ICANN-Forscher: Experiment der globalen Online-Wahlen gescheitert

Als die ICANN die Surfer zu den ersten globalen Online-Wahlen aufrief, waren die Hoffnungen noch groß auf eine Neugeburt der Demokratie aus dem Geiste des Netzes.

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Als die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) im vergangenen Jahr die Surfer zu den ersten globalen Online-Wahlen aufrief, waren die Hoffnungen groß auf eine Neugeburt der Demokratie aus dem Geiste des Netzes. Doch Pannen bei der Registrierung und die ungleichmäßige Verteilung der Wählerschaft weltweit ließen schon früh Zweifel an der Durchführung der Wahl von fünf ICANN-Direktoren durch die Nutzer selbst aufkommen. Nun erklärte der Giessener Politologe Claus Leggewie das Experiment grundsätzlich für gescheitert. Ausschlaggebend für seine Einschätzung sind weniger die technischen Schwierigkeiten bei der Wahl. Leggewie hat vielmehr ernsthafte Zweifel an der Idee einer allgemeinen Vertretung der Nutzer (der so genannten "At-large-Mitglieder") in einem internationalen Internet-Gremium selbst. "Die User sind nicht das Volk", sagte der Sozialwissenschaftler am heutigen Freitag in Berlin auf der Konferenz Internet Governance – Wer regiert das Internet?, die die Bertelsmann- und die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam ausrichten.

Bauchschmerzen hat Leggewie vor allem mit der Vorstellung des gut informierten Netzbürgers, der sich effektiver an Regulierungsfragen beteiligt. Er zeigte sich enttäuscht über die im Internet wabernden Diskurse, die zu keinen repräsentativen Ergebnissen führten. Genau mit diesem Modell sei aber die ICANN-Wahl immer wieder in Verbindung gebracht werden. Diesen Ansprüchen sei das Repräsentationssystem rund um die ICANN-Mitglieder allerdings nicht gewachsen. Ganz beiseite wischen lässt sich das Experiment aber nicht mehr, meint Leggewie. Seiner Meinung nach muss die Internet-Community nun mit dem "Danaergeschenk" der At-large-Mitgliedschaft umgehen lernen. Denn auch wenn das Ganze nichts gebracht habe, seien die Kosten des Prozesses zu hoch gewesen, um einfach an die Anfänge zurückzukehren.

Leggewies Vorschlag lautet nun, keine weiteren Wahlen durch die Nutzer durchzuführen, aber gleichzeitig ein Gremium zu schaffen, das Druck auf die ICANN und quasi eine Überwachungsfunktion ausübt. Die noch vier offenen Sitze im Aufsichtsrat der ICANN, bei deren Bestallung die Nutzer eigentlich direkt ein Wort mitreden sollen, sollen nach Leggewies Ansicht durch diese "Pressure Group" ausgewählt beziehungsweise "ko-optiert" werden.

Die Ausführungen des Politologen waren Wasser auf die Mühlen des altgedienten ICANN-Direktors Hans Kraaijenbrink. Der Niederländer bezeichnete die Idee der At-large-Mitgliedschaft als "unheilvolles Vermächtnis" aus der Geschichte der Netzverwaltung. Ira Magaziner, der als Beauftragter der Clinton-Regierung einer der "Bauherren" ICANNs war, hätte mit At-large seine Träume von globaler Repräsentativität verwirklichen wollen. Aber letztlich habe ICANN nur an Geschwindigkeit verloren durch die Durchführung des langwierigen Experiments. Die Beteiligung der Nutzer an den Entscheidungen von ICANN sei zwar wichtig, werde aber über die bestehenden, "überaus transparenten" Strukturen und Pfeiler der Organisation bereits ausreichend möglich.

Für Andy-Müller-Maguhn, den von den europäischen Nutzern gewählten ICANN-Direktor, ist das letzte Wort rund um den Zankapfel At-large dagegen noch lange nicht gesprochen. Im Gespräch mit heise online erinnerte der Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC) daran, dass ICANN extra ein Komitee ins Leben gerufen habe, dass mit Hilfe zahlreicher Wissenschaftler zunächst Hinweise zur Zukunft der Surferbeteiligung erarbeiten solle. Man müsse aber gut zuhören, "was andere Board-Mitglieder öffentlich" zu diesem Thema sagen. Kraaijenbrink habe den Eindruck vermittelt, dass "eine Entscheidung schon getroffen wurde, obwohl die Diskussion noch gar nicht richtig angefangen" habe. Das sei gefährlich. (Stefan Krempl) / (jk)