Informationsfreiheit auf Probe

Die deutsche Verwaltung steht vor einer Zeitenwende: Herrschte seit Jahrzehnten das Prinzip des Amtsgeheimnisses aus der Kaiserzeit vor, bringt das neue Informationsfreiheitsgesetz ein allgemeines Recht der Bürger zur Akteneinsicht.

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Nun ist es doch geschafft und das Gesetz über das Anrecht von Bürgern auf Akteneinsicht und für mehr Verwaltungstransparenz verabschiedet. Besser ein schon bei der Verabschiedung verbesserungswürdiges Informationsfreiheitsgesetz als gar keines, lautete der Leitspruch bei den Liberalen vor der entscheidenden Abstimmung im Bundesrat am 8. Juli. Wussten sie doch, dass sie einen neuen Anlauf in der von ihnen erwarteten schwarz-gelben nächsten Regierungskoalition mit den von ihnen gewünschten weiteren Informationsansprüchen kaum durchbringen könnten. Zu schwer wogen die Bedenken bei der Union, die in den parlamentarischen Debatten des rot-grünen Lieblingsprojekts wiederholt eine Überlastung der Verwaltung durch Bürgeranfragen sowie einen Missbrauch des generellen Informationsrechts durch kriminelle oder islamistische Kreise befürchtet hatte.

Ganz gemäß der (teilweisen) Rückbesinnung der FDP auf ihre Wurzeln als Bürgerrechtspartei enthielten sich daher die Vertreter der liberal mitregierten Länder im Bundesrat. Entgegen der Ausschussempfehlungen zur Anrufung des Vermittlungsausschusses ließ die Länderkammer das von Rot-Grün lange vorbereitete Reformvorhaben also passieren. Das Informationsfreiheitsgesetz kann folglich Anfang 2006 in Kraft treten - versehen zunächst mit einem Haltbarkeitsdatum bis 2011. Bis dahin soll es ausgiebig evaluiert werden, denn so ganz traute Rot-Grün der eigenen Courage beim Plädoyer für die „gläserne“ Verwaltung nicht. Hatte die Ministerialbürokratie den Vorstoß der „Aktenstürmer“ in der vergangenen Legislaturperiode doch auch noch mit dem Abschotten ganzer Ressorts torpediert.

Das im Frühsommer bereits im Bundestag gegen die Stimmen der Union verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz ist voller Kompromisse. Mit Artikel 1 soll zwar ein „allgemeiner Anspruch“ auf Zugang zu amtlichen Informationen des Bundes geschaffen werden. Einschränkungen erfährt dieses Recht aber durch eine Reihe weit gefasster Ausnahmeklauseln.

Keine Akteneinsicht muss gewährt werden, wenn etwa nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen, sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr oder auf die Aufgaben der Finanz-, Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden entstehen könnten. Dasselbe gilt bei der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Anfragen können sogar mit der schwammigen Begründung abgewiesen werden, dass „fiskalische Interessen des Bundes“ tangiert seien. Industrieverbände pochten zudem auf einen breiten Schutz von Geschäftsgeheimnissen und des geistigen Eigentums: Sind Daten von Unternehmen mit betroffen, dürfen die Akten daher nur geöffnet werden, wenn die Betroffenen einwilligen. Sind personenbezogene Informationen im Spiel, kann eine Behörde dagegen selbst abwägen, wessen Interesse am Aktenzugang überwiegt.

Gegen die Ablehnung eines Auskunftsbegehrens besteht die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. Zudem kann jeder Abgewiesene den Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit anrufen, dessen Aufgabe der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar wahrnimmt. Der forderte die Verwaltung bereits auf, „ihre internen Abläufe und organisatorischen Strukturen so zu gestalten, dass sie ab dem Inkrafttreten des Gesetzes den anfragenden Bürgern innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Monatsfrist Informationen zugänglich machen können“. Schaar sieht die Bundesbehörden ferner in der Pflicht, über ihre jeweiligen Websites die Bürger über ihre neuen Rechte zu informieren. Er ist optimistisch, dass die Ämter die verbesserte Transparenz ihres Handelns als Chance zu einer bürgernäheren Verwaltung begreifen. Gisela Piltz, datenschutzpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, ruft die Behörden ebenfalls auf, das Gesetz „mit Leben zu füllen“. Zu gegebener Zeit könnten „ausufernde Ausnahmetatbestände“, die das Gesetz dem Auskunftsbegehren der Bürger in den Weg stellt, dann auch „reduziert werden“.

Das Informationsfreiheitsgesetz hatten insbesondere die Grünen in der Hoffnung vorangetrieben, die Demokratie sowie die Kontrollrechte der Bürger gegenüber dem Staat zu stärken. Auch die Korruption soll mit dem Gesetz bekämpft werden. Die SPD sah ebenfalls die Chance zur Förderung der „Bürgergesellschaft“.

Das neue Gesetz blieb aber hinter einem im April 2004 präsentierten Vorschlag zivilgesellschaftlicher Gruppen zurück. Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), begrüßt dennoch, dass endlich auch hierzulande der Weg frei sei für eine „effektive Beteiligung an Entscheidungsprozessen“ und für eine gerade für die Medien wichtige erweiterte Akteneinsicht. Kritisch sieht Christoph Bruch von der Humanistischen Union, dass die Informationsfreiheit in Deutschland anders als in vielen anderen Ländern nach wie vor keinen Verfassungsrang hat. Zudem bemängelt er die Antwortfristen: „Mit der Einführung einer ’Soll-Bestimmung’ statt verbindlicher Fristen besteht die Gefahr, dass eine kooperationsunwillige Verwaltung die Antwort auf den Sankt Nimmerleinstag verschiebt.“

Beatrix Philipp, die für die Union im Innenausschuss des Bundestags sitzt, spricht von einem „Experiment auf Zeit“. Man müsse abwarten, wie sich die „zahlreichen handwerklichen Fehler des Gesetzes“ in der Praxis auswirken würden. Die Bundesländer Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben dagegen insgesamt gute Erfahrungen mit ihren über das Pendant im Bund hinaus gehenden Informationsfreiheitsgesetzen gemacht. Die nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsbeauftragte Bettina Sokol sieht die späte Öffnung auf Bundesebene daher nun als Signal an die restlichen Bundesländer ohne Akteneinsichtsrecht, „zügig den Zugang auch zu den bei ihnen und den Gemeinden vorhandenen Verwaltungsinformationen zu öffnen“. (jk)