Raus aus der Analog-Ära

Auf der diesjährigen IFA soll endgültig bewiesen werden, dass die Tage von Analogfernsehen und -radio mit verrauschten Bildern und Tönen sowie festen Sendezeiten gezählt sind. Moderne Fernsehzuschauer lassen sich auf digitalem Wege von hochaufgelösten Fernsehbildern und glasklaren Klängen verzaubern und bestimmen Beginn und Ende ihres TV-Konsums selbst.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Nico Jurran
  • Peter Röbke-Doerr

Fast 40 Jahre, nachdem der damalige Vizekanzler Willy Brandt auf der Funkausstellung das Farbfernsehen in Deutschland startete, könnte die IFA 2005 die Initialzündung geben für die nächste Stufe des Fernsehens: „High Definition Television“ (HDTV) soll mit gegenüber PAL fünffacher Auflösung zunächst die Besuchermassen unter dem Berliner Funkturm begeistern, um dann am 1. November die gesamte Republik in seinen Bann zu ziehen - zu diesem Zeitpunkt will Premiere mit der High-Definition-Ausstrahlung von drei Programmen mit Filmen, Dokumentationen und Sport über Astra 19,2° Ost starten (siehe c't 4/05, S. 26).

Passend dazu zeigen Humax, Pace und Philips in Berlin ihre ersten HDTV-Receiver, die nach dem MPEG-4-AVC/H.264-Kompressionsstandard verbreitete TV-Programme wie eben Premiere HDTV empfangen können. Sie unterstützen auch bereits die neue digitale Satelliten-Übertragungsnorm DVB-S2, die eine um 30 Prozent bessere Ausnutzung der Satelliten-Übertragungskapazitäten sichert.

Doch nicht nur der Münchener Pay-TV-Sender, die Hersteller der Premiere-HDTV-tauglichen DVB-S-Receiver und die Anbieter von HDTV-fähigen Displays und Projektoren (siehe S. 30, c't 18/05) stimmen die Messebesucher auf HDTV ein: Nach Vorbild der amerikanischen Unterhaltungselektronik-Messe CES errichtet die Messe Berlin GmbH auf der IFA eine so genannte „HDTV Sports Bar“ von 550 qm Fläche ein, mit einem American Diner als Herzstück. Hier soll man in entspannter Atmosphäre auf rund 30 Flachdisplays Sportveranstaltungen in HD-Auflösung verfolgen können. Das Konzept wird durch verschiedene Lounge-Ecken, eine Tribüne sowie einen Basketball-Court abgerundet. Anders als in Las Vegas wird es allerdings voraussichtlich keine Live-Übertragungen geben, sondern lediglich Sport aus der Konserve.

Für HDTV-Fans, die über PC und DVB-S-Empfangsanlage verfügen, könnte sich auch ein Besuch der Stände von Anubis und Pinnacle lohnen. Die Unternehmen zeigen dort ihre DVB-S-Boxen mit USB-2.0-Anschluss, die bis zum Vergleichstest in c't 17/05 noch nicht fertig waren. Im Unterschied zu externen USB-1.x-Lösungen sind diese Geräte nämlich in der Lage, auch HD-Datenströme an den PC zu liefern.

Wie schon auf der CeBIT wird zudem auch der Video-on-Demand-Dienst von T-Online wieder in einem Showcase beweisen, dass man als PC-Anwender auch heute schon hochaufgelöste Videobilder ganz ohne Satellitenempfang genießen kann.

Natürlich ist auch den Verantwortlichen bei Premiere bewusst, dass sich nicht alle Messebesucher HDTV leisten können oder wollen. Der Pay-TV-Sender stellt daher in Berlin auch seine neue Video-on-Demand-Variante „Direkt+“ für Nutzer gewöhnlichen Satellitenfernsehens im PAL-Format vor. Hier werden automatisch bis zu sieben Filme pro Woche auf die Festplatte spezieller DVB-S-Receiver gespeichert, die der Nutzer dann gegen Gebühr für 24 Stunden freischalten lassen kann. c't konnte sich mit dem Humax iPDR-9800 den ersten Receiver für Direkt+ bereits anschauen; den Test finden Sie auf Seite 74.

Das Premiere-Angebot zielt vermutlich auf einen neuen Mitbewerber: Mit „easy.TV“ startet am 1. September 2005 nämlich für Deutsche und Österreicher über Astra 19,2°Ost ein neuer Pay-TV-Anbieter, der ohne Mindestvertragslaufzeiten auskommen will. Das gewünschte Programm wird über eine kostenpflichtige Telefonnummer für 30 Tage aktiviert und über die nächste Telefonrechnung abgerechnet. Das Komplettpaket mit den Kanälen Silverline (Spielfilme), AXN (Actionkost), National Geographic (Dokumentation), Extreme Sports (Sport) und dem Erotikprogramm erotik first soll monatlich neun Euro kosten, einzelne Kanäle sind bereits ab drei Euro zu aktivieren. Einzelne Filme des Vollerotik-Programms hotX kann man sich für sechs Euro freischalten lassen. Das Angebot wird mit dem System CryptoWorks verschlüsselt, für welches ein Entschlüsselungsmodul wie das bekannte „Alphacrypt“ erforderlich ist. Die Smartcards für easy.TV sollen ab dem 1. September über den Fachhandel vertrieben werden.

Die ARD möchte zur IFA ihr gesamtes Hörfunkangebot über den Satelliten Astra im DVB-S-Verfahren ausstrahlen. Bislang erreichen bis auf wenige Ausnahmen nur die Kultur- und Informationsprogramme auf diesem Weg den Hörer. Radioprogramme, die via Astra derzeit analog oder im veralteten ADR-Modus gesendet werden, sollen nach der Aufschaltung der Digitalpakete aber weiterhin eingespeist werden. Mit der Aufschaltung wird sich das bisherige deutschsprachige Angebot an digitalem Hörfunk im DVB-S-Format via Astra auf gut 100 Stationen verdoppeln.

Ein großes Durcheinander herrscht weiterhin bei der Frage, welches digitale Verfahren einmal das Erbe des analogen UKW-Rundfunks antreten wird. Laut Dr. Hege von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und Andreas Fischer von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt hat dies seine Ursache in der hohen Qualität des FM-Radios. Das Handling dieser betagten Technik sei einfach so überragend, dass der Verbraucher nur sehr schwer überzeugt werden kann, sich ein neues Gerät zu kaufen - vor allen Dingen, wenn es nicht „mehr“ kann als das alte.

Die Akzeptanz eines neuen Formats hängt somit nicht zuletzt vom Programmangebot ab. Und in diesem Zusammenhang stellt sich langsam die Frage, ob das Digital Radio - vormals DAB (digital audio broadcast) - nicht sogar bereits überholt ist. Entgegen früheren Ankündigungen ist DAB auch 2006 noch nicht flächendeckend verfügbar; im Norden gab es bislang nur wenige Empfangsinseln mit lediglich sechs Programmen. Zudem stammen diese allesamt aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich, da sich die Privaten nach dem Ende der Subventionierung zurückgezogen haben. Und wenn es nicht mehr Programme gibt, kaufen sich Verbraucher auch kein neues Gerät; die wenigen Geräte und damit die wenigen Hörer dienen dann den Programmanbietern als Ausrede - und so ist der Kreis argumentativ geschlossen.

Den Umschwung soll nun zur Fußballweltmeisterschaft ein neuer Versuch in Form des „Digital Multimedia Broadcast“ bringen, bei dem Navigationshinweise und Bewegt-Bilder oder auch andere digitale Inhalte auf die Displays von DAB-Autoradios übertragen werden. Dies ist natürlich für die gesamte Automobilbranche interessant, da sie damit einen direkten Kanal ins fahrende Auto bekommt.

Die zweite digitale Rundfunk-Baustelle ist Teil von DVB-T, dem digitalen terrestrischen Fernsehen. Mit Rücksicht auf das kränkelnde Kind DAB hat man bisher keine Radio-Kanäle aufgeschaltet, die im Testbetrieb 2000 durchaus vorhanden waren. Im übrigen europäischen Ausland ist die Audioübertragung gang und gäbe - allerdings ist dort die UKW-Versorgung nicht ganz so lückenlos wie bei uns. Diese Rücksichtnahme endet mit der diesjährigen IFA: von TechniSat werden 12 Audio-Sparten-Programme kostenlos in Berlin zugänglich gemacht (siehe Tabelle), die das Unternehmen über Satellit nur gegen Gebühr anbietet; private Sender steuern mindestens vier weitere Programme bei.

DAB-Hersteller sehen die Digital-Radio-Zukunft allerdings durchweg positiv; so vergleicht beispielsweise David Harold, PR-Manager von Pure Digital, die aktuelle Situation in Deutschland mit der Zeit in Großbritannien vor dem Durchbruch der DAB-Technik und äußert auch keine Besorgnis durch die Audio-Konkurrenz über DVB-T. Er erwartet im Gegenteil eine gegenseitige Ergänzung; dies sieht er gestützt durch die positive Annäherung der deutschen Automobilindustrie an DAB seitens des Autoverbands VDA. Blaupunkt sieht diese Technik als einzig möglichen Nachfolger für das herkömmliche Autoradio. Pressesprecher Dr. Siedler zeigt sich zufrieden über die positive Resonanz der Automobilbranche und weist auf die enormen technischen Vorteile von DAB im mobilen Bereich mit höheren Geschwindigkeiten hin.

Zum Thema DRM (Digital Radio Mondiale), dem digitalen Nachfolger des analogen Kurzwellenrundfunks, gibt es am Stand des Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) einiges zu sehen und zu hören. Neben einigen Komponenten für die Sendetechnik - die wohl eher Besucher mit kommerziellen Interessen ansprechen sollen - gibt es zwei Mess-Empfänger und andere Empfangseinrichtungen zu sehen. Auch sollen die parallel zum Musik-Programm übertragenen Datendienste vorgeführt werden.

Anubis Halle 1.1/Stand 115
Blaupunkt Halle 5.2/Stand 201
Fraunhofer IDMT Halle 5.3/Stand 02
HDTV Sports Bar Halle 26
Heise Zeitschriften Verlag (c't) Halle 1.2/Stand 105
Humax Halle 2.1/Stand 221
Pace Micro Technology Halle 2.1/223
Philips Halle 22/Stand 101
Pinnacle Halle 1.1/Stand 124
Premiere Halle 2.1/Stand 220, Halle 26/Stand 203
Pure Halle 11.1/Stand 134
T-Online Halle 6.2/Stand 101
TechniSat Halle 2.1/Stand 220
TechniSat-Radiokanäle über DVB-T in Berlin
Euroklassik 1 Star*Sat Gold
Kinderradio 1-RadiJoJo! Star*Sat Hit-Express
Radio Viola Star*Sat Jazztime
Radioropa Berlin Star*Sat Klassik
Star*Sat Country Star*Sat Melodie
Star*Sat Easyti Wilantis - Das Wissensradio

(nij)