Platz da!

Zu Weihnachten wird man in deutschen Wohnstuben Möbel rücken müssen, um Platz für virtuelle Tennis-Matches zu schaffen. Vor der Wii-Konsole bewegt man nicht nur die Daumen, sondern rudert mit beiden Armen.

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Nintendo will seine neue Videospielkonsole noch vor Weihnachten weltweit starten: In Nord- und Südamerika wird sie ab dem 19. November für 250 US-Dollar (195 Euro netto) verkauft. In Japan folgt sie am 2. Dezember zum Preis von 25 000 Yen (167 Euro netto). Europäer müssen ab dem 8. Dezember mit 250 Euro deutlich tiefer in die Tasche greifen, dafür liefert Nintendo seine Sammlung „Wii Sports“ mit. Dazu gehören fünf einfache Spiele wie Tennis, Golf, Baseball, Bowling und Boxen, die alleine oder zu mehreren gespielt werden können.

Zum Spielen führt man mit der Wii-Fernbedienung normale Wurf- und Schlagbewegungen aus. Die Figuren bewegen sich automatisch. Während sich Golf, Tennis, Bowling und Baseball bei einer Demonstration in London bereits relativ akkurat steuern ließen, vermissten wir beim Box-Spiel etwas Schnelligkeit. Die Steuerung soll bis zum Start aber noch verfeinert werden.

Nintendo will für die Konsole den Online-Dienst „WiiConnect24“ starten. Der Anschluss erfolgt per eingebautem WLAN oder einem separat erhältlichen USB-Ethernetadapter. WiiConnect24 umfasst einen eigenen Nachrichten- und Wetter-Kanal, bei dem man die virtuelle Erde wie bei NASA World Wind frei bewegen und zoomen kann. Die Meldungen können im Push-Betrieb übertragen werden, während sich die Konsole im lautlosen Stand-by-Modus befindet. Außerdem bietet Nintendo einen Opera Browser mit Flash-Unterstützung zum Download an. Anwender können auch Nachrichten an andere Konsolen oder per SMS an Handys verschicken. Über USB ließe sich eine Tastatur anschließen. Nintendo Deutschland nannte bisher keinen Preis für den Internet-Browser, der News- und Wetter-Kanal soll jedoch kostenlos angeboten werden.

Die Wii-Konsole kann ältere Videospielsysteme emulieren. Discs für den Gamecube passen direkt in das blau leuchtende Slot-in-Laufwerk. An der Oberseite lassen sich Gamecube-Controller und Memory-Cards mit Spielständen anschließen. Spiele der NES-, SNES- und Nintendo-64-Konsole sowie Titel des TurboGrafx- und Sega-Genesis-Systems können online erworben und über die „Virtual Console“ abgespielt werden. 15 Titel sollen bereits zum Start erhältlich sein, monatlich sollen fünf bis zehn hinzukommen. Die Bezahlung erfolgt per Kreditkarte oder über Punkte-Karten. NES-Spiele kosten 500, SNES-Titel 800 und N64-Spiele 1000 Punkte. In den USA entsprechen 2000 Punkte einem Gegenwert von 20 US-Dollar, für Europa steht noch kein Preis fest.

Der Spieler kann über den Mii-Channel einen eigenen 3D-Avatar modellieren und mit diesem in Spielen wie Wii Sports antreten. Bis zu zehn Avatare kann man in einem kleinen Speicher der Wii-Fernbedienung ablegen und auf andere Wii-Konsolen übertragen.

Dank des SD-Karten-Einschubs lassen sich Digitalfotos anschauen, bearbeiten und zu einer Diashow mit Hintergrundmusik zusammenstellen. Ebenso kann man eigene Videos von der Speicherkarte abspielen. Video-DVDs gibt die Wii-Konsole allerdings nicht wieder. Die Konsole unterstützt Standard-PAL-Auflösungen im 4:3- oder 16:9-Format über Composite-, S-Video oder YUV-Komponenten-Kabel. Außerdem kann die Auflösung 480p (720 x 480 Bildpunkte, progressive) ausgegeben werden. Höhere Auflösungen sind nicht möglich.

Nintendo zeigte auf einer Präsentation in London 23 Demoversionen von kommenden Wii-Spielen. Da die Steuerung mittels Bewegungssensor deutlich mehr Variationen zulässt als ein Gamepad, werden selbst an sich simple Spielchen zur Herausforderung. Sie sind einfach zu lernen, aber schwer zu meistern.

„Wii Play“, eine Sammlung von acht Mini-Spielen, die zusammen mit einer zweiten Fernbedienung angeboten wird, richtet sich besonders an Anfänger. Mit dabei sind ein an Moorhuhn erinnerndes Schießspiel, eine Pong-Variante, bei der man mit einem Schläger den Puck in das gegnerische Tor schießen muss, und ein relativ simples Tischtennis-Spiel. Am besten gefiel noch das Pool-Billard, bei dem man den Stoß mit der Fernbedienung ausführt. Der genaue Preis für das Bundle steht noch nicht fest. Wii-Spiele sollen generell zwischen 49 und 59 Euro kosten. Für eine Fernbedienung verlangt Nintendo einzeln 40 Euro und für einen Nunchuk-Controller 20 Euro.

Prunkstück des Start-Angebotes ist sicherlich das Action-Adventure „The Legend of Zelda: Twilight Princess“. Das Design erinnert an ein Gamecube-Spiel, das um einige Wii-Funktionen erweitert wurde. So kann man in einem kleinen Angel-Spiel virtuelle Fische fangen oder beim Bogenschießen das Ziel direkt mit der Fernbedienung anvisieren. Auf Dauer ermüdend erschien uns die Schwertsteuerung. Bei jedem Busch und jeder Kiste, die die Hauptfigur Link zertrümmern soll, muss man mit der Fernbedienung herumfuchteln. Nintendo denkt über eine alternative Variante nach, bei der man lediglich einen Knopf drücken muss. Die Gamecube-Version soll kurz nach dem Wii-Start folgen, genauso wie „Wario Ware: Smooth Moves“.

Erst 2007 folgen „Super Mario Galaxy“, „Metroid Prime Corruption“ und „Excite Truck“, die von Grund auf für Wii konzipiert wurden. „Super Mario Galaxy“ ist die konsequente Weiterführung des 3D-Jump-and-Runs „Super Mario Sunshine“. Mario umkurvt Planeten, schießt mit der Fernbedienung Sterne ab und hüpft Pilzen mit einer kurzen Nunchuk-Bewegung auf den Kopf. Die farbenprächtige Demo überzeugte bereits in dieser frühen Version mit ihrem neuartigen Steuerungskonzept. Das gilt auch für den Shooter Metroid Prime, bei dem man mit der Fernbedienung Gegner anvisiert und abschießt. Ausweichen und Zielen geht leicht von der Hand, brenzlig wird es, wenn man von hinten angegriffen wird und sich schnell umdrehen muss. Mit dem Nunchuk kann man einen Fangstrahl aussenden und Gegnern den Schutzschild entreißen, was jedoch eine sehr ausladende Armbewegung erfordert.

Im Rennspiel „Excite Truck“ geht es rasant über Buckelpisten. Der Spieler hält die Fernbedienung quer wie einen Lenker und kann in der Luft die Neigung für eine möglichst sanfte Landung verändern. Andere Rennspiele wie „Cars“ (THQ), „Monster 4x4 World Circuit“ (Ubisoft) oder „Tony Hawks Downhill Jam“ (Activision) wirkten vergleichsweise unspektakulär. Nintendo rundete seine Präsentation mit „Battalion Wars 2“ und „Mario Strikers Charged“ ab, die das Spielkonzept der Gamecube-Vorgänger lediglich leicht erweitern.

Bei anderen Spiele-Publishern sind die bisherigen Ergebnisse gemischt. Ubisoft hat weiterhin Probleme, die Steuerung von „Red Steel“ richtig abzustimmen. „Da jeder Spieler andere Bewegungen macht, wird es schwer, den richtigen Mittelweg zu finden,“ erklärte der Entwickler. Der Schwertkampf wird derzeit komplett umgebaut und war in London nicht zu sehen. Trotzdem soll das Spiel pünktlich zum Konsolen-Start erscheinen. Besser sah da schon „Rayman Raving Rabbids“ aus, das über 70 kurze bunte Spiele mitbringt und als Geheimtipp des Start-Line-ups gelten darf. Ähnliches plant Sega mit „Super Monkey Ball Banana Blitz“. Konami will hingegen über den Namen von „Elebits“ noch einmal nachdenken und nennt das Versteckspiel in der Küche jetzt „Konamis First Wii Title“.

Andere Publisher trauen sich noch nicht, eigens für Wii neue Konzepte zu entwickeln. Sie begnügen sich im Wesentlichen mit Portierungen von anderen Plattformen. Das Chirurgen-Spiel „Trauma Center: Second Opinion“ (Atlus) hält sich eng an die DS-Version. Der hohe Schwierigkeitsgrad der Vorlage kann nun dem individuellen Können angepasst werden, trotzdem lassen sich Skalpell und Tupfer mit der Fernbedienung nicht so ruhig führen wie mit einem Stylus. Besonders auf den US-Markt dürften „Madden NFL 07“ (Electronic Arts) und „Call of Duty 3“ (Activision) abzielen, wobei ersteres mit einer zu komplexen Steuerung abschreckte und letzteres genau so aussah wie seine Vorgänger.

Insgesamt sollen 15 bis 20 Titel zum Verkaufsstart in die Läden kommen, bis März 2007 sollen es rund 40 werden. Beachtlich ist vor allem die Breite des Angebots, das über die sonst üblichen Shooter, Renn- und Sportspiele hinausgeht. Nintendos Plan, mit Wii neue Zielgruppen anzusprechen, geht offenbar auf. (hag)