Chaos-Nächte

Tanz auf dem Vulkan oder Kampf um Bürgerrechte? Während Hacker immer mehr in die Schublade ‘Terroristen’ gesteckt werden, veranstaltete der Chaos Computer Club e. V. (CCC) zum 18. Mal seinen alljährlichen Chaos Communication Congress (18c3) in Berlin. Fast 2500 Hacker fanden kurz vor Jahreswechsel den Weg in das Haus am Köllnischen Park in Berlin.

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Im Vordergrund des Chaos Communication Congress stand diesmal die zunehmende Kriminalisierung von ‘Hacking-Aktivitäten’. Angesichts der politischen Großwetterlage hat die Hackerszene zunehmend Angst, in die kriminelle Ecke gedrängt zu werden. Im Windschatten des 11. September würden weltweit ohne öffentliche Debatte alle erdenklichen neuen Gesetze verabschiedet, die tief in die Grundrechte der Netzbürger einschneiden, warnte Emmanuel Goldstein, Alt-Hacker aus New York, auf dem 18. Chaos Communication Congress, zu dem der Chaos Computer Club (CCC) zwischen den Jahren ins nach wie vor Ost-Charme versprühende Haus am Köllnischen Park nach Berlin geladen hatte. ‘Die Hacker werden zur Zielscheibe wie nie zuvor’, klagte der Abgesandte der Gruppe 2600. ‘Als ob wir die Flugzeuge in die Gebäude gesteuert hätten.’

Das Motto des diesjährigen Kongresses ‘Hacking is not a crime’ sollte dem entgegenwirken. Unter anderem sorgen sich die Computer-Freaks, die sich neben dem Austesten der Grenzen technischer Systeme dem Kampf für den freien Informationsfluss und dem Schutz privater Daten verschrieben haben, vor den bislang nicht gekannten Überwachungsbefugnissen von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten.

Ein Dorn im Auge ist den Technikliebhabern auch die Verabschiedung der umstrittenen Cybercrime-Konvention des Europarats, die ein Verbot von ‘Hackerwerkzeugen’ vorsieht. Ein rotes Tuch ist zudem die Europäische Urheberrechtsrichtlinie, die das Umgehen von Kopierschutzsystemen unter Strafe stellt. In den USA, wo mit dem Digital Millennium Copyright Act ähnliche, auf eine Vereinbarung der World Intellectual Property Organization (WIPO) zurückgehende Vorgaben bereits umgesetzt sind, ist die Verwertungsindustrie beziehungsweise das FBI bereits wiederholt gegen Forscher und Programmierer vorgegangen.

‘Eine ganz neue Form von Klageverfahren gegen Technikkreative und Hacker’ befürchtet daher nun Andy Müller-Maguhn, Sprecher des CCC und europäischer Direktor der Netzverwaltung ICANN. Die EU-Urheberrechtsrichtlinie sei ein ‘Quantensprung’, da sie an die Stelle des bisherigen Interessenausgleichs zwischen Urhebern, Verlegern, öffentlichen Stellen wie Bibliotheken oder den Nutzern eine Regelung setzt, die sogar schon die Verbreitung von Informationen über Werkzeuge zum Entfernen von Techniken zum Urheberrechtsschutz verbiete. Die Sorgen sind ernst zu nehmen, bestätigte den Hackern der Konstanzer Informationsökonom Rainer Kuhlen. Der Professor sieht den ‘Informationsfrieden’ zwischen der Medienindustrie und den Napster-gewohnten Verbrauchern gefährdet, wenn weiterhin bestehende Urheberrechtsverwertungsregelungen einfach auf den Umgang mit Wissen in elektronischen Räumen übertragen und einseitig die Schutzrechte der Konzerne vergrößert würden. Derartige Vorstöße hält Kuhlen für kontraproduktiv: ‘Märkte werden umso größer, je offener und freizügiger die Nutzung und Verbreitung von Wissen betrieben werden kann.’ Die Freaks ließen es sich gesagt sein und nutzten die gesponserte 34-Megabit-Funkstrecke, um das Hackernetzwerk in den größten File-Sharing-Knoten im Gnutella-Servergeflecht auszubauen.

Um Big Brother in die Schranken zu weisen, hat die europäische Hackergemeinde nun auf dem 18C3 gemeinsam mit gleich gesinnten Non Governmental Organizations (NGOs) den Aufbau einer Cyber-Rights-Union vorbereitet. Ziel ist es, in Brüssel ein Büro für das Lobbying auf EU-Ebene aufzubauen. Werbe- und Medienkampagnen sollen die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf Themen wie den Datenschutz und die Sicherung der Nutzerrechte in der digitalen Welt richten.

Seine Kampagnenfähigkeit will der CCC in diesem Jahr beweisen. Den neuen Gesetzesmaßnahmen konnte der Club bisher nur mit den üblichen Mitteln begegnen: Aufklärung und Pressearbeit in kleinem Rahmen. Im Hintergrund arbeitet der CCC als NGO in Fachgremien mit und betreibt in seinen organisatorischen Grenzen Lobbyarbeit.

CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn konnte bei einem Vortrag über die DNS-Blocka-den bei nordrhein-westfälischen Providern zwar interne Informationen der Bezirksregierung Düsseldorf präsentieren, bislang habe man aber noch kein Konzept, um sich gegen die Blockaden zu wehren.

Neben der politischen Diskussion hat sich auch das Brainstorming zu kommenden Sicherheitsalbträumen zu einem festen Bestandteil der jährlichen Hackersause entwickelt, bei dem so manchem Jungexperten ein wohliges Gruseln den Rücken hinunterläuft. Vor allem die fortschreitende Vernetzung Chip-bestückter Alltagsgegenstände bietet ihrer Ansicht nach breite Angriffsflächen. Die Horror-Visionen reichen von ‘blöden Internet-Kühlschränken’, die eigenmächtig 4000 statt zwei Liter Milch bestellen, über fernabfragbare Heizungsablesegeräte bin hin zu vernetzten Kopierern, die als ideale Wurm-Verteiler dienen.

‘Wir können auf spaßige Schadenfunktionen hoffen’, rieb sich der das Brainstorming mit einem guten Schuss Hacker-Ironie würzende ‘Ron’ die Hände. Der ehemalige CCC-Sprecher aus Hamburg wartet mit Sorge darauf, dass Nokia in diesem Jahr ‘mit schicken Betriebssystemen’ für Handys loslegt und damit Möglichkeiten schafft, Viren auf Mobiltelefonen auszuführen. ‘Richtig lustig’ werde es im drahtlosen Telefonverkehr, wenn Microsoft mit dem Handy-Betriebssystem ‘Stinger’ an den Start gehe. Bei den momentan pro Kilobyte abgerechneten Tarifen im mobilen Datenverkehr fragt sich der Hacker, was ein Nutzer bei einem Datenlawinen auslösenden ‘Denial-of-Service’-Angriff auf sein Telefon zahlen müsse.

Auch auf der ‘analogen Ebene’ gab es für Interessierte was zu sehen: Die Sportsfreunde der Sperrtechnik (SSDeV, www.lockpicking.org) veranstalteten wieder ihren traditionellen Lockpicking-Wettbewerb. Die Sieger, beziehungsweise Meister wurden in verschiedenen Kategorien wie Handöffnung (nur mit Tastbesteck), Hangschlossöffnung (Vorhängeschlösser), ‘Freestyle’ und Impressionstechnik ermittelt.

Neben den Vorträgen und Wettbewerben kam auch dieses Jahr der Spaßfaktor nicht zu kurz. Zum zweiten Mal fand das so genannte ‘Hacker-Jeopardy’ statt - eine Variante der bekannten amerikanischen Gameshow mit Alex Trebek. Die Kategorien waren entsprechend angepasst; in ‘/etc/magic’ beispielsweise mussten die Kandidaten Dateiformate anhand der ersten acht Bytes erkennen. Im Finale konnte Felix von Leitner erfolgreich seinen Titel verteidigen.

Ein trauriger Aspekt der Veranstaltung war, dass es der erste Kongress ohne den CCC-Gründungsvater Wau Holland war, der im Juli vergangenen Jahres im Alter von 49 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb. ‘Gerade in diesen Zeiten der Beschränkung bürgerlicher Freiheit vermissen wir Wau Hollands geniale Deutungen und Vorhersagen’, sagte Steffen Wernéry, Präsident des SSDeV und ehemaliges Vorstandsmitglied des CCC. Aber auch das kommentierte Holland schon zu Lebzeiten treffend: ‘Die Realität ist immer noch einen Zahn härter.’

Alles in allem zogen die Veranstalter wieder eine positive Bilanz. Ärger gab es wenig, auch Equipment sei nicht abhanden gekommen. Für manche erstaunlich: In der Szene herrscht eine tugendhafte Ehrlichkeit. Notebooks, die ohne Besitzer herumstanden, wurden auch nicht angefasst. Bei den Veranstaltern wurden sogar 30 Mark in bar abgegeben, die jemand verloren hat. (pab) (ole)