Transmediale: Die Blockchain soll Marx und das Kapital verbinden

Das Bitcoin zugrunde liegende Konzept könne helfen, Missbildungen des Kapitalismus auszumerzen, waren sich Experten auf dem Medienfestival Transmediale einig.

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Transmediale: Die Blockchain soll Marx und das Kapital verbinden

Bitcoin-Symbolbild

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Die Blockchain, die weiten Kreisen der Bevölkerung noch gar nichts sagen dürfte, gilt Vordenkern in Politik und Finanzwirtschaft vermehrt als Wundermittel. Der Hype um das aus der Bitcoin-Welt stammende digitale Pendant zur Notarrolle oder zum Kassenregister sei zwar "falsch", wies der Amsterdamer Programmierer Denis Rojo alias Jaromil allzu hochfliegende Erwartungen an die dezentrale Buchhaltung in einer verteilten Datenbank am Freitag auf der Transmediale in Berlin zurück. Unterschätzen dürfe man die Technik aber auch nicht.

"In der Blockchain gehören den Schürfern, den direkt Beteiligten die Produktionsmittel", führte Jaromil aus. Dass sich damit eine alte Forderung von Karl Marx erfülle, sei "nach wie vor entscheidend". In anderen Formen der Sharing Economy jenseits von Bitcoin und vergleichbaren Kryptotechniken, die auf dem digitalen Vertrauensverzeichnis basieren, sei dies nicht so. So könnten etwa Uber oder Airbnb jederzeit ein Kundenkonto mitten in einer Transaktion sperren, sodass der Nutzer im schlechtesten Fall wortwörtlich auf der Straße stehe.

Dem Programmierer zufolge sorgt die Blockchain nicht nur für eine sichere Basis für Geschäfte oder "intelligente Verträge", sondern lässt sich für zahlreiche Projekte nutzen. Im Kern gehe es darum, Dinge transparent zu machen. "Damit können wir Organisationen errichten, die nicht auf alte, absterbende Institutionen angewiesen sind", meint Jaromil, der selbst am Bitcoin-Ableger Freecoin und dem Forschungsprojekt D-Cent beteiligt ist. Letzteres arbeitet an Instrumenten und Anwendungen für die stärkere Beteiligung der Bürger am politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Geschehen und nutzt dazu unter anderem das Belohnungssystem der Blockkette.

Der Theoretiker und Künstler hält es nicht nur mit Marx, sondern auch mit Bertolt Brecht und dessen Appell zur Umfunktionierung. Der Lyriker habe damit auf die Möglichkeit abgestellt, eine neue Botschaft auszusenden, auch wenn die Technik oder die Bühne die gleiche bleibe. Für Jaromil wäre es so eine "verschenkte Gelegenheit", wenn die Gesellschaft die Produktionsmittel und Werkzeuge, die auf der Blockchain aufsetzen, nicht "im sozialen Sinne" nutze.

Das höre sich verführerisch an, kommentierte ein Teilnehmer des Medienkunstfestivals den Vortrag. Es stelle sich aber die Frage, welche Agenda damit verfolgt werde. Die im Silicon Valley entstehende Spezies "Techno Sapiens" sehe in Systemen wie der Regierung oder der Demokratie jedenfalls keinen echten Nutzen mehr.

Die Techno-Elite hänge nach wie vor einer gewissen Cyberpunk-Ideologie an, in der sich alles um die Freiheit – auch vom Staat – drehe, räumte der britische Designer Vinay Gupta ein. Dies sei aber gerade in den USA nicht verwunderlich, wenn die Demokratie dort den Krieg gegen den Terror gebracht habe und nichts ausrichte gegen einen "massiven Machtmissbrauch des militärisch-industriellen Komplexes".

Gupta sang ebenfalls ein Loblied auf die Blockchain und die damit ermöglichten Vertragsformen, da sie helfen könnten, Fehlentwicklungen des Kapitalismus wie Monopole und Korruption einzuhegen. "Wenn der Code einmal läuft, haben alle die gleiche Umgebung und das gleiche Ergebnis", führte der Berater aus. So hätten alle eine Chance und Netzwerkeffekte, die zentralen Plattformen wie Facebook oder Google in die Hände spielen, könnten sich nicht mehr so stark auswirken. Die "radikale Transparenz" der Technik mache es zudem schwierig, Entscheider zu bestechen.

Die Zeit ist für Gupta daher reif, um die Einsatzbereiche der Blockkette auszuweiten und mit dieser jenseits von Bitcoin zu experimentieren. Die Zivilgesellschaft hinke beim Entwickeln einschlägiger Anwendungen dem Finanzsektor bereits hinterher, da dieser das Verfahren für die "finale Verbindung zwischen Datenbanken und dem Netzwerk" unglaublich schnell annehme. Eine parallele Möglichkeit, das Eigentum an Produktionsmitteln zu demokratisieren, sieht Gupta in Ansätzen zum Crowdfunding, bei denen Aktien vergeben werden. Das funktioniere ähnlich wie bei Kickstarter, man erhalte aber bei einem Investment direkt Anteile an Firmen. (jo)