Chaos-NĂ€chte
Tanz auf dem Vulkan oder Kampf um BĂŒrgerrechte? WĂ€hrend Hacker immer mehr in die Schublade âTerroristenâ gesteckt werden, veranstaltete der Chaos Computer Club e. V. (CCC) zum 18. Mal seinen alljĂ€hrlichen Chaos Communication Congress (18c3) in Berlin. Fast 2500 Hacker fanden kurz vor Jahreswechsel den Weg in das Haus am Köllnischen Park in Berlin.
- Stefan Krempl
- Torsten Kleinz
Im Vordergrund des Chaos Communication Congress stand diesmal die zunehmende Kriminalisierung von âHacking-AktivitĂ€tenâ. Angesichts der politischen GroĂwetterlage hat die Hackerszene zunehmend Angst, in die kriminelle Ecke gedrĂ€ngt zu werden. Im Windschatten des 11. September wĂŒrden weltweit ohne öffentliche Debatte alle erdenklichen neuen Gesetze verabschiedet, die tief in die Grundrechte der NetzbĂŒrger einschneiden, warnte Emmanuel Goldstein, Alt-Hacker aus New York, auf dem 18. Chaos Communication Congress, zu dem der Chaos Computer Club (CCC) zwischen den Jahren ins nach wie vor Ost-Charme versprĂŒhende Haus am Köllnischen Park nach Berlin geladen hatte. âDie Hacker werden zur Zielscheibe wie nie zuvorâ, klagte der Abgesandte der Gruppe 2600. âAls ob wir die Flugzeuge in die GebĂ€ude gesteuert hĂ€tten.â
Das Motto des diesjĂ€hrigen Kongresses âHacking is not a crimeâ sollte dem entgegenwirken. Unter anderem sorgen sich die Computer-Freaks, die sich neben dem Austesten der Grenzen technischer Systeme dem Kampf fĂŒr den freien Informationsfluss und dem Schutz privater Daten verschrieben haben, vor den bislang nicht gekannten Ăberwachungsbefugnissen von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten.
Ein Dorn im Auge ist den Technikliebhabern auch die Verabschiedung der umstrittenen Cybercrime-Konvention des Europarats, die ein Verbot von âHackerwerkzeugenâ vorsieht. Ein rotes Tuch ist zudem die EuropĂ€ische Urheberrechtsrichtlinie, die das Umgehen von Kopierschutzsystemen unter Strafe stellt. In den USA, wo mit dem Digital Millennium Copyright Act Ă€hnliche, auf eine Vereinbarung der World Intellectual Property Organization (WIPO) zurĂŒckgehende Vorgaben bereits umgesetzt sind, ist die Verwertungsindustrie beziehungsweise das FBI bereits wiederholt gegen Forscher und Programmierer vorgegangen.
âEine ganz neue Form von Klageverfahren gegen Technikkreative und Hackerâ befĂŒrchtet daher nun Andy MĂŒller-Maguhn, Sprecher des CCC und europĂ€ischer Direktor der Netzverwaltung ICANN. Die EU-Urheberrechtsrichtlinie sei ein âQuantensprungâ, da sie an die Stelle des bisherigen Interessenausgleichs zwischen Urhebern, Verlegern, öffentlichen Stellen wie Bibliotheken oder den Nutzern eine Regelung setzt, die sogar schon die Verbreitung von Informationen ĂŒber Werkzeuge zum Entfernen von Techniken zum Urheberrechtsschutz verbiete. Die Sorgen sind ernst zu nehmen, bestĂ€tigte den Hackern der Konstanzer Informationsökonom Rainer Kuhlen. Der Professor sieht den âInformationsfriedenâ zwischen der Medienindustrie und den Napster-gewohnten Verbrauchern gefĂ€hrdet, wenn weiterhin bestehende Urheberrechtsverwertungsregelungen einfach auf den Umgang mit Wissen in elektronischen RĂ€umen ĂŒbertragen und einseitig die Schutzrechte der Konzerne vergröĂert wĂŒrden. Derartige VorstöĂe hĂ€lt Kuhlen fĂŒr kontraproduktiv: âMĂ€rkte werden umso gröĂer, je offener und freizĂŒgiger die Nutzung und Verbreitung von Wissen betrieben werden kann.â Die Freaks lieĂen es sich gesagt sein und nutzten die gesponserte 34-Megabit-Funkstrecke, um das Hackernetzwerk in den gröĂten File-Sharing-Knoten im Gnutella-Servergeflecht auszubauen.
Um Big Brother in die Schranken zu weisen, hat die europĂ€ische Hackergemeinde nun auf dem 18C3 gemeinsam mit gleich gesinnten Non Governmental Organizations (NGOs) den Aufbau einer Cyber-Rights-Union vorbereitet. Ziel ist es, in BrĂŒssel ein BĂŒro fĂŒr das Lobbying auf EU-Ebene aufzubauen. Werbe- und Medienkampagnen sollen die Aufmerksamkeit der breiten Ăffentlichkeit auf Themen wie den Datenschutz und die Sicherung der Nutzerrechte in der digitalen Welt richten.
Seine KampagnenfĂ€higkeit will der CCC in diesem Jahr beweisen. Den neuen GesetzesmaĂnahmen konnte der Club bisher nur mit den ĂŒblichen Mitteln begegnen: AufklĂ€rung und Pressearbeit in kleinem Rahmen. Im Hintergrund arbeitet der CCC als NGO in Fachgremien mit und betreibt in seinen organisatorischen Grenzen Lobbyarbeit.
CCC-Sprecher Andy MĂŒller-Maguhn konnte bei einem Vortrag ĂŒber die DNS-Blocka-den bei nordrhein-westfĂ€lischen Providern zwar interne Informationen der Bezirksregierung DĂŒsseldorf prĂ€sentieren, bislang habe man aber noch kein Konzept, um sich gegen die Blockaden zu wehren.
Neben der politischen Diskussion hat sich auch das Brainstorming zu kommenden SicherheitsalbtrĂ€umen zu einem festen Bestandteil der jĂ€hrlichen Hackersause entwickelt, bei dem so manchem Jungexperten ein wohliges Gruseln den RĂŒcken hinunterlĂ€uft. Vor allem die fortschreitende Vernetzung Chip-bestĂŒckter AlltagsgegenstĂ€nde bietet ihrer Ansicht nach breite AngriffsflĂ€chen. Die Horror-Visionen reichen von âblöden Internet-KĂŒhlschrĂ€nkenâ, die eigenmĂ€chtig 4000 statt zwei Liter Milch bestellen, ĂŒber fernabfragbare HeizungsablesegerĂ€te bin hin zu vernetzten Kopierern, die als ideale Wurm-Verteiler dienen.
âWir können auf spaĂige Schadenfunktionen hoffenâ, rieb sich der das Brainstorming mit einem guten Schuss Hacker-Ironie wĂŒrzende âRonâ die HĂ€nde. Der ehemalige CCC-Sprecher aus Hamburg wartet mit Sorge darauf, dass Nokia in diesem Jahr âmit schicken Betriebssystemenâ fĂŒr Handys loslegt und damit Möglichkeiten schafft, Viren auf Mobiltelefonen auszufĂŒhren. âRichtig lustigâ werde es im drahtlosen Telefonverkehr, wenn Microsoft mit dem Handy-Betriebssystem âStingerâ an den Start gehe. Bei den momentan pro Kilobyte abgerechneten Tarifen im mobilen Datenverkehr fragt sich der Hacker, was ein Nutzer bei einem Datenlawinen auslösenden âDenial-of-Serviceâ-Angriff auf sein Telefon zahlen mĂŒsse.
Sesam öffne dich
Auch auf der âanalogen Ebeneâ gab es fĂŒr Interessierte was zu sehen: Die Sportsfreunde der Sperrtechnik (SSDeV, www.lockpicking.org) veranstalteten wieder ihren traditionellen Lockpicking-Wettbewerb. Die Sieger, beziehungsweise Meister wurden in verschiedenen Kategorien wie Handöffnung (nur mit Tastbesteck), Hangschlossöffnung (VorhĂ€ngeschlösser), âFreestyleâ und Impressionstechnik ermittelt.
Neben den VortrĂ€gen und Wettbewerben kam auch dieses Jahr der SpaĂfaktor nicht zu kurz. Zum zweiten Mal fand das so genannte âHacker-Jeopardyâ statt - eine Variante der bekannten amerikanischen Gameshow mit Alex Trebek. Die Kategorien waren entsprechend angepasst; in â/etc/magicâ beispielsweise mussten die Kandidaten Dateiformate anhand der ersten acht Bytes erkennen. Im Finale konnte Felix von Leitner erfolgreich seinen Titel verteidigen.
Ein trauriger Aspekt der Veranstaltung war, dass es der erste Kongress ohne den CCC-GrĂŒndungsvater Wau Holland war, der im Juli vergangenen Jahres im Alter von 49 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb. âGerade in diesen Zeiten der BeschrĂ€nkung bĂŒrgerlicher Freiheit vermissen wir Wau Hollands geniale Deutungen und Vorhersagenâ, sagte Steffen WernĂ©ry, PrĂ€sident des SSDeV und ehemaliges Vorstandsmitglied des CCC. Aber auch das kommentierte Holland schon zu Lebzeiten treffend: âDie RealitĂ€t ist immer noch einen Zahn hĂ€rter.â
Alles in allem zogen die Veranstalter wieder eine positive Bilanz. Ărger gab es wenig, auch Equipment sei nicht abhanden gekommen. FĂŒr manche erstaunlich: In der Szene herrscht eine tugendhafte Ehrlichkeit. Notebooks, die ohne Besitzer herumstanden, wurden auch nicht angefasst. Bei den Veranstaltern wurden sogar 30 Mark in bar abgegeben, die jemand verloren hat. (pab) (ole)