Morozov: Künstliche Intelligenz sollte ein öffentliches Gut sein

Der Publizist Evgeny Morozov fordert, die meist von den Nutzern gelieferten Trainingsdaten für Künstliche Intelligenz als öffentliche Ressource zu fassen.

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Morozov: Künstliche Intelligenz sollte ein öffentliches Gut sein

(Bild: whiteMocca/Shutterstock.com)

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Künstliche Intelligenz (KI) ist weniger ein privates Wirtschaftskapital, als vielmehr ein öffentliches Gut und sollte entsprechend reguliert werden. Dies erklärte der Technikforscher Evgeny Morozov am Montag auf der Digital Society Conference der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin. "KI wird mit Daten produziert, die wir generiert haben", begründete der Vordenker seine Forderung. Nötig seien daher "gerechte und faire Bedingungen" für den Zugang zu diesen Basisinformationen, die staatlich durchgesetzt werden müssten.

Die derzeitige KI-Entwicklung sei besonders im Bereich Maschinenlernen und neuronale Netzwerke sehr ineffektiv und ineffizient, konstatierte Morozov. Amazon, Facebook, Google, Microsoft & Co. steckten sehr viel Geld in das Training für die gleichen Dienste. Mit "trivialen Datensets" versuchten sie der Maschine beizubringen, wie Katzen von Hunden oder Fußgänger von Autos unterschieden werden können. Es sei aber mehr als fraglich, ob die sich als KI-Führer sehenden Konzerne jeweils Milliarden in die Entwicklung derselben Fähigkeiten ausgeben müssten. Würde man die Trainingsdaten als öffentliches Gut ansehen, würde es ausreichen, diesen Prozess einmal durchzuführen und viel Geld zu sparen.

Darüber hinaus sei zu bedenken, dass die Internetriesen derzeit einen einseitigen Vorteil aus all den Daten zögen, die durch die Interaktionen der Bürger mit den Firmen und auch der öffentlichen Verwaltung entstünden. "Wir müssen über Bedingungen für eine demokratische, transformative Gesellschaft nachdenken", hob Morozov das KI-Beispiel auf eine höhere Ebene. Ein "starker öffentlicher Sektor" müsse darüber entscheiden, wer unter welchen Bedingungen Zugang zu öffentlichen Daten und Gütern habe.

Generell werde die digitale Infrastruktur derzeit letztlich von Konzernen beansprucht, führte der Gastforscher an der Harvard-Universität aus. Sie sollte aber ebenfalls unter das Dach öffentlicher Güter gefasst werden. Als weiteres Beispiel nannte er das Management digitaler Identitäten, über die der Zugang zu zahlreichen Online-Diensten verwaltet werde. Auch dabei handle es sich um eine "kritische", im Kern datenbasierte Infrastruktur.

Firmen will der gebürtige Weißrusse aus diesem Modell nicht ausschließen. Sobald die Kernbestandteile der digitalen Architektur öffentlich reguliert und kontrolliert seien, könne darauf ein Markt aufgebaut werden. "Google und Alibaba müssten dann etwas mehr zahlen, um Daten verwenden zu dürfen", meinte Morozov. Kleinere lokale Akteure könnten sie gegebenenfalls umsonst nutzen oder Fördermittel beziehen, um öffentliche Dienste zu kreieren. Solche "horizontalen Initiativen" seien unerlässlich, um den Wettbewerb in der Plattform-Ökonomie zu beflügeln und die Macht der derzeitigen Netzgiganten einzuhegen.

Vor allem in der sogenannten Sharing Economy laufe derzeit Einiges falsch, kritisierte der Beobachter. Uber etwa könne momentan vier Milliarden US-Dollar Verluste pro Jahr schreiben und trotzdem geschäftlich weitermachen. Dies sei nur möglich mithilfe massiver Investitionen aus Südostasien oder den Golfstaaten in solche Plattformen. Mittelfristig müsse Uber aber entweder die Konkurrenz plattmachen, um dann die Preise für Fahrdienste deutlich hochschrauben zu können. Die andere Option bestehe darin, den Automatisierungsprozess zu beschleunigen, auf autonome Autos zu setzen und "die Fahrer komplett loszuwerden". Die gesamten Profite stünden so oder so nicht einer sozialen Marktwirtschaft zur Verfügung, sondern flössen zu "Softbank & Co."

Die Visionen aus dem Silicon Valley rund um die Sharing-Plattformen und vergleichbare digitale Wirtschaftsmodelle gehen laut Morozov so nicht auf. Weder komme es zu der "Magie" eines bedingungslosen Grundeinkommens, das just unter kalifornischen Gründern hoch im Kurs steht, noch machten technologische Lösungen wie Big Data oder die Smart City einfach langfristig "alles kostenlos und viel günstiger". Wer in Politik oder Wirtschaft auf solche Utopien baue, sei blind und beschwöre schlimmere Folgen wie bei der jüngsten Finanzkrise herauf. Nötig sei daher eine alternative, vom Staat unterstützte Transformationsagenda. Einem neuem Sozialismus rede er damit nicht das Wort. Generell habe auch in den USA oder in China weniger der freie Markt mit "Smoothie-trinkenden Mitarbeitern in Startups" die Technologieentwicklung geprägt, sondern der Staat.

Auf der Konferenz stießen die Thesen Morozovs auf ein geteiltes Echo. "Wir brauchen eine bessere Regulierung", befand der "Bild Digital"-Manager Stefan Betzold. Regulierungsansätze aus der Politik kämen aber in der Regel zu spät, seien schon bei Gesetzesbeschlüssen veraltet und hinkten der technikgetriebenen Entwicklung hinterher. Ins gleich Horn stieß der Unternehmensberater Holger Friedrich: "Regulierung macht keinen Sinn", sagte er. Die beschriebenen Bedrohungen seien real, die Politik agiere aber zu langsam und ohne Durchblick. (axk)