Volle Ladung

Die Preise für Lithium-Ionen-Akkus sind im freien Fall. Bald, glauben Experten, ist eine kritische Marke erreicht. Die Akku-Revolution wird ganze Branchen durcheinanderwirbeln.

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Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh
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Es war wieder kein gutes Jahr für Daimler. Einer der wichtigsten Auftraggeber ging verloren: Google wird seine Fahrgestelle künftig bei Toyota ordern. Die Daimler-Aktie fiel auf fünf Euro. Übernahmegerüchte machen die Runde: Tesla sei interessiert. Apple auch. VW und BMW ergeht es nicht besser. Die einstmals wertvollen Kernkompetenzen der deutschen Autobauer – Verbrennungsmotoren, Getriebe – sind wertlos geworden. Elektroautos dominieren den Markt. Deutsche Autobauer sind zu Zulieferern degradiert, seitdem Tesla, Apple und Google sich mit den Japanern und Chinesen den Markt aufteilen.

Sie haben das Öl besiegt. Obwohl es zunächst nicht danach aussah angesichts der Dumpingpreise von 2016 bis 2019. Doch am Ende waren die Akkus so billig, dass nur noch Saudi-Arabien mithalten konnte. Südamerika, Russland, der Iran: ausgehungert. Nachfrage gibt es noch, aber nur, weil die Superbatterien für Flugzeuge und Schiffe nicht ausdauernd genug sind.

Sie brachten zudem die Energiewende, wenn auch anders als gedacht. Die großen Stromtrassen wurden wieder zurückgebaut, die einstmals großen Energieversorger sind Franchise-Unternehmen von Photovoltaik-Installateurbüros. Jedes Haus mit Solarpanels auf dem Dach und Batteriespeicher im Keller ist jetzt ein Kraftwerk. Das Geschäft machen ein paar digitale Plattformen, die "Energie-Googles". Mit Steuerungsintelligenz und Daten vernetzen sie die Batterien zu virtuellen Kraftwerken.

Aber während die meisten Beobachter dieses Szenario noch vor wenigen Jahren für Fantasterei gehalten hatten, ist es mittlerweile eine ernst zu nehmende Prognose. Die Batteriepreise fallen seit Jahren in einem selbst für Experten ungeahnten Ausmaß. Ein historischer Moment zeichnet sich ab, der eigentlich seit 130 Jahren überfällig ist. Damals begann die Elektrifizierung der Welt, aber sie wurde nie konsequent zu Ende geführt.

Wir konnten diese grandiose, aber flüchtige Energieform Strom nicht in dem Ausmaß speichern, wie wir es bräuchten. Doch langsam werden die Batterien gut und günstig genug für diesen Schritt. Damit steht einer der seltenen Momente der Technikgeschichte bevor, in der eine einzige Technologie Unzähliges verändern wird. Die Batterie wird Wirtschaftszweige umwerfen, die derzeit fast 1,3 Millionen Menschen beschäftigen. Wie rasch und wie genau, ist noch offen, für den grundlegenden Trend aber nicht entscheidend. Jeder Einzelne wird den Wandel spüren – sei es als Hausbesitzer, Autofahrer, Stadtbewohner, Industriearbeiter oder als alles zusammen.

Der Preis des Goldes wird in Dollar pro Feinunze angegeben – der von Lithium-Ionen-Akkus in Dollar pro Kilowattstunde. 2007 kostete sie noch über 1000 Dollar, sieben Jahre später waren es nur noch 300 Dollar. So jedenfalls lauteten die Schätzungen, denn über die wirklichen Preise redet die Branche ungern. Dann aber zeigte sich im Oktober 2015, was tatsächlich möglich ist. General-Motors-Chefin Mary Barra plauderte aus, GM werde in seinem neuen Mittelklasse-Elektroauto Bolt Batterien für nur 145 Dollar pro Kilowattstunde verbauen.

Was sich für General Motors als PR-Coup entpuppte, war für den Lieferanten, den südkoreanischen Hersteller LG Chem, eine ärgerliche Indiskretion. Denn anschließend klopften andere Großkunden mit der gleichen Forderung an: Daimler, Ford, Renault, VW. Es geht weiter: 2022, so Barra, werde man bei 100 Dollar sein. Spätestens dann werden Elektroautos so viel kosten wie Verbrenner.

Gerade einmal 20.000 Elektroautos fahren derzeit in Deutschland. Selbst mit Hybridfahrzeugen zusammen sind das nur 2,9 Promille der 44 Millionen Autos. Entsprechend weit entfernt scheint Angela Merkels Traum von der Million Elektroautos bis 2020. In dieser Argumentation gerät jedoch oft aus dem Blick, wie nah die Elektrofahrzeuge den Verbrennern heute schon gekommen sind. Die ersten Brancheninsider sehen den Break-even der Elektromobilität bereits kommen. Die Unternehmensberatung P3 Group hat eine Gesamtkostenrechnung gemacht, bezog also neben der Anschaffung auch den Betrieb und Wertverlust über vier Jahre mit ein.

In diesem Fall kostet ein E-Golf der nächsten Generation im Jahr 2018 im Monat 545 Euro – und damit 16 Euro weniger als sein benzinfressender Bruder. P3 nimmt für diese Rechnung einen Batteriepreis von 150 Euro pro Kilowattstunde an, den die Realität praktisch schon unterboten hat. Etwas Geld müssen die Käufer trotzdem mitbringen: Als Vergleich diente nicht der billigste Golf für 17650 Euro, sondern ein gleich hochwertig ausgestatteter Benziner für 28000 Euro. Nach Analysen des ADAC hat der BMW i3 den Break-even sogar heute schon erreicht. Er liegt knapp unter seinem Benzin-Pendant. Erkauft wird der niedrige Preis allerdings mit einer geringen Reichweite, beim BMW i3 von gerade einmal 160 Kilometern.

Aber je stärker die Batterien im Preis sinken, desto mehr Sprünge sind zu erwarten. Beim Chevy Bolt etwa plant GM bereits eine Reichweite von 320 Kilometern und einen Preis von 37500 Dollar. Mit nahezu den gleichen Kennzahlen soll Teslas Model 3 im Jahr 2017 den Massenmarkt erobern. Wer früher keinen Pfifferling auf die Elektromobilität gesetzt hat, muss heute zugeben: Es ist ein Milliardenspiel.

So gesehen passt es, das ausgerechnet in Nevada, dem Ort der Spielerparadiese Reno und Las Vegas, eine der wagemutigsten Wetten auf die Batteriezukunft läuft. Hier baut Tesla-Chef Elon Musk, Gründer von PayPal und des Raketenbauers SpaceX, gerade die Gigafactory, die größte Batteriefabrik der Welt. Mit Panasonic hat Musk den Lithium-Ionen-Marktführer mit an Bord. Beide wollen die Stromspeicher zwar nicht neu erfinden (zehn Prozent mehr Energiedichte will Musk noch rausholen), wohl aber ihren Preis neu definieren.

Aus der fünf Milliarden Dollar teuren Anlage rollen ab diesem Jahr Lithium-Ionen-Akkus im Akkord. Ab 2020 soll die Gigafactory ihre volle Kapazität erreichen und genug Batterien für 500000 Elektroautos liefern. Vor allem diese gigantische Hochskalierung der Produktion soll die Preise um 30 Prozent drücken. 145 Dollar minus 30 Prozent macht: 100 Dollar. Eine gewagte Wette. Denn Musk legt sich damit für Jahre auf die Lithium-Ionen-Technik fest, während Konkurrenten bereits an neuen Technologien forschen.

Ob Musk den Gewinn seines Lebens einfährt – oder zu hoch gepokert hat? Noch ist die Antwort ungewiss. Risiken gibt es auch ohne konkurrierende Technologien genug. Die geringe Reichweite wird ein Problem bleiben, glaubt Georg Erdmann, Professor für Energiesysteme an der TU Berlin: "Selbst 300 oder 400 Kilometer werden nicht ausreichen, dass Normalbürger ihre Benziner gegen Elektroautos tauschen." Auch eine flächendeckende Ladeinfrastruktur fehlt nach wie vor. Zudem könnte ein anhaltend billiger Ölpreis den wirtschaftlichen Break- even verzögern. Im Januar meldete das Kraftfahrt-Bundesamt 3,3 Prozent mehr Neuzulassungen – nahezu ausschließlich Verbrenner. Der Elektroauto-Absatz ging um 27,6 Prozent zurück.

Umgekehrt aber dürften steigende Umweltauflagen den Wandel fördern. Zum wohl ersten Mal in ihrer Geschichte freuen sich die Autohersteller daher nur begrenzt über das billige Benzin. Denn es verführt ihre Kunden zum Kauf spritschluckender Modelle – mit denen die Konzerne aber die EU-Vorgabe verfehlen werden, bis 2020 nur noch 95 Gramm Kohlendioxid im Schnitt auszustoßen. "Im niedrigen Ölpreis sehen wir keinen strategischen Vorteil", sagt BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson. "Er kann zwar kurzfristig dazu führen, dass Kunden sich eher für einen Benziner oder einen Diesel als für ein Fahrzeug mit alternativen Antrieben entscheiden. Wir müssen als Autohersteller aber langfristig denken."

Gleiches gilt für den gesundheitsgefährdenden Feinstaub. Der Dieselskandal rund um VW und die manipulierte Abgassteuerung hat gezeigt, wie schwer es für heutige Motoren ist, die Schadstoffgrenzen einzuhalten. VW wusste sich in den USA nur mit Betrug zu helfen. Andere Hersteller machen es zwar gesetzeskonform, aber nicht weniger trickreich. Als Folge haben "die Kommunen ein massives Feinstaubproblem", sagt Mobilitätsforscher Stephan Rammler. Im Januar rief Stuttgart als erste deutsche Stadt Feinstaubalarm aus. Um dem zu entgehen, müssen die Umweltauflagen steigen. Strikte Umweltzonen und Fahrverbote wären eine Variante. Mit beiden Maßnahmen würden Verbrenner unattraktiver.

Die Alternative wären sauberere Diesel und Benziner. Damit aber steigen die Kosten für die Motoren. "Verbrenner werden prinzipiell teurer, Elektroautos prinzipiell günstiger, weil die Batteriepreise massiv auf breiter Front sinken", prophezeit Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der TU München. Er sieht den Durchbruch für Elektroautos zwischen 2020 und 2025 kommen. Für die Million bis 2020 wird es wohl nicht reichen, glaubt ein anderer Brancheninsider. Aber "500.000 vollelektrisch fahrende Autos sind realistisch".