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Was war. Was wird. Von Voodoo-Korrelationen und anderen gestupsten Kolossalitäten

"My brain is a neural net", was im Deutschen zu "Mein Gehirn ist ein neutrales Netz" wurde - Androiden haben es nicht einfach, aber Wissenschaftler auch nicht. Hal Faber stimmt zu: "Was fällt, das soll man auch noch stoßen!"

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Neuronen, Gehirn
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Aus den Anfängen der Hirnforschung: William Grey Walters Experimente von 1961.

*** "Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stoßen! Das Alles von heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stoßen! Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? – Diese Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefe rollen! Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, o meine Brüder! Ein Beispiel! Tut nach meinem Beispiele! Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir – schneller fallen!

*** Manchmal muss man unumstößliche Wahrheiten in die Tonne treten, weil sie umstößlich geworden sind und gestoßen werden müssen. Man nehme die Super-Vorhersagesoftware Precobs, deren Einsatz in München dazu führte, dass 2015 in den von Precobs überwachten Gebieten 25 bis 30 Prozent weniger Einbrüche passierten. Fantastisch? Nun sind die Halbjahreszahlen von 2016 da und im aktuellen gedruckten Behördenspiegel beklagt ein Polizeigewerkschaftler das satte Plus von 30 Prozent bei den Einbrüchen in München. Hat man im Vertrauen auf das "Predictive Policing" die Belegschaft reduziert? Ist die Software wirkungslos geworden? Macht nichts, der Folgeauftrag, die Software zu optimieren, ist so gut wie sicher. Die prinzipielle Wirksamkeit ist ja "bewiesen".

*** Manchmal passen all die abgetretenen Wahrheiten gar nicht mehr in eine Tonne. Bis zu 40.000 Studien müssen angeblich entsorgt werden, weil die MRT-Software fehlerhaft ist. All die schöne Hirnforschung ist für die Katz, all die schönen TED-Talks entpuppen sich als hirnrissiges Geschwafel. Man denke nur an megalomane Projekte wie Brain Research through Advancing Innovative Neurotechnologies (BRAIN), dem US-Präsident Obama 3 Milliarden Dollar gab, damit die elektrischen Schaltkreise des Gehirns kartographiert werden können. Oder an das Human Brain Project der EU, mit 1,2 Milliarden Euro EU-Gelder und weiteren 800 Milliönchen aus Ländermitteln etwas kleiner. Vom Reverse Enginieering unser kleinen grauen Zellen versprach man sich alles mögliche wie die Erklärung der Finanzblase. Neurowissenschaften produzierten Voodoo-Korrelationen, was prompt als unwissenschaftlicher Ausdruck beanstandet wurde. "Puzzlingly high correlations in fMRI studies of emotion, personality, and social cognition" klingt schon viel besser, nicht wahr?

*** Sehen wir den Zusammenbruch einer großen Forschungsszene (oder ist es nur ein einzelnes Softwareprogramm?) nach 20 Jahren Hirnforschung doch einmal positiv: Wir Menschen haben wieder einen freien Willen, all das neurowissenschaftlich untermauerte Nudging von Politik und Wirtschaft prallt von ihnen ab, nur beim Pissen folgen Männchen der berühmten neurowissenschaftlich ermittelten Fliege, während Weibchen beim Essen zum Obst gestupst werden können. Insbesondere funktioniert der liberale Paternalismus mit seinen geheuchelten Bürgerbeteiligungen, den Townhalls und Tings nicht so, wie er im Gefolge der Neurowissenschaft Einzug gehalten hat in die Politik.

*** Der Übermensch ist wegen Messfehler vorläufig ausgebremst, die von Julian Assange und Ray Kurzweil gleichermaßen ersehnte technologische Souveranität lässt auf sich warten. Auf der Strecke bleibt der Transhumanismus, ein trotz seines sympathischen Logos utilitaristisches Zukunftsbild. Er entpuppt sich als maskuliner Cargo-Cult. Verwiesen sei auf ein unbedingt empfehlenswertes Heft der kritischen Informatiker zum Thema, das gerade erschienen ist, auch so eine Korrelation. Aus einem Artikel daraus stammt die passende Passage:
"Der Transhumanismus arbeitet mit einer funktionalistischen Vorstellung vom Menschen, d.h. das, was den Menschen auszeichnet, sind die Funktionen, die sein Gehirn hervorbringt. Diese Funktionen können erfasst werden, indem das Gehirn möglichst vollständig begriffen wird, indem also die Form, die Funktionsweise und die Interaktionen der Neuronen, der Botenstoffe usw. erkannt werden. Funktionen und Muster bzw. Formen sichtbar zu machen, von der biologischen Materialität – der Wetware – zu extrahieren und auf ein anderes Material zu übertragen, erweist sich als Aufgabe derer, die sich die Gehirnemulation zum Ziel gesetzt haben.

*** Ja, Hirn und Computer, das ist ein unerschöpfliches Thema, gut für lange Artikel und arg gekürzte Vergleiche zwischen den IP-Paketen und flunkernden Neuronen. Jede Epoche der Menschheit versuchte, das Gehirn auf dem neuesten Stand der Technik zu erklären, mechanisch als Uhrwerk, hydraulisch als Gedankenpumpstation und chemisch als Denksuppe. Mit John von Neumann und der Kybernetik war klar, dass die Deutung als Computerschaltung ihren Siegeszug antritt, mit mächtigen Elektronenhirnen, vor denen selbst der Vater des deutschen Wirtschaftswunders kapitulierte. Nun haben wir die Chance, sich vom rechnenden Hirn zu verabschieden, genau zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Inlands-Drohne in den USA einen Attentäter tötete (her mit der Kausalität). Denn frei vom Konstruktionszwang unser grauen Zellen können wir den Roboter als Partner begrüßen, der unser Bestes will, auch als Be-Schützer. Der will doch nur helfen.

Was wird.

Das "Endgame" steht an, allerdings keines mit der ausgepowerten "La Mannschaft". Am Montag beginnt in Brüssel die 14. Verhandlungsrunde zwischen der EU und den USA zum Handelsabkommen TTIP über die Lockerung von Handelshemnissen. Auch CETA ist dabei auf der Tagesordnung. Was sich technisch in der Lockerung von Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards niederschlägt, soll endlich in trockene Tücher kommen. Der Zeitpunkt ist günstig, Europa ist vom Brexit abgelenkt und der schicke Privacy Shield ist aufgespannt. Da ist nur das klitzekleine Problem der Schiedsgerichte, wenn Firmen Staaten verklagen. Aber halt, es geht "Immer auf die Kleinen") und das sind "wir" ja nicht. OK, die andere "La Mannschaft" hat sich mit dem Atomausstieg eine 3-Milliarden-Euro-Klage von Vattenfall eingehandelt, aber das zahlen wir doch gerne für unser Schland. Zumal dann, wenn beim Streit über das Hinunterstupsen des Atommülls gleichzeitig die Demokratie gefördert wird.

Aus den Anfängen der Hirnforschung: William Grey Walters Experimente von 1961.

In schönster demokratischer Stupserei ist die erste Lesung des BND-Gesetzes über die Bühne gegangen, diesem Nachrichtendienst, der sich für seine Arbeit nicht zu schämen braucht. Wie sagte es der neue BND-Chef Bruno Kahl in seiner Antrittsrede so schön:
"Denn Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, und genau dazu sind die Dienste da: hinschauen, Wissenslücken schließen, Fakten sammeln, analysieren, aufbereiten für die Politik."
Beim Lückenschluss, beim Faktensammeln und beim Aufbereiten gilt mit Inkrafttreten des neuen BND-Gesetzes beim Staatsgehirn: Alle dürfen ein bisschen gucken, aber bloß niemand richtig.. Der BND darf alles beschnorcheln und mit XKeyscore auswerten, was benötigt wird, um die "Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland" zu bewahren. Vertrauen ist gut, Kontrolle, nein danke. (jk)