Experten fordern umfangreiche Korrekturen am WLAN-Gesetzentwurf

Fast alle Sachverständigen haben sich bei einer Anhörung gegen die geplanten Regeln zur Störerhaftung bei WLAN-Anbietern und "gefahrgeneigten Diensten" ausgesprochen. Die Initiative sei unpraktikabel und europarechtswidrig.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 74 Kommentare lesen
WLAN
Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Experten ließen in einer Anhörung im Bundestag am Mittwoch kaum ein gutes Haar am umstrittenen Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung das Telemediengesetz (TMG) ändern und Bedingungen für die Haftungsfreistellung für Hotspot-Betreiber aufstellt.

Die Bedeutung offener WLANs könne etwa für bestimmte Regionen und den Tourismus "kaum überschätzt werden", erläuterte der Berliner Richter Ulf Buermeyer. Die Initiative sei aber nicht geeignet, die bestehende Rechtsunsicherheit für entsprechende Anbieter zu beseitigen.

Laut dem Gesetzentwurf müssten Betreiber ihre Hotspots auf "zumutbare" Weise vor Rechtsverletzungen schützen, um in den Genuss des Haftungsprivilegs für Provider aus dem TMG zu kommen. Dafür könnte der Router verschlüsselt oder der Nutzer freiwillig registriert werden. WLAN-Anbieter müssten von ihren Nutzern zudem eine Erklärung einholen, dass diese keine Rechtsverletzungen begehen wollten. Eine solche "Vorschaltseite" mit einer "Rechtstreue-Erklärung" sei so gut wie unwirksam, meinte Buermeyer.

Andererseits würde die Vorschrift bei Freifunkern mit offenen Hotspots zumindest größere Programmierarbeiten erfordern. Letztlich gebe es in deren Netzen aber nur berechtige Nutzer, sodass es fraglich sei, ob diese Betreiber überhaupt privilegiert seien. Der Richter warnte daher deutlich davor, den Entwurf "Gesetz werden zu lassen".

Andere Möglichkeiten, das Internet anonym zu nutzen, gebe es heute bereits viele, erläuterte Buermeyer. Schon im Mobilfunk entfalle letztlich eine Identifizierung, sodass offene WLAN-Knoten an diesem Punkt kaum mehr ins Gewicht fielen. Rechtswidrige Dinge im öffentlichem Raum zu tun, sei zudem deutlich gefährlicher als im stillen Kämmerlein zu handeln.

Erfahrungen zeigten auch, dass offene WLAN nicht spezifisch für Rechtsverletzungen genutzt werden. Buermeyer plädierte daher für den Vorschlag des Bundesrats, Hotspot-Anbieter weitgehender von der Störerhaftung freizustellen und keine zusätzlichen Sicherungen zu verlangen. Bei öffentlichen WLAN-Diensten bringe eine Verschlüsselung "aus Sicherheitssicht keinen Vorteil", konstatierte auch Dirk Häger vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

Ein Zugangsschutz sei dort "nicht so relevant". Wer einen Hotspot zuhause betreibe, müsse diesen aber verschlüsseln und "fremde Leute außen vorhalten". In diesem Umfeld "einfach nur ein WLAN völlig ungesichert hinzustellen", sei auch nach dem TMG oder dem Telekommunikationsgesetz (TKG) verboten.

Der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting plädierte ebenfalls dafür, die Störerhaftung für Hotspot-Betreiber "voraussetzungslos abzuschaffen". Sonst werde sich WLAN im öffentlichen Raum nicht so entwickeln, wie das in anderen europäischen Ländern der Fall sei. Der von der Bundesregierung wohl gemeinte Passwortschutz werde auch nicht zum "glorreichen Rückgang von Rechtsverletzungen" führen.

Ulrich Meier von der Firma hotsplots, die Produkte für den WLAN-Betrieb anbietet, hatte nichts gegen den Gesetzentwurf einzuwenden. Der Hotspot-Ausbau komme hierzulande "sehr gut voran", auch wenn es wenig "freie" Funknetze ohne Verschlüsselung und Passwort gebe. Post von Abmahnanwälten habe das Unternehmen noch nie bekommen, nur Ermittler fragen an. Dabei sei es aber wohl nicht in erster Linie um Urheberrechtsverletzungen gegangen.

Der Göttinger Medien- und Telekommunikationsrechtler Gerald Spindler bezeichnete die Klausel zu den Sicherungsmaßnahmen weder als "sehr hilfreich" noch als "besonders schädlich". Er sei kein Freund der deutschen Störerhaftung, aber respektiere die geltende Rechtsprechung. Anonymität sei hierzulande "nicht ein Recht per se", erläuterte der Professor seine Linie zu Äußerungsmöglichkeiten im Netz ohne Klarnamen. Sie gehöre "abgewogen im Rahmen der Meinungsfreiheit und von Rechtsverletzungen". Dabei seien auch Schutzpflichten des Staates gegenüber Betroffenen zu beachten.

Spindler kritisierte, dass es derzeit keinerlei Anreize für Provider gebe, eine Rechtsverfolgung durchzusetzen. Einig waren sich alle Juristen vor Ort, dass der von der Regierung geplante Paragraph europarechtswidrig sei, wonach Filehoster, Cloud-Lösungen oder Anbieter pseudonymer oder anonymer Telemediendienste von vornherein als besonders "gefahrgeneigt" eingestuft und haftungsrechtlich nicht mehr privilegiert werden sollen. "Die Vorschrift regt die Phantasie des Anwalts auf Rechteinhaberseite an", gab Härting zu bedenken. Wenn ein Mandant sich etwa durch etwas gestört fühle, was auf einem Ärzteportal über ihn berichtet werde, könnte er damit den Betreiber des Bewertungsportals in Anspruch nehmen.

Dies führe zu einem "ganz neuen Ansatz für alle, die mit der Störerhaftung nicht durchdringen." Ein Host-Provider käme damit nicht mehr umhin, die bei ihm gespeicherten Daten "konsequent zu überwachen", warnte Buermeyer. Dies sei auch mit dem Grundgesetz kaum zu vereinbaren. Nötig wäre, den gesamten Datenverkehr mit "Deep Packet Inspection" zu durchleuchten, ergänzte Volker Tripp vom Verein Digitale Gesellschaft. Ein Anbieter müsste im ganzen Internet prüfen, ob rechtswidrig Links auf die bei ihm vorgehaltenen Inhalte gesetzt würden.

Die geplanten "Vermutungstatbestände" seien so abstrakt und weit formuliert, "dass sie zu lange anhaltenden Rechtsstreitigkeiten zwischen Rechteinhabern und Zugangsprovidern führen", prophezeite der Kölner Rechtsanwalt Dieter Frey auf Basis eines von ihm erstellten Gutachtens. Er plädierte dafür, jetzt nur WLAN-Anbieter haftungsrechtlich mit großen Zugangsprovidern gleichzustellen und sonst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu diesem Komplex abzuwarten, das nächstes Jahr ansteht. (kbe)