Post aus Japan: Ausgeschaltete Fantasie

Virtuelle Welten werden real, hofft Sony: Der Konzern bringt seine Brille PlayStation VR zum Kampfpreis auf den Markt. Beginnt eine neue Epoche?

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Von
  • Martin Kölling
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Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Schon länger frage ich mich, welcher der technologische Schritt sein wird, den ich nicht mehr mitgehe. Smartphones und das ewige Vernetztsein waren es für viele aus meiner Elterngeneration, wenigstens in Deutschland. Für mich könnte es die neue Epoche der virtuellen Realität werden, die dieses Jahr in aller Verspieltheit beginnt.

Facebook und Samsung haben sich schon verbündet, um die Facebooks VR-Brille Oculus Rift zu produzieren und zu vertreiben. Der taiwanische Hersteller HTC hat schon seine Vive auf den Markt gebracht. Doch richtig Schub verspricht eine japanische Firma in den Trend zu bringen: Sony.

Auf der Videospielmesse E3 in den USA kündigte der Konzern gerade an, am 13. Oktober seine VR-Brille PlayStation VR zum Kampfpreis von 399 US-Dollar auf den Markt zu werfen. Dazu gibt es noch eine Reihe kompatibler Spiele. Und schon sehen Beobachter den bisher doch recht schlappen Markt für die schöne neue Welt vor dem Take-Off.

Ich sehe dies allerdings mit einer Prise Skepsis. Dabei habe ich grundsätzlich nichts gegen virtuelle Realitäten. Die Menschheit hat sie schon lange gepflegt: Mündliche oder schriftliche Erzählungen oder unsere eigenen Tagträume lassen seit Jahrtausenden vor unserem geistigen Auge Welten entstehen.

Diese Produkte unserer Fantasie vermitteln mitunter fantastische Gefühle. Und sicher kann man sich auch in diesen Traumwelten verlieren wollen. Aber immerhin ist diese Form der Welterschaffung ein aktiver und kreativer Prozess, der nun mit Hilfe der Technik ausgeschaltet wird. Stattdessen treten Nutzer künftig in vorgefertigte künstliche Universen ein, die Programmierer früher oder später bis in die letzte Pore durchgestylt haben werden. In diesen Welten kann vielleicht der Mensch fliegen, nicht aber seine Fantasie.

O mein Gott! Nun höre ich mich schon an, wie einer jener alten, kulturpessimistischen Großelterngenerationen, die seit Jahrzehnten den Untergang der Zivilisation beschwören. Und doch hat die Welt nicht aufgehört, sich zu drehen und die Menschheit hat sich weiterentwickelt und vermehrt.

Ich gehe einmal davon aus, dass sich dies vorerst fortsetzen wird. Damit stellt sich die eigentliche Frage: Wird diese von Japan und Asien aus mitgeschaffene Welt eine sein, in der ich leben will? Ich zweifle jüngst immer mehr daran. Denn diese Verbindung von völliger Vernetzung, Datensammelei, unermesslicher Rechnerleistung, künstlicher Intelligenz, Robotern und der Möglichkeiten, die Welt immer realitätstreuer nachbilden zu können, steuert auf einen gesellschaftlichen und kulturellen Bruch zu, vor dem bekannte Erdenbürger von Microsoft-Gründer Bill Gates bis hin zum Astrophysiker Stephen Hawking warnen. Vielleicht werde sogar ich durch einen Schreibroboter ersetzt.

Faszinierend, aber wenig verwunderlich ist, dass ausgerechnet Japan, Südkorea und China Motoren bei dieser Entstofflichung der Welterfahrung sind. Hier sind nicht nur die großen Elektronikhersteller beheimatet. Auch die Gesellschaften lieben es, mit neuen Gadgets und Videospielen zu spielen. Diese asiatische Verspieltheit kombiniert mit den Visionen des Silicon Valley und der amerikanischen Traumfabriken verspricht, die treibende Schöpfungskraft der virtuellen Welten zu werden. ()