Für die ganze Bohne

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Für die ganze Bohne

"Java ist auch nicht mehr das, was es mal war!", "Wohl wahr, und Bill Gates ist auch nicht mehr, wie er mal war!", "Hmmm - auch das Internet ist nicht mehr wie früher."

Der aktuelle Streit um Java (siehe Seite 67) besitzt für den unbeteiligten Beobachter durchaus einen gewissen Unterhaltungswert. Nach einer kurzen Schwächeperiode - die ihren Höhepunkt in der Lizenzierung von Java fand - läuft Bill Gates zu neuer Höchstform auf.

Dabei hatte es so vielversprechend begonnen. Die aufkommende WWW-Euphorie in Kombination mit der "Programmiersprache des Internet" veranlaßten Microsoft zu einem Schwenk um hundertachtzig Grad. War Bill Gates bei seinem letzten derartigen Manöver - dem fliegenden Wechsel von OS/2 auf Windows - noch der Macher, der alle Fäden in der Hand hielt, fand er sich nun plötzlich in der Defensive wieder. Netscape schickte sich an, die Arbeitsumgebung der Zukunft zu definieren. Kaum ein Rechner mit Internet-Zugang, auf dem sich kein Navigator befand. WWW, Mail, News und dann auch noch diese Virtual Machine, auf der jedes Java-Programm läuft - egal mit welcher Hardware oder mit welchem Betriebsystem.

Aber Bill Gates reagierte schnell: Er lizenzierte Java von Sun, und seine Entwickler implementierten in Rekordzeit eine eigene Virtual Machine, von der selbst Java-Vater van Hoff zugab, daß sie Suns Original mindestens ebenbürtig sei. Im folgenden hörte man plötzlich neue Töne aus Redmond: Offenheit, Standardisierung und Zusammenarbeit.

Doch mit der zunehmenden Verbreitung des Internet-Explorers änderte sich der Tenor. Die Wintel-Allianz torpedierte Suns Anlauf, Java über die ISO zu standardisieren, forderte deren Verzicht auf das Warenzeichen und die Übergabe der gesamten Technologie an ein Konsortium. Gleichzeitig wurden Java-Applets von Microsofts Web-Server entfernt. Als vorläufiger Höhepunkt der Demontage erschien jetzt mit dem Internet Explorer 4.0 die erste Java Virtual Machine,

die zugunsten eigener Erweiterungen nicht mehr alle Sprach-Features unterstützt. Der Eigentümer von Java gerät zunehmend unter Druck. Schon zeigen Suns Konter erste Anzeichen von Hilflosigkeit. Die naheliegende, aber wenig realitätsbezogene Antwort, Microsoft möge mit gutem Beispiel vorangehen und Windows freigeben, führt ebenso wenig weiter wie die leere Drohung, Microsoft die Java-Lizenz zu entziehen.

Es sieht ganz so aus, als führte Microsofts erprobte Strategie, Innovationen anderer Hersteller zu übernehmen, weiterzuentwickeln und dabei mit den eigenen, proprietären Standards untrennbar zu verflechten, ein weiteres Mal zum Erfolg.

Andererseits ist Microsoft so isoliert wie selten zuvor, denn die gesamte Software-Industrie hat sich zu Java bekannt. Softwareentwickler und Anwender müssen keineswegs unbeteiligte Zuschauer einer Auseinandersetzung zwischen Sun und Microsoft bleiben. Noch haben sie die Chance, Gates' Allmachtphantasien mit einem eindeutigen Votum für ein plattformunabhängiges Java Einhalt zu gebieten, indem sie dem Internet Explorer 4.0 mit seiner unvollständigen Java-Implementierung eine klare Absage erteilen. Verliert der Internet Explorer Marktanteile, weil die ganzen Bohnen fehlen, sind die Karten wieder anders verteilt.

Aber das Internet - das ist wirklich nicht mehr das, was es einmal war.

Jürgen Schmidt (ju)