Sexsperre für Online-Kids

Bund und Länder sind sich einig über strengere Regeln zum Jugendschutz im Netz. Demnach müssen Anbieter jugendgefährdende Inhalte künftig gegen den Zugriff durch minderjährige Surfer abschotten. Internetexperten halten die Pläne für unsinnig.

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Das Internet ist den deutschen Jugendschützern schon länger ein Dorn im Auge. Rund um die Uhr Sex und Gewalt auf Abruf - damit soll bald Schluss sein. Landesjugendbehörden und ihre gemeinsame bundesweite Zentralstelle www.jugendschutz.net wollen Jugendlichen den Zugriff auf entsprechende Websites in Zukunft deutlich erschweren. Das sieht der Entwurf des neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) vor.

Im Dezember hatten sich Bund und Länder nach jahrelangem Tauziehen um Befugnisse darauf geeinigt, dass prinzipiell die Landespolitiker über den Jugendschutz in den gesamten elektronischen Medien wachen und die strengen Regeln für den Rundfunk auf das Internet und alle elektronischen Online-Medien ausweiten dürfen.

Vor allem die Softpornobranche macht sich nun Sorgen um ihre Zukunft in Deutschland. Online werde in diesem Bereich hierzulande ‘recht viel Geld verdient’, sagt der Geschäftsführer des 430 Mitglieder vertretenden Bundesverbands Erotik Handel (BEH), Uwe Kaltenberg, und fügt nachdenklich ein ‘noch’ hinzu. Kaltenberg fürchtet, dass eine stärkere Reglementierung die Anbieter ins Ausland treiben könnte. Schon in den Niederlanden gelten wesentlich freizügigere Sitten, sodass die Server dort aufgestellt werden könnten.

Um den Exodus zu verhindern, will der BEH die Einigung über ein technisches Konzept zur Altersprüfung auf Sexsites forcieren. Derartige ‘Vorsperrtechniken’ verlangen die Länder im aktuellen Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, der spätestens im Frühsommer gesetzesreif sein und Anfang 2003 in Kraft treten soll. Kaltenberg spricht von erfolgversprechenden Verhandlungen mit der Behörde jugendschutz.net, die beispielsweise auch das X-Check-Verfahren der Düsseldorfer Firma Coolspot für gut befunden habe. Das Altersnachweissystem stützt sich auf gefaxte Personalausweise und ermöglicht den Zugang zu rund 86 400 Adult-Sites. Allerdings bevorzugt die Branche eine Lösung ohne Medienbruch, bei der die Zugangsberechtigung online überprüft wird.

Alternativ zu den Sperrtechniken sieht der JMStV auch eine ‘Sendezeitbegrenzung’ für Online-Medien vor. Anbieter nicht jugendfreier Inhalte dürfen demnach nur noch zwischen 23 und 6 Uhr unverschlüsselt nacktes Fleisch zeigen. Was im regional begrenzten Fernsehen eine anerkannte Methode ist, galt im weltweiten Internet allerdings bislang als nicht praktikabel. Schließlich ist es im Netz immer irgendwo 23 Uhr.

Friedemann Schindler, Mitarbeiter bei jugendschutz.net, hält eine solche Regelung jedoch für umsetzbar und verweist auf eine Applikation, mit der der Entwickler Carlos Hofmann derzeit auf seinem Usenet Replayer experimentiert. Dabei ‘sendet ein JavaScript-Programm die lokale Zeit des Client zum Server’, erklärt Hofmann. Zusätzliche Optionen zum Abruf einschlägig bekannter Newsgroups bekomme der Nutzer nur angezeigt, wenn seine Zeitangabe auf die Spanne zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens zeige.

Damit sich die Sperre nicht durch das Drehen an der Uhr am heimischen Rechner umgehen lässt, hat Hofmann zusätzlich einen Gegencheck der Uhrzeit eingebaut. Dazu nutzt der Tüftler eine Datenbank, die einzelne empfangene Datenpakete sowohl mit der eingestellten Lokalzeit des Surfers sowie den Uhreinstellungen von Servern abgleicht, die auf dem Weg der verschickten Bits liegen.

Dass die Idee mit der Sendezeitlimitierung auch nach hinten losgehen kann, zeigt ein Vorstoß des französischen MSN-Ablegers. Der strahlt seit kurzem ein ‘heißes Nachtprogramm’ mit Live-Strippern zwischen Mitternacht und drei Uhr ganz ohne Zeitcheck aus - für Jugendliche in den USA ein interessantes Vorabendprogramm.

Die Wirtschaft hält die Vorstellungen der Länder weit gehend für weltfremd. ‘Schon die Prämisse ist falsch, dass die für den Rundfunk geltenden Prinzipien auf den Online-Bereich übertragen werden sollen’, erklärt Sabine Köster-Hartung vom Deutschen Multimedia Verband. Im Kreuzfeuer der Kritik steht neben den Zeitenregeln auch die von den Ländern erwogene Einführung eines ‘positiven Rating’ von Websites. Darin sieht Arthur Waldenberger, Vorstand der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM), eine Verpflichtung zur Vorabkontrolle des gesamten Internet, was angesichts Milliarden von Seiten ‘Schwachsinn’ sei.

Zensur wittern die FSM und ihre Schwestergremien im Film- und Werbebereich auch angesichts der bevorstehenden ‘hoheitlichen Zertifizierung’ der Selbstkontrollstellen durch die neu zu schaffende Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM) der Länder. Auf diesem Wege könnte der Staat die ‘freiwillige Selbstkontrolle nach Belieben steuern und bis hin zu Einzelfragen ihrer Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung Einfluss nehmen’, empört sich Waldenberger.

Auch Netzpolitiker im Bundestag lehnen wesentliche Punkte im geplanten Jugendmedienschutz-Staatsvertrags ab. Der medienpolitische Sprecher der FDP, Hans-Joachim Otto bezeichnete den Jugendmedienschutz in Deutschland als ‘bereits klostertauglich’.

Rot-Grün im Bundestag dringt ebenfalls auf Nachbesserungen. Ein Antrag für eine neue Medien- und Kommunikationsordnung soll den ‘Dinosaurierdiskussionen über Sendezeitbegrenzungen und Lizenzpflichten fürs Internet einen Riegel vorschieben’, sagt Jörg Tauss, Beauftragter für Neue Medien der SPD. (hod) (ole)