Datenschutzbeauftragter: Kernbereich der Privatsphäre ist auch bei der TK-Überwachung zu beachten

Angesichts der hitzigen Debatte um Sicherheitsanforderungen versus Privatsphäre befragte c't den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar nach seinen Einschätzungen zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur präventiven Telefonüberwachung.

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Während Sicherheitspolitiker wie der britische Innenminister Charles Clarke angesichts der verstärkten islamistischen Terroranschläge in der jetzigen Situation alle Bürgerrechte auf den Prüfstand stellen, sprechen sich Datenschützer und Politiker hierzulande mit dem Rückenwind aus Karlsruhe nach dem Urteil zur präventiven Telekommunikationsüberwachung des Bundesverfassungsgerichtes für eine rechtsstaatliche Prüfung zahlreicher der in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgeweiteten Befugnisse der Sicherheitsbehörden aus. Auch in sensiblen Fragen wie der in Brüssel verfolgten Vorratsspeicherung aller Verbindungs- und Standortdaten im Telekommunikationssektor über Monate und Jahre hinweg oder bei der geplanten Ausstattung des Bundeskriminalamtes mit präventiven Befugnissen sei ein Zurückrudern angesagt.

Auf ihrer Schwarzen Liste stehen nicht nur Polizei- und Verfassungsschutzgesetze der Länder, sondern etwa auch die allgemeinen Regelungen zum Telefonabhören im bislang nur notdürftig geflickten Gesetz zu präventiven Überwachung durch das Zollkriminalamt oder in der Strafprozessordnung. Während das Bundesjustizministerium das Urteil zunächst eingehend prüfen will, sind Bundestagsabgeordnete mit Forderungen schneller zur Hand. "Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland nicht Abhörweltmeister bleibt", plädieren die grünen Fraktionssprecher Silke Stokar und Jerzy Montag für Einschränkungen beim Einsatz der Abhörkeule. Es gelte, "Wildwuchs zu beschneiden", befindet auch der FDP-Innenpolitiker Max Stadler. Seine Parteikollegin und Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert ein "Umdenken" von Politik und Polizei. Die Telefonüberwachung habe mit über 30.000 Maßnahmen hierzulande in 2004 "wahnsinnige Ausmaße angenommen". Die niedersächsische FDP hatte das beanstandete Polizeigesetz aber zunächst mitgetragen.

Laut dem Frankfurter Juristen Patrick Breyer blieb das Verfassungsgericht in Teilen hinter den Erwartungen zurück. Er kritisiert etwa die Ansage, dass die "Bürger zur höchstpersönlichen Kommunikation nicht in gleicher Weise auf Telekommunikation angewiesen sind wie auf eine Wohnung". Hier werde verkannt, dass man auch auf Telekommunikation heutzutage für vertrauliche Gespräche oft nicht mehr verzichten könne. Sehr zu begrüßen sei dagegen der Hinweis, dass "Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen, eine konkrete Gefahrenlage voraussetzen." Einer rein vorsorglichen Überwachung ins Blaue hinein werde damit "in einer Zeit der politischen Sicherheitshysterie" ein "Meilenstein zur Sicherung unserer Freiheit" vorgebaut. Angesichts der hitzigen Debatte befragte Stefan Krempl für c't aktuell den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar nach seinen Einschätzungen zu dem Urteil.

c't: Was genau hat das Bundesverfassungsgericht zur vorbeugenden Telekommunikationsüberwachung entschieden und wie weit reichen die Folgen?

Peter Schaar: Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz in nahezu jeder Hinsicht für nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt. Es sagt, es sei nicht bestimmt genug, sei nicht normenklar genug und auch unverhältnismäßig. Die Eingriffsmöglichkeiten waren so allgemein formuliert, dass weitgehend unklar blieb, ob eine Person in diesen Anwendungsbereich hineinfällt oder nicht. Zum einen enthält das Gesetz unklare Definitionen im Hinblick auf die jeweiligen Straftaten, wegen derer überwacht werden durfte. Neben Straftaten von erheblicher Bedeutung wird auch auf Vergehen verwiesen, die ihnen entsprechen. Und darüber hinaus hat man nicht nur die Verdächtigen, sondern auch Kontakt- und Begleitpersonen einbezogen. Dieses weite Anwendungsfeld hat das Bundesverfassungsgericht kassiert.

c't: Was bedeutet das für die Polizei- und Verfassungsschutzgesetze anderer Bundesländer, die ganz ähnlich ausgerichtet sind?

Schaar: Das heißt erstens, dass Länder, die vergleichbare Gesetze bereits haben, insbesondere Thüringen, diese unverzüglich ändern müssen. Darüber hinaus müssen sich natürlich diejenigen Gesetzgeber, die sich -- wie gerade in Bayern -- mit Neuregelungen im Polizei- und Verfassungsschutzbereich befassen, an die verfassungsgerichtlichen Vorgaben halten. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf eine Entscheidung des sächsischen Verfassungsgerichtshofes von letzter Woche zum sächsischen Verfassungsschutzgesetz hinweisen, in dem über die akustische Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken geurteilt wurde. Auch dieses wurde kassiert. Beide Gerichte haben in ihren Entscheidungen den absolut geschützten Kernbereich der Privatsphäre hervorgehoben. Die sächsischen Verfassungsrichter haben darüber hinaus noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht zu einer unzulässigen Vermischung der Befugnisse von Polizei und Nachrichtendiensten kommen darf. Das Trennungsgebot zwischen beiden Sicherheitsbereichen wurde damit gestärkt.

c't: Zum Stichwort intimer Kernbereich: Diese Schutzregelung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff wurde nun teilweise übertragen auf die Telekommunikationsüberwachung.

Schaar: Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass dieser Kernbereich auch bei der Telekommunikationsüberwachung betroffen sein kann und zu schützen ist. Diese Auffassung haben wir Datenschützer ­ anders als manche Vertreter der Sicherheitsbehörden - schon seit dem Urteil zum Großen Lauschangriff vertreten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch eingeräumt, dass Telefonüberwachung ein andersartiger Eingriff ist als der Große Lauschangriff, sodass sich die dort erforderlichen Maßnahmen speziell zum Erhebungsverbot nicht Eins zu Eins übertragen lassen. Aber auch hier gilt der Grundsatz, dass eine Überwachung intimer Inhalte zu vermeiden ist. Auf jeden Fall ist auch bei der Telefonüberwachung eine sehr strikte Regelung zur Vernichtung und Nichtverwertung der den Kernbereich betreffenden Aufzeichnungen erforderlich. Ich sehe insofern auch bei der Telefonüberwachung noch entsprechenden Nachbesserungsbedarf.

c't: Sind davon auch Vorschriften auf Bundesebene betroffen, in denen primär die Regeln zur Telekommunikationsüberwachung festgelegt werden?

Schaar: Ich sehe natürlich auch die Notwendigkeit, die Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung gemäß der Strafprozessordnung einer kritischen Überprüfung im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu unterziehen. Das bedeutet einmal natürlich, dass man fragen muss, ob der sehr weitgehende Straftatenkatalog, der dort derzeit eine Telekommunikationsüberwachung rechtfertigt, wirklich verhältnismäßig ist. Und zweitens müssen auch die Regelungen zu Sicherungen, also insbesondere zur Vernichtung und Nichtverwertung der entsprechenden Dokumente und die Benachrichtigung der Betroffenen, auf den Prüfstand.

c't: Die präventive Überwachung wird von Karlsruhe nicht gänzlich ausgeschlossen. Wie sind in der Strafprozessordnung momentan die Voraussetzungen dafür?

Schaar: Insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität und in Fällen, wo terroristische Vereinigungen im In- oder Ausland Gegenstand der kriminalistischen Ermittlungen sind, ist ja schon die Planung selbst eine Straftat. Insofern greifen hier die Regelungen der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung. Vor diesem Hintergrund kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass etwa der niedersächsische Innenminister davon spricht, durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würde die Terrorismusbekämpfung erschwert. Dies scheint ein Schlüsselargument zu sein, dass derzeit in jedes Schloss passt.

c't: Mit ähnlichen Präventionsgründen werden momentan auch die Brüsseler Pläne von EU-Rat und -Kommission zur Einführung einer Pflicht zur Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten (http://www.heise.de/ct/aktuell/meldung/62048) im Telekommunikationsbereich gerechtfertigt.

Schaar: Der Status des Papiers der Kommission ist mir noch nicht ganz klar. Ich möchte es daher noch nicht kommentieren. Erst muss der endgültige Richtlinienentwurf auf dem Tisch liegen, zu dem wir dann als Artikel-29-Gruppe der europäischen Datenschutzbeauftragten Stellung nehmen. Allerdings wird die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung im Zusammenhang mit dem möglichen Rahmenbeschluss des Ministerrates schon länger geführt. Hier habe ich große Zweifel an der Verhältnismäßigkeit eines solchen Vorhabens. Insbesondere im Hinblick darauf, dass überwiegend völlig Unschuldige betroffen wären. Die Rede ist dabei von 99,9 Prozent der Betroffenen. Ich plädiere hier ganz nachdrücklich für das Alternativmodell, das in den USA praktiziert wird: "Quick Freeze", also die Speicherung der Verbindungsdaten bei einem konkreten Verdacht.

c't: Falls es zu einem Beschluss in Brüssel zur Vorratsdatenspeicherung kommt, könnte Deutschland einen solchen angesichts des aktuellen Urteils überhaupt umsetzen?

Schaar: Dass die Kommission jetzt in diesem Bereich tätig wird, interpretiere ich so, dass sie davon ausgeht, dass das Europäische Parlament mitentscheiden muss und ein Rahmenbeschluss des Rates nicht ausreicht. Das begrüße ich, weil nach meinem Demokratieverständnis derartige Grundrechtseingriffe stets einer parlamentarischen Legitimation bedürfen. Aus dem Europäischen Parlament habe ich gehört, dass dort die Position der Datenschutzbeauftragten hinsichtlich der Grundrechtskonformität einer solchen Maßnahme nachdrücklich unterstützt wird. Wenn es zu einer wirksamen Richtlinie käme, würde sich in der Tat die Frage stellen, wo dann noch Entscheidungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente lägen. Diese Frage wäre gegebenenfalls verfassungsgerichtlich zu entscheiden. Dabei müsste man dann auch andere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts heranziehen, wie zum Beispiel zum Europäischen Haftbefehl. Da hat das Bundesverfassungsgericht ja gesagt, dass die Regelungen nicht zuletzt deshalb nicht mit der deutschen Verfassung in Übereinstimmung stehen, weil es auf europäischer Ebene keinen entsprechenden Grundrechtsschutz gibt. Der verbindliche Grundrechtskatalog tritt erst mit der Europäischen Verfassung in Kraft, die momentan auf Eis liegt. Eine vergleichbare Konstellation könnte sich auch bei der Vorratsdatenspeicherung ergeben.

c't: Laut dem publik gewordenen Entwurf für die entsprechende Richtlinie der Kommission zur Vorratsdatenspeicherung sind Aufbewahrungsfristen von sechs Monaten für den Internetbereich und 12 Monaten für den Telefonsektor vorgesehen. Wäre das eine Kompromisslinie?

Schaar: Inhaltlich kann ich mich momentan nur zu Vorschlägen äußern, die allgemein in diese Richtung gehen. Jede zwangsweise Datenspeicherung für Zwecke jenseits der Abrechnung oder des Betriebs von Diensten bedeutet eine Zweckentfremdung von Daten, die ursprünglich zu ganz anderen Zwecken erhoben wurden. Je länger die Frist ist, desto stärker sind aber auch die verfassungsrechtlichen Zweifel. Ich sehe bereits eine sechsmonatige Mindestspeicherung als problematisch an. Bei einem Jahr Speicherdauer gibt es jedoch noch größere verfassungsrechtliche Probleme als bei einem halben Jahr, wo man vielleicht noch sagen könnte, das ist im Rahmen dessen, was bei regulärer Abwicklung von Telekommunikationsrechnungen benötigt wird. Aber beim Internet und insbesondere, wenn es um Flatrates geht, wäre auch diese Halbjahresspeicherung ein erheblicher Grundrechtseingriff. (jk)