Man sieht sich

Papa ist auf Dienstreise und winkt dem Sohnemann Gute Nacht, die Freundin im Auslandspraktikum hat nur noch halb so viel Heimweh - und wie sieht überhaupt die neue Frisur aus? Keine Frage, ‘Videofonieren’ macht viel mehr Spaß als Telefonieren. Außer einem Internet-Zugang und einer billigen PC-Kamera brauchen beide Gesprächspartner nur ein geeignetes Programm, damit sie sich live sehen und hören: weltweit, zu günstigen Onlinetarifen.

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Viele Anwender haben noch nie von Videotelefonie gehört, obwohl sie seit Jahren ein geeignetes Programm auf ihrer Windows-Festplatte haben. Andere halten nichts davon, weil sie den Begriff noch immer mit Spezialapparaten à la T-View 100 der Telekom (c't 7/99, S. 79) verbinden, welche die Konterfeis der Gesprächspartner holpernd und ruckelnd über die Leitung schickten. Doch wenn die Videotelefonie einen schlechten Ruf genießt, dann zu Unrecht. Heutzutage benötigt man eben kein teures Telefon mehr, sondern nur noch einen PC nebst Internetanschluss. Die Qualität ist durchaus brauchbar, schließlich hat sich seit den ersten Versuchen, das Ganze per Software zu erledigen, viel getan: Die Übertragungsraten haben zugenommen, die Kompressionstechniken sind besser geworden (man denke etwa an MPEG-4), die Rechner schneller. Videotelefonie gilt sogar als Killerapplikation für den kommenden Mobilfunkstandard UMTS. Und dass sich auch mancher Nachrichtensender die Berichte seiner Korrespondenten - in ordentlicher Qualität - über ISDN ins Studio schicken lässt, kann man jeden Abend im Fernsehen bewundern.

Die Hardware-Voraussetzungen für internetbasierende Videotelefonie hat jeder PC-Besitzer schnell geschaffen: Eine passende USB-Kamera gibts schon ab 50 Euro. Wenn Sie eigens eine anschaffen, sollten Sie darauf achten, dass sie sich möglichst nah am Monitor anbringen lässt, dann schauen Sie nur wenig am Gesprächspartner ‘vorbei’. Die ‘ToUcam’-Modelle von Philips etwa, die wir für diesen Testbericht verwendet haben, bringen eine entsprechende Halterung mit. Freilich eignet sich auch jede andere Videoquelle, vorausgesetzt, Sie haben einen Treiber dafür. Einen Vergleichstest von USB-Cams hat c't vor kurzem erst veröffentlicht [1].

Perfekte Videokonferenzen mit bildschirmfüllendem Format und 25 Bildern pro Sekunde wird kein Mensch ernsthaft erwarten, dazu ist das aktuelle Bandbreitenangebot noch zu schwach. Ein T-DSL-Anschluss - in Deutschland immerhin 2,5 Millionen Mal verlegt - bietet mit 768 kBit/s Downstream-Rate (von draußen) und 128 kBit/s Upstream-Rate (nach draußen) schon die Voraussetzungen für Bewegtvideo im Fenster mit 10 bis 15 Frames pro Sekunde (fps). Die Tonqualität erreicht dann in etwa jene, die man vom Telefonieren gewohnt ist. Noch besser eignen sich natürlich breitbandige A-DSL- oder S-DSL-Anschlüsse mit 192 oder 256 kBit Upstream-Rate.

Anwender, die zwei ISDN-B-Kanäle bündeln, erzielen damit immerhin auch schon eine Up- und Downstream-Rate von jeweils 128 kBit/s. Doch selbst eine einfache ISDN-Leitung (64 kBit/s) genügt, um ein einigermaßen ordentliches Bewegtbild inklusive Sprache zwischen zwei Gesprächspartnern zu übertragen, wiewohl sich die Programme in unserem Test bei solch schmaler Bandbreite zum Teil stark unterschieden. Während ein Kandidat knapp sieben Bilder pro Sekunde und gut verständlichen Ton übertrug, war ein anderer mit einem Bild/s und abgehacktem, kaum verständlichem Ton nicht zu gebrauchen.

Es müssen übrigens nicht beide Gesprächspartner über eine schnelle Leitung verfügen; manchem wird es auch genügen, in der einen Richtung (DSL) 15 fps, in der anderen Richtung (ISDN) vielleicht nur drei oder vier Frames pro Sekunde zu übertragen: Um dem quängeligen Kind, das nicht ins Bett gehen mag, nach Hause zu winken, reicht es schließlich allemal. Von der Videotelefonie auf Modembasis können wir hingegen nur abraten, es sei denn, Sie geben sich mit ein oder zwei Bildern pro Sekunde und reinem Text-Chat statt echten Gesprächen zufrieden. Mehr ist mit den 33,6 kBit/s Upstream heute gängiger V.90-Modems nicht drin. Neue V.92-Geräte schaffen beim Senden zwar schon 48 kBit/s, passende Gegenstellen sind bei Providern aber kaum im Einsatz.

Auf unserem Prüfstand trafen sich die Windows-Programme NetMeeting 3.01, Windows Messenger 4.6, CuSeeMe 5.0, InVDOChat 2.0, ICUII 5.5 und li-com 2.2 sowie drei Kandidaten, die unter Windows und Mac OS laufen - iVisit 2.8b4 beziehungsweise 2.7b6, DualView 3.11 und iSpQ Video Chat 5.02.

Einige Programme scheinen sich im Lauf der letzten Jahre vom Markt verabschiedet zu haben, obwohl man sie nach wie vor auf Download-Servern findet. Video VoxPhone Gold 2.0, ein Programm aus dem Jahre 1999, konnten wir nicht zum Übertragen von Video überreden. Da der Hersteller nicht auf unsere wiederholten Anfragen reagierte, musste es außen vor bleiben. Von Iris Phone 3.0 scheint es den Hersteller schon gar nicht mehr zu geben; die Website ist offline. Honey Com 4.0 wird zwar auf der Homepage des Herstellers noch angeboten, wer es kaufen möchte, stößt jedoch nur auf tote Links und abgemeldete Telefonnummern. Das Programm Alice von AVM hingegen, das in der neuen Version auch Videotelefonie über DSL anbietet, erreichte uns zu spät für diesen Test. Wir werden es in einer der kommenden Ausgaben einzeln vorstellen, ebenso wie die Linux-Software GnomeMeeting.

Außen vor gelassen haben wir reine Videochat-Applikationen, die keine ernsthafte Video- und Audio-Konferenz erlauben, zum Beispiel nur gelegentlich mal ein Standbild ohne Sprache oder ausschließlich Ton übertragen. Dazu zählen auch Add-ons zu Instant Messengern wie BuddyVision für AOLs AIM.

Die Größe des übertragenen Bildes variiert stark unter den Programmen. Manche senden nur ein briefmarkengroßes Konterfei, andere legen sich auf ordentliche 320 x 240 Pixel fest, wieder andere überlassen dem Anwender die Wahl - und damit zum Teil auch die Qual einer jämmerlichen Framerate. Stellt man nämlich eine zu hohe Auflösung ein, kommt unter Umständen beim virtuellen Gegenüber überhaupt kein flüssiges, sondern nur noch ein stehendes Bild an, weil der Rechner mit dem Komprimieren des Bildmaterials nicht nachkommt.

Die während einer Verbindung erzielte Framerate ermittelten wir, indem wir mit einem Rechner per USB-Kamera einen einfachen Testaufbau ‘filmten’, der allen Kandidaten eine einheitliche Bewegung vorspielte und die Kompressionsalgorithmen mit einem sich drehenden Bildmuster herausforderte. Auf einem zweiten Rechner, der je nach Testdurchlauf via ISDN oder T-DSL mit dem ersten verbunden war, ließen wir einen so genannten Screen-Movie-Recorder laufen, der den Inhalt eines bestimmten Bildschirmteiles kontinuierlich in eine Videodatei auf Festplatte speicherte. In dieser konnten wir schließlich die Framerate zählen. Da üblicherweise aber ein Mensch vor der Kamera sitzt, der sich nicht ständig bewegt, sondern vielleicht nur alle paar Sekunden mal den Kopf schüttelt oder nickt, ansonsten aber eher nur den Mund bewegt, sind die in der Checkliste auf Seite 106 in c't 17/02 angegebenen Frameraten als Mindestwerte zu verstehen. Unter ‘realen Bedingungen’ erreichten wir bis zu fünf Bilder pro Sekunde mehr.

Um die Tonqualität zu beurteilen, wären Messungen etwa des Frequenzganges weit übertrieben. Einige Programme schicken nämlich außer Sprache ein nicht zu überhörendes Rauschen mit über die Leitung. Unsere subjektive Bewertung ‘nach Gehör’, die Sie ebenfalls der Tabelle entnehmen können, sollte also vollkommen ausreichen.

Apropos Ton: Zwar bringen die meisten PC-Kameras bereits ein eingebautes Mikrofon mit, doch wer ein solches in Kombination mit PC-Lautsprechern verwendet, mutet dem Gesprächspartner unschöne Echos zu: Er hört das von ihm selbst Gesagte noch einmal verzögert über die Leitung. Ernsthafte Videotelefonierer sollten sich deshalb ein Headset zulegen, das es schon für ein paar Euro gibt. Bessere Sprachqualität versprechen Geräte ab 50 Euro. Eine Gesprächsverzögerung von ein bis zwei Sekunden muss man allerdings immer in Kauf nehmen, nach unseren Erfahrungen gewöhnt man sich aber schnell daran.

Einige Videokonferenzprogramme bewerben sich mit weitaus mehr Funktionen beim Anwender als der bloßen Übertragung von Bild und Ton. Manche organisieren Konferenzen etwa für die ganze Familie oder eine Arbeitsgruppe im Unternehmen, die Microsoft-Lösungen NetMeeting und Windows Messenger erlauben es ihren Teilnehmern, ein Dokument gleichzeitig zu bearbeiten oder gar den gesamten Desktop freizuschalten. So kann Söhnchen seiner Mutti auch gleich noch die neue Word-Version erklären.

Eine Punkt-zu-Punkt- oder auch Direktverbindung zwischen zwei Teilnehmern über Internet beherrschen alle Programme im Test. Vor allem, wenn Sie Videotelefonie mit Ihren Kindern anstreben, müssen wir Sie vor einer Gefahr aber explizit warnen: Einige Kandidaten bieten Chat-Räume, in denen sich Hobby-Exhibitionisten zum Cybersex treffen. Während es die meisten Erwachsenen wahrscheinlich nur kurz irritiert, Live-Aufnahmen eines masturbierenden Mannes zu sehen - bei manchen Programmen keine Seltenheit -, könnte es Kinder nachhaltig verstören. Obwohl die Räume üblicherweise eindeutige Namen tragen - ‘Adult’ oder ‘Nudes’ etwa -, kann es durchaus passieren, dass man sich beim ersten Herumprobieren ungewollt in einen solchen verirrt. Wir sind während unserer Tests sogar einige Male außerhalb solcher Räume von halbnackten Männern angerufen worden.

Wer ausschließen möchte, dass seine Kinder womöglich unbeaufsichtigt belästigt werden, sollte daher unbedingt Sicherheitsvorkehrungen treffen. Die der Programme reichen unseres Erachtens jedenfalls nicht aus: Einige sind zwar komplett passwortgeschützt, doch kann man sie ohne Passwort gar nicht verwenden. Bei anderen benötigt man nur ein Passwort, um die Räume für Erwachsene zu betreten. Üblicherweise definiert man das Passwort während der Installation selbst. Vor ungebetenen Besuchern außerhalb der Räume kann aber auch das nicht schützen. In einem Fall, iVisit, hat sich der Hersteller um den Jugendschutz offenbar besonders wenig Gedanken gemacht: Der Adults-Room ist zwar mit einem Passwort geschützt, doch erfährt man dieses nach einem einfachen Klick auf den leicht zugänglichen ‘Info’-Button! Neugierige Kinder, die lesen können, finden das sicher schnell heraus. Deshalb haben wir bei den einzelnen Programmbesprechungen mehr Platz für die Jugendschutzmechanismen oder das, was die Hersteller dafür halten, investiert, als man es von einem Artikel über Videotelefonie vielleicht erwarten würde.

Es gibt aber auch durchaus ‘anständige’ Programme im Test, bei denen die Gefahr sexueller Belästigung nicht unmittelbar besteht, weil es gar keine Chat-Räume gibt. Noch etwas sicherer ist die Methode, die Microsoft beim Windows Messenger verwendet: Verbindungen kommen nur zwischen eingetragenen Kontakten zu Stande; ‘versehentlich’ kann sich kein Benutzer bei einem anderen melden.

Alle Programme im Test initiieren ihre Verbindungen über Internet. NetMeeting kann man darüber hinaus auch so konfigurieren, dass Gespräche über Wählleitungen von einem Computer zum anderen stattfinden, doch haben wir diese Funktion nicht getestet. Die IP-basierende Videotelefonie stand im Vordergrund, und sie bringt ja auch einen entscheidenden Vorteil mit: Man bezahlt nur Onlinegebühren, die weit unter Ortsgesprächstarifen liegen und bei Flatrate-Besitzern gar nicht erst anfallen.

Über eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung kommt man nicht nur an Chat-Räumen vorbei, sondern erreicht auch eine höhere Übertragungsqualität. Bei den eher Chat-orientierten Programmen trifft man häufig auch den Verbindungsaufbau mit Hilfe eines Servers an. Welche Benutzer ein Programm gerade verwenden, zeigt ein Userverzeichnis an, manchmal auch ILS (Internet Locator Server), Directory oder Reflektor genannt. Eine Buddy-Liste gibt hingegen Aufschluss darüber, welcher der regelmäßigeren Gesprächspartner momentan für eine Unterhaltung zur Verfügung steht. Während das Userverzeichnis für alle Chatter interessant ist, die neue Kontakte knüpfen wollen, ist eine Buddy-Liste angenehmer Komfort für jeden Videotelefonierer, allerdings keineswegs bei allen Programmen Standard. Genauso groß sind auch die Unterschiede, wie man einen anderen Benutzer ‘anruft’: ob via IP-Adresse (umständlich, weil die sich bei Privatanwendern nach jeder Einwahl ändert), E-Mail-Adresse oder einen Nick- oder Spitznamen. Einige Kandidaten klinken sich in einen Instant Messenger, etwa den von Microsoft oder ICQ, ein, um die An- oder Abwesenheit eines anderen Benutzers anzuzeigen. Eine Option, dass eingehende Anrufe nicht automatisch angenommen, sondern erst in einem aufpoppenden Fenster angekündigt werden sollen, bieten alle Programme im Test. Die eigentliche Verbindung findet bei allen Kandidaten dann direkt von der einen IP-Adresse zur anderen statt.

Der Text-Chat ist für manchen Anwender eine willkommene Alternative zur Sprachübertragung; vor allem in Konferenzen nervt es, wenn alle durcheinander plappern. Wer sich über bestimmte Teilnehmer ärgert, kann diese in manchen Programmen sperren. Damit man zwischendurch auch mal in Ruhe arbeiten kann, gibt es üblicherweise einen ‘Nicht-stören’-Modus.

Die verwendeten Übertragungsprotokolle sowie die Audio- und Video-Codecs unterscheiden sich bei den Programmen so stark, dass kaum eines zu einem anderen kompatibel ist (siehe Checkliste auf Seite 106 in c't 17/02). Fast alle Kandidaten basieren auf proprietären Techniken anstelle einheitlicher Standards wie etwa H.323 oder SIP für die Verbindung und H.263 oder H.261 für die Videokodierung [2]. Weil überdies auch noch bestimmte TCP-Ports verwendet werden, kommt man mit keinem der Programme auf Anhieb durch eine Firewall oder einen Router. Wie es doch geht und wie ein Verbindungsaufbau überhaupt funktioniert, verrät der Praxisartikel im Anschluss.

[1] Klaus Peeck: Fern-Seher, 21 Webcams mit und ohne Foto-Funktion, c't 8/02, Seite 146

[2] Details zu H.263- und anderen Videocodecs: www-mobile.ecs.soton.ac.uk/peter/h263/h263.html, www.4i2i.com/h263_video_codec.htm

[3] Harald Bögeholz, Stephan Ehrmann: Wir sehen uns, Kostenlos bildtelefonieren über Internet, c't 9/99, S. 134 (se)