Psychologie & Technik: Schau mir in die Augen, Auto!

Vollautonome Autos verwirren Menschen, unter anderem, weil es ohne Fahrer keinen Augenkontakt mehr gibt. Jetzt müssen Psychologen und Designer ran.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 91 Kommentare lesen
Schöne Augen mit Lachfalten

(Bild: etrenard CC-BY 2.0 (Ausschnitt))

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das EU-Projekt CityMobil2 hat vollautomatische Kleinbusse in verschiedene europäische Städte geschickt. Dort kommen sie als öffentliches Verkehrsmittel zum Einsatz. Sie transportieren Fahrzeuge in Shared-Space-Umgebungen. Die Psychologin Natasha Merat untersucht die Auswirkungen auf Fußgänger und Radfahrer. Diese sind, wie sich zeigt, tendenziell verunsichert und verwirrt. Merats Lösungsvorschlag: Interfaces außen am Fahrzeug.

Easymiles im Einsatz für das CityMobil2-Projekt.

(Bild: citymobil2.eu)

Seit Herbst 2014 kommen die elektrisch angetriebenen Transporter vom Modell Easymile zum Einsatz. Begonnen hat es damals in einem Shared Space im französischen La Rochelle. Alle sechs Monate wechseln die Busse in eine andere Stadt. Jeder Bus hat Platz für zehn bis zwölf Fahrgäste und könnte 45 km/h fahren. Tatsächlich schleicht er aus Sicherheitsgründen aber mit nur 8 bis 10 km/h durch den Shared Space. Einen Fahrer gibt es nicht.

Größtes Problem war der mangelnde Augenkontakt zwischen Außenstehenden und dem – eben nicht vorhandenen – Fahrzeuglenker. Aufgrund des Schneckentempos gab es aber trotzdem nur einen einzigen Unfall: In La Rochelle ist ein Fußgänger in die Seite das Fahrzeugs gelaufen. Wie Merat bei einer Präsentation auf dem Jahrestreffen des Transportation Research Board in Washington, DC, verriet, war die verunfallte Person in ein Mobiltelefonat vertieft. Außerdem sind manche Zeitgenossen absichtlich vor den Bus gesprungen. Sie wollten sehen, ob er rechtzeitig anhält, was auch geklappt hat.

Aus rechtlichen Gründen war bisher ein Bediener mit dabei, der den Bus anhalten oder manuell um Hindernisse herumsteuern konnte. Solche Hindernisse können durchaus Menschen sein: Auf Sardinien zeigte sich, dass im Stehen plaudernde Bürger weiter plauderten, wenn der Bus angerollt kam. Weil der Bus anhielt und nicht weiter murrte, sahen sie keinen Grund, zur Seite zu weichen.

Dieses Beispiel zeigt, wie viel schwieriger Kommunikation sein kann, wenn auf der anderen Seite kein Mensch zugegen ist. Und das Problem ist noch viel grundlegender: Außenstehende wissen oft nicht, in welche Richtung der Bus überhaupt zu fahren gedenkt. Form und Gestaltung des weitgehend kubischen Easymile verraten es nicht und ein Busfahrer war ja nicht auszumachen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Merat, die Professorin für Psychologie am Institut für Verkehrsforschung der britischen Universität Leeds ist, hat in La Rochelle 204 Fußgänger und Radfahrer befragt. Davon fühlten sich 86 weniger sicher, nachdem sie erfahren hatten, dass der Bus autonom fährt. Nur 33 fühlten sich sicherer, der Rest gleich sicher. Fast zwei Drittel meinten, im Shared Space Vorrang gegenüber dem selbstfahrenden Autobus zu genießen.

Busspuren passen nicht in den Shared Space.

Würden Bodenmarkierungen die Fahrtroute des CityMobil2 anzeigen, fühlten sich nur noch 63 weniger sicher und immerhin 58 sicherer. Allerdings würden sich dann gut zwei Drittel im Nachrang wähnen. Und blinde Passanten kritisierten, dass sie das E-Fahrzeug nicht hören können.

Nun sollen autonome Fahrzeuge ja selbst entscheiden, welche Route sie wählen. Bodenmarkierungen sind daher selten eine Lösung. Merat empfahl im Gespräch mit heise online einen grundlegenderen Ansatz: Selbstfahrende Fahrzeuge sollen außen Schnittstellen haben, die gezielt der Kommunikation mit Menschen dienen.

In Frage kommen etwa Leuchten, Lautsprecher, Symbole oder vollständige Bildschirme. User Interface Designer stehen nun vor der Herausforderung, dauerhafte Interfaces zu designen, die allgemein gut und sofort verstanden werden. Dabei sollten sie auch klarstellen, in welche Richtung das KFZ fahren möchte. Und für die Bedürfnisse Sehschwacher sollte vielleicht noch eine künstliche Geräuschkulisse dazukommen.

Seit Oktober ist Citymobil2 in der griechischen Stadt Trikala unterwegs. Dort fährt er auf normalen Straßen in der Innenstadt. Und er darf auch ohne Bediener an Bord fahren. Das griechische Recht erlaubt es, dass jemand aus der Ferne eingreifen kann. Damit könnte eine Person mehrere selbstfahrende Autobusse überwachen. Für psychologische Erkenntnisse ist es allerdings noch zu früh.

Tagungsort ist das Walter E. Washington Convention Center in Washington, DC.

(Bild: Events DC)

Das 95. Jahrestreffen des Transportation Research Board (TRB) findet seit Sonntag in Washington, DC, statt. Über 12.000 Verkehrsforscher, Behördenmitarbeiter und Branchenmitglieder haben sich dafür zusammengefunden. Das TRB ist eine Abteilung des Nationalen Forschungsrates (National Research Council), welcher den US-Präsidenten berät. Das Jahrestreffen des TRB ist ein Mammut-Ereignis mit über 800 Sitzungen. Dabei stehen bis Donnerstag mehr als 5000 Präsentationen zu Verkehrsthemen auf dem Programm. (ds)