Internet-Streik gegen die Telekom

Am ersten November sollen alle Deutschen auf das Surfen verzichten; Betreiber von Websites sind aufgerufen, ihre Homepages durch eine Streikseite zu ersetzen. Der Boykott soll die Telekom dazu zwingen, spezielle Telefontarife für die Online-Nutzung einzuführen.

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Zwei junge Internet-Nutzer entwickelten unabhängig voneinander die Idee, das Internet zu boykottieren und gingen Ende September nahezu zeitgleich mit entsprechenden Web-Seiten an die Öffentlichkeit. Angespornt vom Erfolg einer ähnlichen Aktion in Spanien plante der Zivildienstleistende Sören Frey zunächst, das Internet Anfang Dezember für 14 Tage zu bestreiken. Er legte sein Vorhaben mit der Initiative `User gegen Wucher´zusammen. Dessen Begründer, Thomas von Treichel, propagiert den Streik am 1. November.

Auch eine Gruppe kleiner und mittelständischer Unternehmen hat sich der Protestaktion angeschlossen und unterstützt den Boykott mit einer eigens eingerichteten Website. Mittlerweile hat die Streikwelle sogar die Schweiz erreicht: Der Züricher Christoph Ansermot fordert die Eidgenossen auf, sich ebenfalls am 1. November in Internet-Abstinenz zu üben.

Auch wenn die Bezeichnung `Internet-Streik´ etwas anderes suggeriert - die Proteste der Internet-Nutzer richten sich ausschließlich gegen die hohen Telefongebühren der Telekom für Ortsgespräche. So zahlt, wer nur zwei Stunden täglich in der Zeit von 18 bis 20 Uhr surft, monatlich zum CityCall-Tarif über 160 Mark an die Telekom.

Daß die Telekom für Ortsgespräche auch knapp ein Jahr nach der Öffnung des Telefon-Marktes derart hohe Gebühren für Ortsgespräche verlangen kann, liegt am De-facto-Monopol im Ortsgesprächsmarkt. Während der rosa Riese im Markt der überregionalen Leitungsnetze bereits starke Konkurrenz beispielsweise durch die Energieversorgungsunternehmen hat, liegt die sogenannte `letzte Meile´ der Telefonleitungen, die Verbindungen zu den Haushalten, fast ausschließlich in der Hand der Telekom. Andere Telefongesellschaften sind darauf angewiesen, die Anschlüsse zu den Wohnungen und Häusern von der Telekom zu mieten. Im Gegensatz zu den überregionalen Gesprächen können Mitbewerber Ortsgespräche daher nicht günstiger als die Telekom anbieten.

Wie die Gebühren für den Internet-Zugang ohne ein De-facto-Monopol aussehen könnte, zeigt das Beispiel der USA. Die dortigen Telefongesellschaften bieten unter anderem Tarifmodelle, bei denen Ortsgespräche durch einen pauschalen Betrag abgegolten sind (flat rate, [5]). Pacific Bell verlangt beispielsweise knapp 12 US-Dollar im Monat.

Hierzulande können nur vereinzelte, regionale Telefongesellschaften bereits vergleichbare Tarife anbieten. Wer zum Beispiel in Köln über NetCologne sowohl Telefon als auch das Internet nutzt, hat für pauschal 35 Mark im Monat alle Verbindungen ins Internet abgegolten, es fallen keine separaten Telefongebühren mehr an. Auch für Gelegenheitssurfer, für die sich der Pauschaltarif nicht rechnet, bietet NetCologne eine preiswerte `Call-by-Call´-Alternative zur Telekom: So kostet eine Online-Stunde in der Zeit von 18 bis 21 Uhr nur 1,20 Mark.

Ähnliche Tarife verlangen die Streikführer von der Telekom. Nutzer von Online-Diensten sollen maximal einer Mark pro Stunde oder pauschal 100 Mark pro Monat bezahlen. Die Streikführer wollen so den Zugang zum Internet für Schüler und Studenten bezahlbar machen. Auch den E-Commerce würden die momentanen überhöhten Gebühren blockieren, so Thorsten Weigl, einer der am Streik beteiligten Unternehmer. Eine Studie der Unternehmensberatung KPMG gibt ihm recht, derzufolge die hohen Telekom-Gebühren den E-Commerce behindern.

Im deutschsprachigen Internet wurde der Streikaufruf folglich überwiegend positiv aufgenommen. Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung der ersten Boykott-Seiten erreichten die Streikführer Hunderte von EMails, fast ausschließlich mit Lob und Zustimmung. Auf der `User gegen Wucher´-Seite haben sich bereits Hunderte von Domains eingetragen, die den Streik aktiv unterstützen werden. Auch der Heise-Verlag wird sich mit seiner Website am Streik beteiligen.

Damit der Sonntag den Streikenden ohne das Surfen nicht zu langweilig wird, haben diverse Gruppen schon Alternativen organisiert: In mehreren Städten trifft sich die Szene auf Streikparties. Die starke Resonanz lassen die Initiatoren frohlocken: Sie erwarten eine starke Beteiligung und hoffen, der Telekom eine empfindliche finanzielle Schlappe zufügen zu können. `Wenn sich 70 Prozent der Internet-Benutzer beteiligen, entstehen der Telekom ungefähr 10 Millionen Mark Verluste´, so Weigl.

Die Initiatoren erhoffen sich einen ähnlichen Erfolg wie beim Internet-Streik in Spanien. Dort löste eine Erhöhung der Gebühren für Ortsgespräche der dortigen Telekom, Telefónica, im September einen Streik aus. Die spanische Interessengemeinschaft der Internet-Nutzer, Asociación de Usuarios de Internet´ (AUI), organisierte den Protest. Parteien, Gewerkschaften und Verbraucherverbände unterstützten den Boykott. Die Telefónica lenkte schon nach zwei Wochen des für einen Monat geplanten Streiks ein und bot zwei Discountangebote an. Die Telekom sieht dem Boykott gelassen entgegen. Sie hält ihre Gebührenordnung für `marktgerecht´ und sieht keinen Grund zu Korrekturen. Jörg Lammers, Sprecher der Telekom, hält den Internet-Streik für ein Netzthema, das außerhalb des Internet kaum jemanden interessiere.

Auch wenn sich die Offiziellen cool geben: So ganz gleichgültig kann der Telekom der mit dem Streik verbundene Imageverlust nicht sein. Ob sie sich mit einer einmaligen Aktion in die Knie zwingen läßt, ist allerdings fraglich - zu dominant ist ihre Vormachtstellung im Ortsnetzbereich. Mitinitiator von Treichel will den Streik daher an den folgenden Sonntagen fortsetzen, bis sich die Telekom bewegt. (ipa/jo) (es)