Webkampagne will Sumpf der Finanzverstrickungen in der Politik austrocknen

Campact.de fordert durch eine Online-Petition nach dem US-Vorbild von MoveOn die Offenlegung sämtlicher Nebeneinkünfte bei Abgeordneten, um dem Lobbyismus den Zahn zu ziehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Die Webplattform Campact will die gegenwärtige Empörung über die bekannt gewordenen Nebeneinkünfte und Gehaltszahlungen bei zahlreichen Politikern nutzen, um insgesamt mehr Transparenz ins politische Geschäft zu bringen und dem Lobbyismus den Zahn zu ziehen. Dazu bieten die Online-Aktivisten aus Verden an der Aller vernetzten Bürgern eine Reihe von Betätigungsfeldern über ihre Site an, mit dem sich Druck auf die Politik ausüben lässt. So finden die Surfer eine unterschriftsreife Petition, mit der sie sich bis 22. Februar für die vollständige Offenlegung von Nebeneinkünften stark machen können. Zum zweiten gibt es eine "Wahlkreisaktion", erläuterte Campact-Sprecher Christoph Bautz bei der Vorstellung der Webkampagne am heutigen Mittwoch in Berlin. Damit "können die Bürger ihrem Abgeordneten vor Ort eine E-Mail schicken, wo sie einfordern, dass er sich für die Offenlegung einsetzt und mit gutem Beispiel vorangeht".

Campact richtet sich laut Bautz an "Menschen mit wenig Zeit", die sich aber trotzdem etwa in der Kaffeepause vom Computer aus politisch betätigen wollen. Entsprechende Module auf der Site ermöglichen es so, eine Postleitzahl für die Suche lokaler Abgeordneter einzugeben und eine vorformulierte E-Mail abzusenden. Wenn der Einzelne derlei Möglichkeiten nutzt, meint der Politikwissenschaftler, "bringen sie recht wenig". Aber Tausende könnten sich Gehör verschaffen. Vorbild ist die US-amerikanische Aktionsplattform MoveOn.org, die laut Bautz zu den "entscheidenden zivilgesellschaftlichen Akteuren" jenseits des Atlantiks gehöre und an der sich regelmäßig 2, 7 Millionen Menschen beteiligten. International einen Namen machte sich das Netzwerk vor allem wegen seiner -- letztlich aber vergeblichen -- Aktionen gegen den Irak-Krieg und die Wiederwahl George Bushs zum US-Präsidenten.

Mit der Online-Petition will Campact mehr "Bewusstsein schaffen für die Bedeutung von Lobbyeinfluss auf die Politik", sagt Bautz. Verschränkung zwischen parlamentarischen Arbeit und den Interessensvertretern hat seiner Ansicht nach "erschreckende" Ausmaße angenommen. Der Lobbyismus müsse daher "zurück in die Lobby, nämlich den Vorraum des Parlamentes", fordert er. Mit der um sich greifenden Einflussnahme auf die Politik sei es "wie mit Dracula: Im klaren Licht der Öffentlichkeit" sei sie ungefährlich. Campact drängt auf eine generelle Überprüfung der Gelder, die Abgeordnete und sonstige Politiker nebenbei einstreichen. Es mache keinen Sinn, nur Zahlungen "ohne Gegenleistung" anzuprangern. Vielmehr müsse ein "strukturelles Problem" der Interessensverschränkung bekämpft werden, ohne Abgeordnete unter Generalverdacht zu stellen.

Politiker ähen sich angesichts von Fällen wie Laurenz Meyer, Hermann-Josef Arentz, Ulrike Fischer, Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller, dem von Bertelsmann im Streit um die EU-Urheberrechtsrichtlinie gestützten EU-Abgeordneten Elmar Brok oder, als jüngstem Fall, Ludger Vollmer sehr pauschal mit dem Ruf der "Raffkementalität" konfrontiert. Die einzige Chance zur Veränderung ihres Images liege für sie in der proaktiven Informationsabgabe an die Öffentlichkeit, meint Bautz: "Die Bürger müssen die Chance haben zu wissen, welche Belange die Abgeordneten vertreten und wem sie sich verpflichtet fühlen."

Dabei sollten sich die Politiker hierzulande auch daran orientieren, wie andere Länder mit dem Problem umgehen, meint Bautz. In USA etwa gebe es "sehr weit reichende Offenlegungspflichten bei Senatoren und Kongress-Abgeordneten", berichtete der Experte. "Selbst wenn jemand abends zum Essen eingeladen wird, muss das veröffentlicht werden." Nur so sei der Einfluss von Dritten auf Politiker zu erschweren. Wie sehr Deutschland und Europa bei der Transparenz im Lobbyismus hinterherhinken, zeigt auch, dass es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten keine Zahlen über die Gesamtausgaben für die "Politikunterstützung" gibt.

Campact selbst hat eine Anschubfinanzierung von der Bewegungsstiftung erhalten, die "Anstöße für soziale Bewegungen" geben will. Künftig hofft die zivilgesellschaftliche und parteienunabhängige Organisation auf die Finanzierung über Spenden und Mitgliedschaften. Die sollen standesgemäß hauptsächlich online eingeworben werden. Auf die Petition rund um Nebeneinkünfte wollen sich die Macher nicht beschränken, so haben sie bereits eine Kampagne für einen Volksentscheid über die EU-Verfassung lanciert, an der sich 2000 Surfer beteiligten. Weitere Aktionen sollen folgen.

Bei der aktuellen Webkampagne erhält Campact Rückendeckung von der Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI). "Wenn Nebentätigkeiten grundsätzlich erlaubt sind, müssen die Einkünfte der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden", erläutert Dagmar Schröder von TI die Beweggründe für den Beistand. Sonst seien die Bürger allein auf die Enthüllungen der Medien angewiesen. Die von Rot-Grün derweil geforderte reine Verschärfung der Sanktionen gegen unberechtigte Geldbezieher greife zu kurz, da diese erst nach Indiskretionen gegenüber der Presse auffliegen würden. (jk)