Oculus Rift: Tipps gegen die Simulatorkrankheit

Virtual-Reality-Spiele unter der Oculus Rift sind deutlich intensiver als normale Computerspiele. Wie bei anderen Drogen droht aber auch hier nach dem Rausch der Kater in Form der Simulatorkrankheit. Man kann sich jedoch davor schützen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 28 Kommentare lesen
Oculus Rift: Tipps gegen die Simulatorkrankheit

(Bild: Tammeka Games)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Oculus Rift ist mit einem erstaunlich großen Paket an Spielen an den Start gegangen. Viele dürften mit der Rift ihre ersten Erfahrungen mit Virtual-Reality machen, beziehungsweise erstmals längere VR-Titel spielen – denn bislang gab es meist nur kurze Demos. Virtual-Reality-Spiele haben aber einige Besonderheiten, die die sogenannte Simulatorkrankheit auslösen können. Sie ist derzeit noch das größte Hindernis, das VR-Entwickler auf dem Weg zum Massenmarkt überwinden müssen.

Die Ursachen der Simulatorkrankheit liegen primär in unterschiedlichen Eindrücken, die Ihre Augen und Ihr Innenohr an das Gehirn weiterleiten. Evolutionstheoretiker gehen davon aus, dass die einsetzende Übelkeit eine Schutzreaktion ist, mit der der Körper eventuelle Gifte ausleiten will, die er für die unterschiedlichen Sinneseindrücke verantwortlich macht – in etwa wie bei einem Alkoholrausch.

Die Symptome beeinflussen die Augen (Überlastung, verschwommenes Sehen, Akkomodationsstörungen), das Gehirn (Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten) sowie den Magen (Aufstoßen, Übelkeit). Zum tatsächlichen Erbrechen kam es bei bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen allerdings nur in rund einem Prozent der Fälle – ganz im Unterschied zur Seekrankheit. Die berüchtigte Kotztüte können VR-Spieler also außen vor lassen. Wenn man schon vorher angeschlagen ist, etwa Alkohol getrunken hat oder übermüdet ist, werden die Probleme stärker. Für Epileptiker ist VR tabu.

Die Symptome können auch nach einem VR-Spiel anhalten. Man muss sich zuweilen erst wieder an die Realität gewöhnen. Deshalb empfehlen Experten, erst 30 bis 45 Minuten zu warten, bevor man wieder aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Steigen Sie also nach einer längeren VR-Session nicht gleich ins Auto.

Bisherige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen deutlich stärker betroffen sind als Männer. Die Ursachen sehen Forscher im unterschiedlichen Hormonhaushalt und darin, dass Frauen ein größeres Sichtfeld haben als Männer.

Das Alter spielt auch einer Rolle: Kinder unter zwölf Jahren werden leichter simulatorkrank als Erwachsene über 20, weil sich ihre Sinnesorgane und ihr Gehirn noch nicht vollständig ausgebildet haben und sie noch lernen, alles richtig zu koordinieren. Mit dem Alter nimmt die Empfindlichkeit dann wieder zu. Seien Sie also vorsichtig, wenn ihre Kinder unbedingt die neue VR-Brille ausprobieren wollen und wählen sie nur langsame Spiele mit statischen Kamerapositionen aus.

Wenn junge Männer selbst VR-Software entwickeln, gehören sie selbst statistisch zur unempfindlichsten Gruppe. Zudem haben sie sich im Laufe eines Projekts eventuell bereits an die VR gewöhnt. Um zu testen, ob ihre Simulation auch von anderen Menschen gut vertragen wird, sollten sie es eine halbe Stunde lang ihre Mutter und deren Freundinnen ausprobieren lassen, die bislang noch keine Erfahrungen mit VR haben.

VR-Spiele und Simulatorkrankheit (9 Bilder)

Lineare Kamera-Bewegungen sind in VR meistens OK. Nur die Rückwärtsbewegung vertragen einige Spieler nicht. (Bild: Insomniac)

Frühere VR-Systeme, deren Hardware nicht so ausgereift war wie die der Oculus Rift und HTC Vive, hatten stärkere Probleme mit der Latenz: Ihre Ansicht auf den VR-Bildschirmen war gegenüber der Kopfbewegung zu stark verzögert. Die Vive und die Rift sind hier unkritisch. Solange die Software effizient programmiert wurde und der Computer die geforderten 90 FPS einhalten kann, sollten hier keine spürbaren Verzögerungen auftreten. Betreiben Sie die Brillen also nicht an Systemen, die die Mindestanforderungen von Oculus und Valve nicht erfüllen. Tipps zum Bau eines VR-tauglichen PCs finden Sie etwa in der kommenden c't 8/16.

Sollte die Framerate ruckeln oder das Bild nachziehen, dann lassen Sie das Spiel lieber liegen, bis der Hersteller die Performance verbessert hat oder Sie ihren PC passend aufgerüstet haben. Mitunter kann es helfen, wenn Sie die Helligkeit reduzieren, denn in der Dunkelheit reagieren Menschen generell langsamer auf visuelle Reize und tolerieren Latenzen besser.

Die wichtigste Umstellung, die Entwickler von VR-Spielen lernen müssen, ist die Kamerasteuerung innerhalb der Spiele. So gerne man auch einen schnellen Ego-Shooter in VR spielen würde, funktioniert dies nicht so einfach, denn wegen des hohen Tempos wird den meisten Spielern dabei sehr schnell übel.

Schaut man sich das Start-Portfolio der Rift genauer an, fallen einem verschiedene Taktiken der Hersteller auf, mit denen sie versuchen, die Simulatorkrankheit zu umgehen. Sehr konservativ mit der Kamerasteuerung sind etwa das Tower-Defense-Spiel "Defense Grid 2" und das Action-Adventure "Chronos". Im ersten schaut der Spieler auf eine Miniaturlandschaft, in die er Abwehrtürme setzt, die immer neue Angriffswellen stoppen sollen. Hier blickt der Spieler wie ein Gott auf das Geschehen. Chronos arbeitet ausschließlich mit statischen Kamera-Einstellungen. Wie im alten "Resident Evil" springt die Ansicht in die nächste Ecke, wenn der Held einen neuen Raum betritt. Beide sind gute Einstiegstitel, um sich an VR zu gewöhnen.

Entwickler Insomniac Games, die in Kürze ihr erstes Rift-Spiel "Edge of Nowhere" veröffentlichen wollen, haben sehr viel mit kontinuierlichen Kamerabewegungen experimentiert. Dabei brauchten die Entwickler mehrere Anläufe, bis sie eine bequeme Bewegung gefunden hatten. So verzichten sie im Spiel weitgehend auf Drehungen, allenfalls ein leichtes Kippen sei möglich, um hoch und runter schauen zu können. Lineare Bewegungen nach vorne, oben, unten und zur Seite seien ebenfalls unproblematisch, nur den Rückwärtsgang sollte man in VR vermeiden. Da die Kamera in "Edge of Nowhere" meist nach vorne fährt, ist auch der Level-Aufbau weitgehend linear und nicht so verzweigt wie in bisherigen Action-Adventures.

Die relative Unempfindlichkeit gegen Vorwärtsbewegungen macht sich auch das schnelle Rennspiel "Radial-G" zunutze. Hier rast der Spieler wie im alten Wipeout in einem futuristischen Gleiter über Röhrenförmige Tracks. Das Tempo ist extrem hoch, es gibt aber nur kurze Beschleunigungsphasen, sodass wir das Spiel noch recht gut vertrugen. Denn das Gleichgewichtsorgan reagiert nur auf Beschleunigungen, nicht aber auf gleichbleibende Geschwindigkeiten.

Ubisofts noch in Produktion befindliches "Eagle Flight" setzt ebenfalls einen Trick ein. Beim Beschleunigen und wenn man eine Kurve fliegt schränkt das Spiel absichtlich das Sichfeld mit einem schwarzen Rand ein, sodass es zu einem künstlichen Tunnelblick kommt. Eine ausgedehnte Probesession mit einer Beta-Version konnten wir deshalb gut vertragen.

Einen anderen Trick hat "Technolust" auf Lager: Hier kann der Spieler wählen, ob er sich mit dem Analogstick flüssig nach vorne bewegen und drehen will, oder ob dies in kurzen Schritten geschieht. Schaltet er die Step-Funktion ein, so bewegt sich das Bild nur im Sekundenrhythmus Schritt für Schritt – wie in den ersten 3D-Rollenspielen vor 25 Jahren. Andere Ansätze wie etwa in der Bullet-Train-Demo von Epic erlauben dem Spieler, sich nur zwischen vorgegebenen Portalen zu beamen.

Weniger zimperlich sind da die Weltraumspiele wie "Adr1ft" und "Eve Valkyrie". Hier kann sich der Spieler um alle Achsen drehen. Die Entwickler versuchen die Simulatorkrankheit dadurch zu verringern, dass sie bei Adr1ft einen Raumfahrer-Helm und bei Valkyrie ein riesiges Cockpit rendern. Diese sollen den Augen als Referenzpunkte dienen und können das flaue Gefühl im Magen verringern. Denn wenn eine VR-Simulation dem Spieler visuell suggerieren kann, dass nicht er sich bewegt, sondern die Welt um ihn herum, dann kollidieren die Sinneseindrücke nicht mit denen des Gleichgewichtsorgans. Uns wurde jedoch trotz dieser Maßnahmen nach einigen Minuten mulmig. Die beiden Weltraum-Simulationen sind nur etwas für hartgesottene VR-Experten.

Oculus selbst stuft die Spiele in drei Kategorien ein, die maßgeblich vom Tempo und von den Kamerabewegungen im Spiel abhängen. Auf jeden Fall sollte man die Länge einer VR-Session zeitlich begrenzen. Je nach Spiel sollte man spätestens nach 20 bis 30 Minuten eine Pause einlegen und sich entspannen. Mit der Zeit gewöhnt sich Ihr Körper an die VR. Wenn Ihnen bei einem Spiel übel wird, machen Sie ein paar Tage Pause und probieren es dann noch einmal. So können Sie die Dosis nach und nach erhöhen.

Alle verfügbaren Titel im Oculus-Store (Stand 27. März 2016) (43 Bilder)

Oculus Dreamdeck (Acht kurze VR-Demos, kostenlos)

(hag)