Öde Orte

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Öde Orte

Neulich landete ich auf einer SMS-Party. Mit SM hat das zwar nichts zu tun, aber einen gewissen Hang zur Selbstqual unterstelle ich den SMS-Freaks allemal. Oder was soll ich davon halten, wenn zwanzig Leute in einem Raum zusammensitzen und mit stumpfem Blick auf bunten Handys herumtippen?

Einige Minuten später blicke ich durch: Die unterhalten sich alle miteinander, nur eben per SMS. Natürlich, warum bin ich nicht gleich drauf gekommen. Da entwickeln sich wenigstens abendfüllende Gespräche. Fassungslos verlasse ich den öden Ort. Vielleicht bin ich ja auch bloß neidisch, weil ich mir beim "Simmsen" regelmäßig die Finger verrenke.

Chatter sind mir fast genauso suspekt. Welch unglaubliche Zeitverschwendung, nächtelang vor einem Rechner zu sitzen, um irgendwelche Single-Börsen abzugrasen. Das Nervigste daran: Bisweilen meint man ja, unter all den Blendern und Schwallern ein halbwegs vernünftiges menschliches Wesen ausgemacht zu haben. Spätestens das erste Treffen bringt Ernüchterung: Beim Chatten hat offensichtlich die etwas pfiffigere kleine Schwester souffliert. Aber kein Problem: Mit einem gut sortierten Repertoire an Ausreden wie "Oh Gott, ich hab‘ die Herdplatte angelassen" bin ich noch immer entkommen.

Die Krönung der kleinen technischen Kontakthelferlein kommt aus New York als eine Art Hightech-Variante der Fisch-sucht-Fahrrad-Partys: eine Bar namens Remote Lounge, so ein waschechtes Multimedia-Teil mit einem Haufen flimmernder Bildschirme und Videokameras. Atmosphärisch wirkt das Ganze wie die TV-Abteilung bei Karstadt am Samstagvormittag - immerhin ohne quengelnde Kinder.

Da sitze ich nun an meiner zentralen Flirtstation mit dem äußerst originellen Namen "Cocktail Console" und habe alles im Griff. Kann mir den ganzen Laden erst mal aus sicherer Entfernung anschauen, jede x-beliebige Videokamera fernsteuern, all die Schönen und Coolen anvisieren, ihnen mit dem Zoomobjektiv so richtig auf den Pelz rücken - bis tief in die Nasenlöcher.

Anquatschen und Cocktails bestellen, das läuft hier alles über Instant Messaging. Darf ich die Leute noch klassisch von der Seite anreden oder muss ich sie erst mit IM-Gestammel und Smiley-Schwemme weich kochen? Darf ich ohne Voranmeldung mit dem Barkeeper schäkern?

Die künstliche Distanz durch Technik hilft, den ersten Schritt zu tun, das Eis zu brechen, versprechen die Marketing-Strategen. Alles Humbug! Sobald man sich gegenübersteht, sind die Lockerungsübungen des Vor-Chat doch sofort vergessen. Dann zählt nur noch der persönliche Eindruck. Sobald mein Gegenüber den Mund aufmacht, entscheidet sich, ob er mir sympathisch ist, ob ein netter Smalltalk, eine spannende Diskussion oder absolut gar nichts beginnt.

Immerhin: Eine IM-Abfuhr kratzt das Ego vergleichsweise geringfügig an, und Chat-gestählten Zeitgenossen mag der Flirt mit der Technik vielleicht Spaß bringen. Ich gehe zum Fernsehen lieber in die gediegene One-Media-Kneipe am Eck; dort hängen jeden Mittwoch 50 Augenpaare fasziniert an einem einzigen, briefmarkengroßen Bildschirm, um zu sehen, wie 44 Sportlerbeine einem kleinen, schwarz-weißen Ball hinterherjagen. Und die Stimmung ist ganz unverkrampft.

Andrea Trinkwalder (atr)