Hasskommentare: Justizminister Maas liebäugelt mit verschärfter Haftung für Facebook und Co.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat ein Jahr nach dem Einsetzen einer "Task Force" gegen Hetze im Netz ein erstes Resümee gezogen. Das Löschen über offizielle Behördenkanäle funktioniere gut, Meldungen von Nutzern würden aber kaum ernst genommen.

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Hate
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"Es geht um viel, um nichts geringeres als den inneren Frieden in unserer Gesellschaft und die Streitkultur in unserer Demokratie." Mit diesen Worten warb Bundesjustizminister Heiko Maas am Montag auf einer Konferenz seines Ministeriums gegen Hass im Netz für mehr Engagement der Betreiber sozialer Netzwerke. Es gebe auf Basis von Artikel 14 Grundgesetz zum Eigentum eine gesellschaftliche Verpflichtung, gegen Hetze oder Propaganda "für Terrorfantasien" vorzugehen, unterstrich der SPD-Politiker.

Vor einem Jahr hatte Maas eine Arbeitsgruppe mit der Internetwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen eingerichtet, um Online-Hasskommentare besser bekämpfen zu können. Im Dezember einigten sich die Beteiligten inklusive Facebook auf Vorkehrungen gegen die "verbale Verrohung". Die beteiligten Vertreter sozialer Netzwerke sicherten zu, in der Regel innerhalb eines Tages gemeldete strafbare Inhalte zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen. Im Juli warf der Minister Facebook aber vor, die Zusagen nicht ganz einzuhalten und "zu wenig, zu langsam und zu oft auch das Falsche" zu entfernen.

Die länderübergreifende Institution jugendschutz.net hat mittlerweile in zwei Tests im Frühjahr und im Sommer überprüft, wie Facebook, YouTube und Twitter die Versprechen einhalten. Im Juli und August untersuchten die Kontrolleure, wie die Anbieter mit 622 rechtswidrigen Hassbeiträgen umgehen. Sie unterschieden dabei zwischen Meldungen "normaler" Nutzer und privilegierter Kontakte für Behörden über Webformulare oder per E-Mail.

EU-Kommissarin Jurova und Justizminister Maas

(Bild: heise online / Stefan Krempl)


Das Ergebnis bezeichnete Maas als "etwas zwiespältig". Es würden mehr strafbare Inhalte gelöscht, auch schneller als im Frühjahr. "Das klappt richtig gut", wenn sich jugendschutz.net direkt an die Betreiber wende. Bis zu 97 Prozent der Beiträge seien danach bei YouTube und Facebook entfernt worden, bei Twitter sei die Quote etwas schlechter. Der Hälfte der Meldung werde innerhalb 24 Stunden Folge geleistet. "Am Schluss werden noch zu wenige Inhalte zu langsam gelöscht", findet der Minister. So führten Eingaben von normalen Usern nicht im gleichen Umfang zu Reaktionen: auf dieser Basis würden nur zwischen ein bis 46 Prozent entfernt. Dies sei "deutlich zu wenig".

"Die Lage ist besser geworden, aber sind noch nicht da, wo wir hinwollen", meint Maas. Der Kontrollprozess durch jugendschutz.net laufe noch bis März. Bis dahin müssten die Anbieter unter anderem an ihrer Transparenz arbeiten. Die Frage sei, ob soziale Netzwerke verpflichtet werden sollten, die Zahl der eingehenden Beschwerden und den Umgang damit zu veröffentlichen.

Bisher liege die rechtliche Verantwortung vor allem beim einzelnen Schreiber, erläuterte Maas. Wer Bilder eines ertrunkenen Flüchtlings "feiere", die Gaskammern für Flüchtlinge wieder öffnen oder Kanzlerin Angela Merkel "steinigen" wolle und dies im Netz erkläre, werde von der Strafjustiz zur Verantwortung gezogen und mit über zwei Jahren Haft ohne Bewährung bestraft. Es empfiehlt sich laut Mass aber auch darüber nachzudenken, ob die Anbieter selbst belangt werden müssten, wenn sie die Verbreitung von Haas "als Teil ihres Geschäftsmodells" förderten.

EU-Justizkommissarin Vera Jourova betonte, dass das "Internet ein Raum der freien Meinungsverbreitung bleiben soll". Doch wer sich für Toleranz ausspreche, "wird bombardiert mit Hassbotschaften". Dies führe oft zu Kriminalität bis hin zu Mord. Jourova kündigte an, das Thema im Oktober wieder beim Justizministerrat vorzubringen.

Die Kommissarin übt seit Längerem Druck aus auf Anbieter aus, Hassbotschaften rasch zu löschen. Im Mai vereinbarten Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft mit der EU-Kommission einen Verhaltenskodex. Die Konzerne wollten demnach Verfahren einführen, um solche Inhalte zu entfernen oder den Zugang dazu zu sperren. Bürgerrechtsorganisationen wie die Initiative European Digital Rights (EDRi) wittern in derlei Vorstößen Zensur durch Private und sehen das Problem ungelöst, dass die Firmen Richterfunktionen übernehmen sollten.

Sie verstehe die Kritik nicht, dass sie ein "Orwell-System" im Netz aufbauen wolle, hielt Jourova dem entgegen. "Ich möchte hundertprozentig sicher sein, dass ich das Bestmögliche unternommen habe, um die Europäer vor Gewalt zu schützen." Wenn der Kodex nicht funktioniere, werde sie zurück ins Kommissionskollegium gehen und erörtern, ob der bisher gefahrene Selbstregulierungsansatz "der beste ist".

Der europäische Regulierungschef von Facebook, Richard Allan, betonte, dass in dem sozialen Netzwerk mehrere tausend Leute insgesamt und mehrere hundert deutsche Kontrolleure über einen externen Dienstleister Meldungen zu Hasskommentaren nachgingen. Allein im vorigen Monat seien hierzulande "rund 100.000 Beiträge" wegen Regelverstößen gelöscht worden. Hetze sei "sehr kontextabhängig", sodass sie nur schwer mit Algorithmen ausfindig gemacht werden könnte.

Dass YouTube nur zehn Prozent der Videos lösche, über die sich Nutzer speziell wegen "Hate Speech" oder "Terrorismus" beschwerten, versuchte die Regulierungsexpertin der Plattform, Juniper Downs, mit viel Falschalarm zu erklären: "Justin-Bieber-Videos werden am häufigsten als Hass eingestuft." Zudem komme bei Hetze oft nicht eine kritische Masse an Eingaben zusammen, die dazu führe, dass Clips noch schneller geprüft würden. (anw)