Ancestry: Datenschützer warnen vor DNA-Analyse übers Netz

Das Netzwerk Datenschutzexpertise hat im Online-Angebot von Ancestry-DNA viele Rechtsverstöße ausfindig gemacht. Ergebnisse könnten weiterverkauft werden.

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Gene, DNA
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Mitte November gab das US-Unternehmen Ancestry bekannt, fortan auch gezielt deutsche Ahnen- und Stammbaumforscher bedienen zu wollen. Das Online-Angebot, das aktuell für das Verschenken von Genanalysen zu Weihnachten wirbt, hat rasch Datenschutzspezialisten auf den Plan gerufen. So warnt das "Netzwerk Datenschutzexpertise" im Rahmen der Publikation eines Gutachtens über die hiesigen Offerten am Dienstag davor, dass Ancestry-DNA rechtswidrig den "deutschen Gendaten-Markt aufzumischen" versuche.

Auf dem deutschsprachigen Webauftritt wird ein DNA-Test mit einer eingesendeten Speichelprobe für vergleichsweise kleinen Preis ab 69 Euro versprochen, ein Zugang zur "größten deutschen Online-Sammlung von historischen Dokumenten" zur Familienforschung ist schon für 1,99 Euro "für den ersten Monat" zu haben. Das Eigentum an den sensiblen Geninformationen bleibe beim Kunden, versichert die Firma. Der Datenschutz werde ernst genommen.

Ein tieferer Blick der Experten in die Geschäftsbedingungen, ein "Privacy Statement" sowie eine Einwilligungserklärung hat diesen zufolge aber "das genaue Gegenteil" offenbart. Mit der Probe gäben die Kunden dem Unternehmen einen "Freifahrschein nicht nur zur Ahnenforschung, sondern für jede sonstige genetische Analyse". Im Kleingedruckten lasse sich Ancestry die Erlaubnis einräumen, die Daten an die Pharmaindustrie oder sonstige Unternehmen "weltweit gewinnbringend" weiterzuverkaufen. Löschansprüche würden eingeschränkt. Die Betroffenen selbst dürften die Informationen dagegen nicht anderweitig nutzen.

Laut dem knapp 40-seitigen Rechtsgutachten verstößt die Firma, die ihren europäischen Hauptsitz in Irland hat, vielfach gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), das deutsche Gendiagnostikgesetz und das Verbraucherrecht. Der Zweckbindungsgrundsatz werde genauso missachtet wie der Anspruch auf Aufklärung und Beratung. Ancestry wälze die rechtliche Verantwortung für die DNA-Analyse auf die Kunden ab und blende vor allem "die besondere Sensitivität der Daten und die Relevanz", die diese für nahe biologische Verwandte hätten, völlig aus.

Es fehle mangels spezifischer Interessen und angemessener Schutzmaßnahmen schon die rechtliche Grundlage, um die sensiblen Informationen Dritter überhaupt verarbeiten und Wahrscheinlichkeitsangaben daraus ableiten zu dürfen, ist der Analyse zu entnehmen. Der Transfer von Gendaten aus Europa in die USA genüge nicht den europäischen höchstrichterlichen Anforderungen. Es sei auch nicht erkennbar, dass Ancestry die geforderte Datenschutz-Folgenabschätzung erfolgreich durchgeführt habe. Angemessene Maßnahmen zum Schutz von Kindern oder Dritten fehlten; die Betroffenen würden nur unzureichend über die gesetzlichen Bestimmungen aufgeklärt. Dass Ancestry sich vorbehalte, Kundendaten werblich zu nutzen, sei mit EU-Recht ebenfalls nicht vereinbar.

Datenkraken hätten es bisher vor allem auf die Spuren der Nutzer im Internet abgesehen, resümiert der frühere schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert, der das Gutachten erstellt hat. Der Fachmann moniert: "Mit den gleichen Maschen greifen sie nun nach den sensibleren Gendaten, locken mit Spieltrieb und menschlicher Neugier, verstecken sich hinter vielseitigen kleingedruckten Geschäftsbedingungen und verhökern dann die Daten steuersparend über Irland."

Anders als bei "flüchtigen" Online-Informationen geht es Weichert zufolge im Fall von Ancestry & Co. um "lebenslang feste Erbanlagen", die Auskunft gäben "über körperliche und seelische Dispositionen, über schicksalhafte Krankheitsrisiken und vieles mehr". Er appellierte daher an die deutschen und europäischen Datenschutzbehörden sowie die Verbraucherschutzorganisationen, "zeitnah ihre rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen" und etwa von Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.

Zudem müssten die Gesetzgeber europaweite Regeln vor allem für den "Online-Direktvertrieb von Gentests" aufstellen. Mit den in Mode kommenden Genealogie-Diensten wachsen parallel aber auch bereits die Begehrlichkeiten bei Ermittlungsbehörden und Politikern. (jk)