Otto-Katalog, dritte Auflage

Die Bundesregierung will die Befugnisse der Geheimdienste zur Bekämpfung des Terrorismus verlängern und deutlich ausweiten, obwohl ursprünglich eine zeitliche Befristung vorgesehen war. Agenten sollen unter anderem zusätzlich zu Verbindungs- und Standortdaten aus dem Telekommunikationsbereich erstmals auch Bestands- und Nutzungsdaten von Online-Anbietern ohne große Hürden abfragen dürfen.

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Auf einen sperrigen Namen haben das federführende Bundesinnenministerium und Sicherheitspolitiker der Großen Koalition ein neues und umstrittenes legislatives Projekt getauft: Mit dem „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“ (TBEG) will die Bundesregierung die harte Linie von Ex-Bundesinnenminister Otto Schily fortschreiben. Das Kabinett verabschiedete Mitte Juli eine Vorlage mit sogar noch verschärften Bestimmungen. Das Gesetz könnte nach der Sommerpause im Herbst trotz heftiger Kritik aus der Opposition rasch den Bundestag passieren, da sich die zuständigen Fraktionsexperten von CDU/CSU und SPD, Hans-Peter Uhl sowie Dieter Wiefelspütz, bereits vorab auf seine Eckpunkte geeinigt hatten.

Laut der schwarz-roten Koalition haben sich die umfassenden Befugnisse aus den Anti-Terrorgesetzen, die die ehemalige rot-grüne Bundesregierung mit der Auflage der Befristung nach den Anschlägen des 11. September 2001 im Eiltempo erlassen hatte, bewährt. Die Regierungskoalition verweist dazu auf einen Erfahrungsbericht Schilys von 2005, der jedoch laut Datenschützern und Kritikern aus Oppositionsreihen den Ansprüchen an eine gründliche Evaluierung bei weitem nicht genügt. Die Lizenzen zur Überwachung sollen nun ohne in den ursprünglichen Gesetzen vorgesehene wissenschaftliche Prüfung um fünf Jahre verlängert und gleichzeitig deutlich ausgeweitet werden.

Die große Koalition will sich nicht mit den beiden als Otto-Kataloge bekannt gewordenen Antiterror-Gesetzespaketen des ehemaligen Bundesinnenministers begnügen. Gemäß dem Entwurf können Nachrichtendienste ihre bestehenden Möglichkeiten, bei Luftfahrtunternehmen, bei Banken sowie bei Post-, Telekommunikations- und Teledienstfirmen Auskünfte einzuholen, künftig auch zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Inland einsetzen. Voraussetzung soll sein, dass die Pläne für solche Straftaten „die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern“. Dabei könne es sich etwa um Hetze rechtsextremistischer Organisationen oder um islamistische Hasspredigten handeln. Die Befugnisse werden nach dem Willen der Regierung auch für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und Bundesnachrichtendienst (BND) gelten, die bisher weniger Rechte zur Dateneinsicht hatten.

Auf alle Dienste ausgedehnt werden sollen auch die Möglichkeiten zum Einsatz des umstrittenen IMSI-Catchers. Dieser dient laut Entwurf der „Identifikation von Mobiltelefonen“, eignet sich aber auch zur Überwachung von Gesprächsinhalten. Die Geräte funktionieren gegenüber Handys wie die Funkstelle oder Basisstation eines Mobilfunknetzes; Handys innerhalb einer bestimmten Reichweite buchen sich in den IMSI-Catcher ein. Behörden haben so die Möglichkeit, ein Gerät zu identifizieren, zu orten und Gespräche abzuhören. Einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, das die Humanistische Union unter anderem wegen der Streubreite des IMSI-Catchers angerufen hat, will die Koalition bei ihren Plänen nun nicht abwarten. Die Abfrageerlaubnis für so genannte Kontostammdaten soll dagegen auf Eis gelegt werden, bis die in diesem Punkt ebenfalls angerufenen Karlsruher Richter zu einem Urteil gekommen sind.

Ein tiefer Einschnitt in die Privatsphäre der Web-Surfer steht mit auf der Agenda: Dem TBEG zufolge sollen Geheimdienste zusätzlich zu Verbindungs- und Standortdaten aus dem Telekommunikationsbereich auch Bestands- und Nutzungsdaten von Online-Anbietern ohne große Hürde abfragen dürfen. Konkret könnten sie Auskunft einholen zu „Merkmalen zur Identifikation des Nutzers“, zu „Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung“ sowie zu verwendeten Telediensten. Server-Logdateien wären mit eingeschlossen, sodass das Surfverhalten Verdächtiger den Geheimdienstlern offenstünde.

Die Bundesregierung begründet den Vorstoß zur Überwachung des Internet-Zugangs damit, dass „Vertragsdaten bei Internetauktionshäusern und Tauschbörsen etwa zum Handel und Vertrieb volksverhetzender Propagandamaterialien erhoben“ und derlei Umtriebe besser verhindert werden könnten. Mit ins Visier der Nachrichtendienste geraten aber insbesondere auch viel genutzte Suchmaschinen wie Google und Yahoo oder E-Commerce-Größen wie Amazon. Ein konkreter Bezug zu terroristischen Straftaten oder zur organisierten Kriminalität soll nicht mehr erforderlich sein, um die Nutzungsdaten einzusehen. Dass die Such- und E-Commerce-Daten oft mehr Aussagekraft etwa über religiöse oder sexuelle Vorlieben und sonstige Interessen haben als Gesprächsinhalte, thematisiert das Kabinett nicht.

Die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz warf der Regierung vor, endgültig die bewährte Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei werde aufgehoben. Dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble konsequent daran arbeitet, zeigt sein Festhalten an einer zentralen Anti-Terrordatei. Er will die Datenbank als Nachschlagewerk für sämtliche Verfassungsschutzbehörden, den BND, Landeskriminalämter sowie das Zollkriminalamt eingerichtet wissen.

Der neue Entwurf zu einem Gesetz über die zentrale Datei geht erheblich weiter als ursprünglich vom Bund geplant: Neben persönlichen Daten von Verdächtigen sollen auch Informationen über Bank-, Telefon- und Internet-Verbindungen, Führerscheindaten und einschlägige Kontaktpersonen erfasst werden. Bei der Abfrage dieser erweiterten Datei sollen die Daten von den verschiedenen Nachrichtendiensten immerhin mit der Technik der „verdeckten Speicherung“ abgefragt werden: Der Anfragende erfährt zunächst nicht, ob es einen „Treffer“ in den Geheimdienstdatenbanken gibt. Die Nachrichtendienste erfahren aber, wer nach wem geforscht hat, und können dann Kontakt zum Anfragenden aufnehmen. (jk) (jk)