Das Internet bleibt spannend

Das Internet wird in den nächsten Jahren zur grundlegenden Infrastruktur der telekommunizierenden Menschheit werden. Es wird vor allem die Kommunikationsprozesse in der Geschäftswelt, zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und Kunden nachhaltig verändern. Daneben wird das Netz aber auch immer stärker in den Heimbereich eindringen - nicht unbedingt über den Computer, sondern eingebettet in alle erdenklichen alltäglichen Gegenstände, die sich mit einem Mikrochip ausrüsten lassen -- von der Waschmaschine bis zur Glühbirne.

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Diese aufregenden Entwicklungen erwartet zumindest Vinton G. Cerf, der als 'Vater des Internet' das Heranwachsen seines Kindes mal besorgt, mal optimistisch, aber immer mit Spannung verfolgt und als für die Entwicklung der Internet-Backbones verantwortlicher Vizepräsident bei MCI auch weiterhin prägt. Seit der beschlossenen Heirat des amerikanischen Carriers mit Worldcom ist Cerf strategisch zuständig für eines der größten zusammenhängenden Teilstücke des Internet: Der Megakonzern MCI Worldcom mit einem für 1998 prognostizierten Umsatz von rund 32 Milliarden US-Dollar verfügt über mehr als 2000 Einwahlknoten ins Netz und beherrscht nach Schätzungen der Gewerkschaft Communication Workers of America rund 63 Prozent des Internet-Backbones in den Vereinigten Staaten. Neben seiner Tätigkeit für MCI fungiert Cerf auch als Vorstandsmitglied der Internet Society (ISOC).

Die 'Vaterschaft' hängt dem Internet-Pionier an, seit er nach seiner Zeit als Programmierer bei der ARPA (Advanced Research Project Agency) 1973/74 zusammen mit Robert Kahn und anderen Kollegen das Internetprotokoll entwickelte. Tatsächlich verkörpert der inzwischen über Fünfzigjährige mit dem sauber getrimmten Bart und gut geschnittenen Anzug sowie der diplomatisch wohlwollenden Art auch in seiner Erscheinung eine Mischung aus einem Daddy und einem Dandy. Sein 'Lebenswerk' ist im Laufe der Jahre erwachsen geworden und leistet als TCP/IP im wesentlichen unverändert seine Dienste, auch wenn es dabei mit dem ungeheuren Wachstum des Netzes mithalten muß. Eine neue Version des Verbindungsstandards wartet allerdings bereits auf seine Implementierung.

Stefan Krempl unterhielt sich für c't mit dem Internet-Pionier, der aus der Hand des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton Ende 1997 einen Preis für seine technologische Leistung in Empfang nehmen durfte, über das schwierige Verhältnis von Telefongesellschaften und Internetprovidern, über die zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten und die Regulierung des Netzes sowie über dessen Geschichte.

c't: Sie sind für eine Telefongesellschaft tätig, die mit Ferngesprächen und Internetservice 1996 rund 18,5 Milliarden Dollar umgesetzt hat. Wie sehen Sie in Zukunft die Aufteilung des Geschäftes zwischen Telefon- und Datennetzwerk?

Cerf: MCI sieht das Internet im Jahr 2010 als die wichtigste Infrastruktur für alle Arten von Kommunikation. In unseren Netzen über den Atlantik erwarten wir bereits für 1999 einen Anstieg des Transports von Internetdaten auf über 50 Prozent. 2010 werden dann auch mindestens die Hälfte aller Telefongespräche weltweit über das Internet laufen. Andererseits wird das Telefonnetz natürlich nicht einfach von heute auf morgen absterben. Schließlich handelt es sich beim Telefon immer noch um einen zuverlässigen und guten Service - und in puncto Verläßlichkeit hapert es beim Internet bekanntlicherweise ja noch etwas.

c't: Die lokalen Telefonanbieter beschweren sich weltweit darüber, daß die Surfer die Leitungen verstopfen, während die Internetprovider den Telefongesellschaften Behäbigkeit und Unflexibilität vorwerfen. MCI steht als klassischer Long-Distance-Carrier etwas über dem Geschehen, hat allerdings seit dem Anfang der Kommerzialisierung des Netzes durch eigene Internet-Backbones und nun durch die Verbindung mit der stark auf das Datennetzwerk ausgerichteten Worldcom Akzente gesetzt. Wie wird sich generell das Verhältnis zwischen Telefongesellschaften und Internetprovidern entwickeln?

Cerf: Die Entscheidung, welche Netzwerke in Zukunft die Nase vorn haben, sollten wir vor allem dem Wettbewerb überlassen. Langfristig werden sich beide Lager sicherlich annähern. Schon heute machen die lokalen Telefongesellschaften mit dem Verkauf von Zweitanschlüssen ein großes Geschäft und bieten selbst eifrig Internet-Zugänge an, über die sie sich andererseits wiederum beschweren. Der Trend geht also insgesamt in Richtung Internet, auch wenn das Datennetz heute noch wie die Sahne auf dem Kaffee auf dem Telefonnetz aufsetzt. In Zukunft wird sich das Verhältnis zwischen den beiden Netzwerken aber eher umkehren.

Das Internet schließt nämlich mehrere Funktionen in den Kommunikationsprozeß ein. Es bietet einen komplexen Service, in dem die Übertragung von Stimme nur eine von vielen Facetten ist. Dazukommen können beispielweise andere Call Services wie die Möglichkeit von Rückfragen, während man sich gleichzeitig Grafiken und Texte auf einer Website ansieht, Möglichkeiten zur Diskussion mehrerer Teilnehmer miteinander oder das Pushen von Informationsdiensten. Diese Anreicherungen des Kommunikationsprozesses sind eine Folge des Einsatzes des Computers als Medium zwischen Sendern und Empfängern, bei dem die Art der Daten, die verarbeitet werden, keine Rolle mehr spielt. Durch das Internet wird es sogar gleichgültig, ob letztlich ein 'echter' Computer die Daten verarbeitet oder ein entsprechend ausgerüsteter Videorekorder.

c't: Könnten Sie ein paar genauere Beispiele geben, wie man sich diese neuen Kommunikationsdienste vorstellen kann?

Cerf: Am spannendsten finde ich es, die ganzen Haushaltsgeräte ans Netz anzuschließen. Ich denke dabei nicht nur daran, daß der Kühlschrank sich in Zukunft mit der Heizung austauscht, ob es in der Küche zu warm ist. Stromgesellschaften könnten beispielsweise Geräte wie Geschirrspülmaschinen kontrollieren und ihnen Strom genau dann zur Verfügung stellen, wenn gerade keine Spitzennachfrage herrscht. Strom- und Telefongesellschaften könnten in Zukunft ganz neue Allianzen eingehen oder auch Wettbewerber werden. Derartige Anwendungen hängen allerdings davon ab, daß sie zu einem erschwinglichen Preis angeboten werden. Das ist nicht unbedingt ferne Zukunftsmusik; die Programmierer müßten eigentlich nur damit anfangen, endlich Software für intelligente Netzwerkanwendungen zu schreiben. Und natürlich muß die Sicherheit derartiger Systeme garantiert sein: Schließlich möchte ich nicht, daß die Nachbarkinder mein Haus programmieren!

c't: Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer solchen alles mit allem vernetzenden Infrastruktur? Heute hat man schon Probleme, sich ein Video aus dem Netz zu laden. Wie sollen dann sensible und kritische Gerätschaften in einem Haushalt zuverlässig untereinander viel größere Datenmengen austauschen?

Cerf: Es ist wirklich schwierig, mit den wachsenden Bandbreitenanforderungen Schritt zu halten. Um die immer wichtigeren Echtzeitanwendungen zu meistern, wird es sicherlich nötig sein, unterschiedliche Preisstrukturen für die jeweiligen Serviceleistungen einzuführen. Ich hoffe, daß die Surfer - genau wie die Benutzer des Telefons - bald einsehen werden, daß die Abrechnung für die tatsächliche Nutzung oft gar nicht die schlechteste Wahl ist. Bei Pauschaltarifen ist die Versuchung groß, möglichst lange online zu bleiben und die verbrauchte Bandbreite nicht zu beachten. Das kann auf die Dauer nicht funktionieren. Der Markt wird hier sicherlich bald eine vernünftigere Preisstruktur hervorbringen, die sich selbst trägt. Wichtig ist außerdem, daß das Internet mit dem traditionellen Telefonservice noch enger zusammenwächst.

c't: Weltweit versuchen momentan Unternehmen, durch Satelliten ein flächendeckendes und bandbreitenstarkes Netzwerk aufzubauen. Entsteht da eine echte Konkurrenz für die Telefongesellschaften und könnten so die Anforderungen an das Netzwerk eventuell gemanagt werden?

Cerf: Das wäre eine Möglichkeit, auch wenn ich nicht daran glaube. Die Infrastruktur, die Satelliten oder auch Breitbandkabel zur Verfügung stellen, ist sicherlich wunderbar für Multicasting geeignet - allerdings wären wir damit fast wieder beim Fernsehmodell, bei dem ein und derselbe Inhalt zu großen Massen gesendet wurde. Doch die Ökonomie des Internet, die bisher erst von den wenigsten Unternehmen richtig analysiert worden ist, funktioniert anders: Im Internet rufen einzelne Personen individuelle Inhalte ab. Satelliten dagegen funktionieren nach dem Rundfunkprinzip. Damit kann man Programme - auch Softwareprogramme wie etwa ein Update - effizient unter die Leute bringen. Es hat allerdings keinen Zweck, eine Website an 20 000 Nutzer zu übermitteln, wenn nur einer sie sehen möchte. Außerdem ist die Satellitenübertragung teurer als das Erbringen einer vergleichsweisen Leistung über Glasfasernetze. In Ländern ohne jeglichen Anschluß an das Telefonnetz wie etwa in Zentralafrika kann die Satellitenkommunikation allerdings ein wichtiger Faktor werden.

c't: Wir haben bisher vor allem über die Zukunft des Netzes gesprochen. Hatten sie derartige Visionen eigentlich schon im Kopf, als sie an den technischen Grundbausteinen der Internet-Kommunikation gearbeitet haben?

Cerf: Ganz und gar nicht. Heute würde ich mir wirklich wünschen, daß ich damals bereits den Erfolg des Netzes hätte ahnen und in die technische Infrastruktur hätte einplanen können. Als ich als Student im Rahmen meiner Diplomarbeit bei der ARPA anfing, drehte sich alles nur um die Frage, wie man Datenpakete zwischen verschiedenen Computertypen übertragen kann. Zusammen mit meinem Kollegen Rob Kahn habe ich mir damals den Kopf darüber zerbrochen, wie wir unterschiedliche Computer über ein einziges Protokoll miteinander verbinden könnten. 1973 hatten wir dann das grundlegende Design dafür entwickelt - und es wurde mir schon damals schnell klar, daß dieses neue Protokoll vor allem kommerziellen Zwecken dienen würde, auch wenn damals der Auftrag eindeutig hieß, diese Technologie für das Militär zu erschließen. Während des Golfkrieges spielte die Internet-Technologie ja auch tatsächlich eine Schlüsselrolle in einigen Kommunikationsbereichen - und sie funktionierte.

Seitdem hat sich meine Blickrichtung deutlich erweitert und ich habe eingesehen, daß Regulierungsprobleme heute eine größere Rolle spielen als die rein technischen. Schließlich betrifft die Regulierung alle Bereiche des Netzes, hat Einfluß auf die verschiedensten Gruppierungen und Länder und muß deshalb auf möglichst breiter Ebene harmonisiert werden. Es hat mich auch schon einige Zeit gekostet, die Regulierer darüber aufzuklären, was das Internet überhaupt ist - vor allem im Kampf um den Communications Decency Act. Viele Politiker schaffen es allerdings immer noch nicht, sich ein umfassendes Bild vom Internet und seinen ökonomischen wie sozialen Auswirkungen zu machen, weil sie immer nur auf all die zu regulierenden Angelegenheiten schauen. Dadurch kann für einzelne Volkswirtschaften großer Schaden entstehen.

c't: Die deutsche Regierung hat Mitte 1997 gleich ein ganzes Bündel an Gesetzen rund um die Nutzung der 'neuen' Medien erlassen ...

Cerf: Wirklich? Ich verstehe ja die Motivation dahinter, aber können diese Regelungen denn nicht sowieso leicht umgangen werden, indem man seine Geschäfte aus dem Ausland anbietet? Eine Regierung kann das doch alles gar nicht überblicken. Andererseits stehen selbst nationale Regierungen nicht vollkommen machtlos dem Internet gegenüber, wie oft behauptet wird. Politiker können beispielsweise Steuern auf Transaktionen im Netz erheben. Nur die Auswirkungen solcher Beschlüsse sind schon schwieriger zu überblicken und oft fatal.

c't: Wie könnte Ihrer Meinung nach eine Regulierung des Internet aussehen? Brauchen wir überhaupt eine Art 'Gesetz für den Cyberspace'?

Cerf: Persönlich bin ich eher dagegen. Zumindest ist es noch zu früh dazu. Wir müssen erst noch mehr experimentieren mit dem Medium und der Technologie, bevor wir eindeutige Schritte unternehmen. Das Gute am Framework for Global Electronic Commerce von Ira Magaziner und der Clinton-Regierung war ja, daß es eine lebhafte Diskussion erzeugt hat. Auch MCI hat dazu ausführliche Stellungnahmen in seiner 'Internet Policy Vision (http://www.mci.com/aboutus/company/news/internetpolicy/index.shtml)' erarbeitet. Erst nach einem solchen Abwägen kann ein globaler Konsens gefunden werden. (ad) (ad)