemeinen Veränderungen in der Arbeitswelt gefunden werden.

Doch bis sich die Grünen tatsächlich als vernetzte Partei und Lobby von Startup-Gründern und Surfern präsentieren können, ist wie bei den anderen Fraktionen noch einiges Feilen am Image und am Programm nötig. ‘Wir wollen uns mit dem Forum auch auf Defizite aufmerksam machen lassen’, gibt Grietje Bettin zu, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Ihr Vorgänger Manuel Kiper, der inzwischen als Berater tätig ist, hatte vor einem Jahr noch schwere Geschütze gegen seine alte Partei aufgefahren. Er warf den alten Kollegen vor, ‘durch Unachtsamkeit in der Regierungsverantwortung ihr Image als Partei der Bürgerrechte und des Datenschutzes aufs Spiel gesetzt zu haben.’ Ob das Forum die Informationsgesellschaft nun grün färben kann, zeigt sich frühestens im Herbst. Dann sollen erste Ergebnisse der Arbeit der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Der ganzen ‘Begeisterung’ für die Neue Ökonomie enthält sich derweil nur noch die PDS. Laut ihrer Medienbeauftragten Angela Marquardt, die bereits während der vorangegangenen Legislaturperiode mit einem umstrittenen Link von ihrer Homepage auf die linksradikale Zeitschrift Radikal ein Zeichen gegen Zensur setzte, sieht sich die Partei eher als Korrektiv angesichts der plötzlichen Netz-Euphorie: ‘Die PDS spricht heute mehr über die Risiken des Internet - natürlich ohne die Chancen zu vernachlässigen.’ (jk) (jk)