E-Pässe kommen ab November

Entgegen zahlreichen Warnungen von Datenschützern und Bundestagsabgeordneten boxte Bundesinnenminister Otto Schily im Kabinett die Einführung von Reisepässen mit biometrischen Merkmalen und RFID-Chip durch. Während Deutschland bei biometrischen ID-Dokumenten vorprescht, verstärkt sich auch in anderen Ländern die Kritik.

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Kurz vor dem sich abzeichnenden vorzeitigen Aus für Rot-Grün zeigte Bundesinnenminister Otto Schily noch einmal Handlungskraft: Mitte Juni setzte der SPD-Politiker mit nur zwei Tagen Vorlauf eine heftig umstrittene Verordnung zur Änderung des Passgesetzes auf die Tagesordnung für das Bundeskabinett. Ziel des Manövers war es, die von Schily erst drei Wochen zuvor präsentierten Pläne zur Aufrüstung der Reisepässe der Bundesbürger abzusegnen: Von November an sollen Pässe mit einem auf einem RFID-Chip gespeicherten digitalen Gesichtsbild ausgegeben werden. Als weiteres biometrisches Merkmal sollen ab 2007 zunächst Fingerabdrücke dazukommen (c't 13/05, S. 44).

Prinzipiell hatten die EU-Innenminister die Vorgaben hierfür Ende 2004 am EU-Parlament vorbei beschlossen - wobei ihr Zeitplan aber mehr Spielraum lässt, als jetzt genutzt werden soll (c't 26/04, S. 54). Dem Projekt kritisch gegenüberstehende Bundestagsabgeordnete quer durch alle Fraktionen hatten die Notwendigkeit gesehen, die nur scheinbar kleine Passgesetznovelle wegen ihrer gravierenden Wirkungen im Parlament zu beraten. Das Kabinett machte dagegen kurzen Prozess, verabschiedete ohne Debatte das Lieblingsprojekt des Innenministers und düpierte so die Volksvertreter. Nach der Zustimmung des Bundesrats steht der Einführung der E-Pässe damit nichts mehr im Weg.

Besonders vor den Kopf gestoßen fühlte sich der kleine Koalitionspartner. Die grüne Bundestagsfraktion hatte seit langem versucht, Schilys ambitioniertes IT-Großvorhaben mit bohrenden Fragen zumindest zu verlangsamen. Der Einsatz eines funkenden Chips erscheint den Fachpolitikern suspekt, die Sicherheit der sensiblen persönlichen Informationen nicht gewährleistet, die für den direkten Großeinsatz bei Millionen Bürgern ohne Probelauf vorgesehene biometrische Technik nicht ausgereift.

Dazu kam der lange Poker des Innenministers um die Kosten. Eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung hatte Gebühren pro Pass von bis zu 300 Euro bei Einberechnung der laufenden Kosten ins Spiel gebracht. Wie Schilys Mannschaft zusammen mit der IT-Industrie, die das Projekt sehr begrüßt, letztlich auf einen Stückpreis von 59 Euro kam, erscheint Experten schleierhaft.

Im Kabinett begrüßten auch die grünen Minister den überraschenden Beschluss als „wichtigen Schritt auf dem Weg zur Nutzung der großen Fortschritte der Biometrie für die innere Sicherheit“. Deutschland nehme so eine Führungsrolle in der EU ein. Besonders Außenminister Joschka Fischer soll nach dem ukrainischen Visa-Debakel klein beigegeben haben. Ein Aufschrei dagegen in der grünen Fraktion: „Der nun gegangene Weg ist schlicht demokratiefeindlich, da er den Bundestag einfach aus einem wichtigen Verfahren ausschließt“, wetterte die innenpolitische Sprecherin Silke Stokar. „Pikiert“ zeigte sich Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Vor allem, weil Schilys Hauptargument für die Eile - der Druck aus den USA mit einer eventuellen Visa-Pflicht für Reisende auch aus verbündeten Nationen - vom Tisch ist: Die US-Regierung hat ihre Frist wegen technischer und organisatorischer Probleme in vielen der so genannten Visa-Waiver-Staaten auf Oktober 2006 verschoben.

Aus Sicht des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar gibt es damit endgültig keinen Grund mehr, das von ihm wiederholt im Einklang mit den Datenschutzbeauftragten der Länder insbesondere wegen sicherheitstechnischer Bedenken geforderte Moratorium zu den E-Pässen abzulehnen. Schon im April war ihm der Chef des Innenministeriums, dem die Bundesdatenschutzbehörde formal angegliedert ist, daraufhin säuerlich über den Mund gefahren. Davon unbeeindruckt bezeichnete Schaar kurz vor dem Kabinettsbeschluss die mögliche Kaltstellung des Bundestags als „verfassungsrechtlich höchst problematisch“. Der Funkchip sei zudem überflüssig.

Angesichts der Pfeile des obersten Datenschützers der Republik platzte Schily der Kragen. Auf dem ungewöhnlichen Weg eines Radio-Interviews warf er Schaar Amtsmissbrauch vor und empfahl ihm Zurückhaltung. Der öffentlich Abgebügelte konterte mit dem Hinweis auf seine „gesetzlichen Aufgaben“, die Öffentlichkeit über wesentliche Entwicklungen zu unterrichten und seine Meinung kundzutun. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz verurteilte das „Schweigegebot“ ebenfalls scharf.

Auch in Großbritannien und Frankreich wird die Debatte um die dortigen ambitionierten Projekte zur Einführung neuer Identitätsnachweise mit biometrischen Merkmalen hitziger. Für Aufruhr auf der Insel sorgt eine Studie der London School of Economics, wonach der E-Pass nebst der geplanten zentralen Datenbank inklusive umfassendem Personenregister gut 435 Euro pro Ausweis kosten würde. Zudem bemängelt der Report, dass das Vorhaben weit weniger effektiv bei der Terrorbekämpfung sei, als von der Regierung angenommen. Ein Test des Innenministeriums mit mehr als 10 000 Freiwilligen kommt zu bedenklichen Ergebnissen: bei den Fingerabdrücken von 20 Prozent der Teilnehmer versagten die Systeme. Die weiteren parlamentarischen Verhandlungen dürften so schwieriger werden.

In Frankreich haben sechs zivilgesellschaftliche Organisationen ihr „Non“ zum biometrischen ID-Vorhaben der Regierung erklärt, nachdem diese aufgrund einer Online-Umfrage kosmetische Änderungen vorgeschlagen hatte. Sie befürchten, dass der Staat zu viel Macht über die Bürger erhält und fürchten den Verlust der informationellen Selbstbestimmung. Im französischen Innenministerium wird nun erwogen, das komplexe, mit mehreren zunächst getrennten Datenbanksystemen arbeitende Ausweisvorhaben zu verschieben und erst mal nur die Pässe EU-konform zu machen.

Auch den Schweizern steht eine Auseinandersetzung um die E-Pässe ins Haus. Gemäß einem Vorhaben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement soll das Ausweisgesetz im Herbst geändert und damit die Einführung von Pässen mit biometrischen Daten ermöglicht werden. Ein Pilotprojekt könnte im September 2006 starten. Anders als die Deutschen sollen die Schweizer zunächst frei entscheiden dürfen, ob sie den 162 Euro teuren E-Pass kaufen wollen. (anm)