Wahlzettel sind ein miserables Aushängeschild der Demokratie

Auf Stimmzetteln treffen wählende Bürger ihre bedeutendste Entscheidung für die nächsten Jahre. Warum sind sie so schlecht gestaltet?

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Von
  • Anton Weste

Der Aufwand, den Webseiten und Magazine betreiben, um die Leser und Konsumenten bestmöglich zu führen, ist immens. Bei jedem Mediendesign steht die Frage im Vordergrund, wie man ein klares, flüssiges und möglichst irritationsloses Nutzererlebnis schafft. Ganze Berufszweige beschäftigen sich nur mit der Optimierung dieser Möglichkeiten. Medienhäuser und Online-Plattformen stecken Millionen in die Gestaltung, um sich von Mitbewerbern abzusetzen und es dem Konsumenten bei ihnen so angenehm wie möglich zu machen.

Da ist es erstaunlich, dass ein Printprodukt mit Auflagen von mehreren Hunderttausend bis Millionen nach wie vor in der gestalterischen Altsteinzeit steckt. Und das, obwohl es von seinem Verwender innerhalb von wenigen Sekunden eine schwerwiegende politische Entscheidung für die nächsten vier oder fünf Jahre abverlangt: Wo mache ich mein Kreuzchen? Wahlzettel in Deutschland sind alles andere als klar und hilfreich und nutzen kaum Erkenntnisse aus den Medienwissenschaften.

Die Gestaltungsfrage ist keineswegs trivial: 2015 musste etwa die Oberbürgermeisterwahl in Köln wegen mangelhafter Stimmzettel verschoben werden. Parteilose Kandidaten fielen im Druckbild weniger stark auf als Kandidaten einer Partei und waren deshalb benachteiligt. Die Nachbesserung verschlang eine siebenstellige Summe.

Der Kommunikationsdesigner Frédéric Ranft hat sich im Blogbeitrag "Was mit unseren Stimmzetteln nicht stimmt" die Vorlagen für Stimmzettel angesehen, die bei Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen zum Einsatz kommen. Er sieht großen Verbesserungsbedarf: "Daran ist so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann. Nicht im Sinne von 'nicht schön' oder 'langweilig' sondern einfach schlecht gemacht."

Es werden schlech lesbare Schriftarten, verwirrende Textausrichtungen und unnötige Trennstriche verwendet. Wichtige Hinweise sind zu unscheinbar, zusammengehörige Textteile stehen zu weit auseinander. Ranft geht darauf ein, dass die Reihenfolge der Wahlmöglichkeiten das Wahlergebnis beeinflussen kann. Selbst wenn man das Wahlgesetz nicht ändern will und bei der bisherigen Reihung bleibt, sollte man den Mangel an Chancengleichheit nicht auch noch durch gestalterische Mängel verschärfen.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Stimmzettel ungelenk aussehen. Dass in ihnen anscheinend nicht mehr gestalterischer Geist steckt als in Biete-Suche-Formularen fürs Schwarze Brett im Supermarkt. "Der Stimmzettel ist aber wichtiger als eine Kleinanzeige für ein Bobby-Car", schreibt Ranft. "Es ist das wichtigste Stück Papier in unserer Demokratie und die muss uns mehr wert sein. Unsere Verwaltungen konkurrieren hilflos mit Standardvorlagen aus Microsoft WORD auf Windows 98 Rechnern gegen millionenschwere Unternehmen, die alle längst erkannt haben, wie wichtig Design ist. Das führt dazu, dass es inzwischen leichter ist eine komplette Küche bei Ikea zu planen und zu kaufen, als irgendeinen Antrag zu stellen."

(anwe)