Tesla fürs Volk

In Europa tut sich die Elektromobilität schwer. In China boomt sie – allerdings ganz anders, als große Konzerne sich das vorstellen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Christoph Behrens
  • Christine Klein
Inhaltsverzeichnis

In Europa tut sich die Elektromobilität schwer. In China boomt sie – allerdings ganz anders, als große Konzerne sich das vorstellen.

Wer die neuesten Elektromobile Chinas sehen will, darf auf keinen Fall auf die blank polierten Automessen Shanghais oder Pekings gehen. Er muss raus aus diesen Glitzerwelten und zum Beispiel hinter die fünfte Ringstraße der Hauptstadt Chinas, wo Peking eigentlich schon nicht mehr Peking ist, sondern Provinz. Er muss zum Beispiel das Dorf Feijia besuchen. Hier sind die Bauten flach, brüchig und häufig illegal errichtet, für Wanderarbeiter aus dem armen Süden Chinas. Oft hausen 20 in einem unterirdischen Schlafraum ohne Fenster.

Es sind keine schwarzen Limousinen unterwegs, nur Scooter und klapprige Transportwägelchen sausen über die staubige Hauptstraße. Alles recht gewöhnlich – bis man den ungewöhnlichen Geräuschpegel bemerkt: Kaum ein Fahrzeug knattert laut, die meisten surren leise vor sich hin. Hier, fernab von Kalifornien und Tesla, von Superchargern und Luxuslimousinen, ist die Elektromobilität längst angekommen: Rikschas mit Elektroantrieb, Elektro-TukTuks – dreirädrige Elektroautos, halb so groß wie ein Smart. Kastenförmige Elektrotransportwagen liefern stoisch Pakete aus, die in Bergen das flache Dach überwölben.

Und überall sieht man Elektrofahrräder mit massigen Batterien unter dem Sattel, groß wie eine alte Milchkanne. Auch die Polizei des Dorfs ist auf Elektroscootern unterwegs, Blaulicht und Martinshorn haben die Beamten mit Klebeband befestigt. Gelegentlich hängen an den Häusern gelbe Boxen; hier werfen die Fahrer ein paar Münzen ein und zapfen Strom. In chinesischen Dörfern wie diesen ist die Zukunft der Elektromobilität schon zu sehen, jeden Tag, und sie sieht völlig anders aus, als die großen Autokonzerne sich das vorstellen. Eine Arbeiterbewegung auf Strom.

Während in Deutschland Verkehrspolitiker eine Million Fahrzeuge verordnen und Masterpläne für mehr Ladestationen ankündigen, verläuft der Prozess in China eher so wie die Entwicklung des Internets in seiner Anfangsphase: dezentral, mit kurzen Wegen vom Produzenten zum Kunden, flachen Hierarchien – getrieben von Tüftlern mit Kreativität und Lust auf Neues.

Während in Deutschland trotz Großstrategie kümmerliche 40000 Elektroautos unterwegs sind, brummt in China das Geschäft. Den wichtigsten Anstoß gab die lokale Verwaltung von Peking selbst, als sie vor einigen Jahren alle Zweitaktmotoren aus dem Bereich innerhalb der fünften Ringstraße verbannte. Der Schritt war eine Verzweiflungstat kurz vor den Olympischen Spielen 2008, als Peking im Smog zu ersticken drohte. Seitdem muss man auf Nummernschilder für Benziner jahrelang warten.

Für E-Fahrzeuge bekommt man dagegen sofort ein Nummernschild, einen Führerschein braucht man für E-Scooter und langsame Elektroautos nicht. Alles, was elektrisch auf zwei Rädern fährt, zählt bislang einfach als Fahrrad. Die Vorteile der neuen Fahrzeuge können die Einwohner von Feijia schnell aufzählen. "Sie sind bequem, und man kommt um den Stau herum", sagt Herr Zhou, ein Lieferant. "Sie machen die Umwelt nicht schmutzig und sind einfach zu bedienen", sagt Frau Zhang, die auf ihrem Elektrowägelchen Obst anbietet.

Die Umweltprobleme haben sich allerdings nur verlagert: So wie überall auf der Welt stammt die Elektrizität für die Strommobile aus Kohlemeilern. In China sind das zumeist alte, ineffiziente Kraftwerke vor den Toren der Städte. Das verringert zwar den Smog in den Megacities, schafft aber anderswo neue Probleme. Hinzu kommt, dass sich die meisten Kunden gegen Lithium-Ionen-Akkus und für eine Blei-Säure-Batterie entscheiden. Sie lässt ihr Fahrzeug ein wenig größer und protziger erscheinen. Aber sie ist schwerer und treibt damit den Stromverbrauch in die Höhe. Zudem hält sie nicht so lange, und für ihr Recycling gibt es in China bislang keine überzeugende Lösung.

Wichtiger als Umweltschutz dürfte aber ohnehin ein zweiter Grund sein, warum Elektromobilität in Dörfern wie Feijia floriert: Sie ist billig. Im Ort herrscht große soziale Not, davon künden schon die Werbeplakate: Eine improvisierte Arztpraxis verspricht Heilung von sexuellen Krankheiten, auf einem Zettel an einer Hauswand werden Arbeiter gesucht, die "Bitterkeit essen", also schwere Arbeit für wenig Geld verrichten. In ein paar Jahren rücken hier Bagger an und reißen alles ein, um Platz für Hochhäuser zu schaffen – eine begehrte Wertanlage für Investoren. Die Wanderarbeiter sind im Weg, daher sorgt sich Peking auch nicht groß um sie. Am Straßenrand brennt gelegentlich ein Müllhaufen, weil die Entsorgung schlecht funktioniert.

Es gibt keine Tankstellen in der Nähe oder reguläre Busse, die das Dorf mit dem Zentrum verbinden. Die Einwohner haben sich deshalb etwas einfallen lassen: Alle fünf Minuten hält im Ortszentrum ein elektrisch betriebenes Golfkart mit fünf Sitzreihen. Sobald es voll ist, startet es zur nächsten U-Bahn-Haltestelle, der Preis beträgt etwa 30 Cent. Meist ist es ein fliegender Wechsel, ein Kart kommt, ein anderes fährt. Das Elektro-Bussystem ist zwar im Prinzip illegal, aber für das Dorf lebenswichtig.

Aber auch die U-Bahn können sich immer weniger Wanderarbeiter leisten, seit Peking den Preis für eine Fahrkarte angehoben hat. Noch vor einem Jahr kostete jede Fahrt umgerechnet 30 Cent. Jetzt sind kurze Fahrten doppelt so teuer, der Preis für längere Strecken liegt knapp über einem Euro. Viele fahren deshalb mit ihren Elektrorollern direkt in die Stadt und laden die Flitzer nachts im Dorf wieder auf. Eine Aufladung kostet etwa 10 bis 20 Cent. "Hier fährt jeder elektrisch, das ist viel günstiger", sagt Wang Li Hui.