Flugverkehr im Umbruch? Chancen und Grenzen des elektrischen Fliegens

Die Debatte um E-Antriebe und autonomes Navigieren hat längst die Luftfahrt erreicht. Konzerne und Start-ups entwickeln die Technik für Passagier-Flugzeuge.

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Flugverkehr im Umbruch? Chancen und Grenzen des elektrischen Fliegens

(Bild: Airbus)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Matthias Arnold
  • dpa
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Videospiel-Fans dürften sich in der eAircraft-Abteilung von Siemens wohl fühlen: Mehrere große Monitore stehen in einem Raum in der Ecke. Davor sitzt ein Mitarbeiter auf einem Pilotensitz und navigiert mit dem Steuerknüppel einen Frachtcontainer auf den Bildschirmen. Vier elektrische Propellermotoren halten das Gewicht in der Luft und lassen sich präzise ansteuern. Die Simulation nutzt Siemens, um seine Hybrid-Elektro-Antriebe für Fluggeräte zu entwickeln und zu testen.

"Vor fünf, sechs Jahren sind wir noch als Spinner bezeichnet worden", sagt Frank Anton, Leiter der E-Flugzeug-Abteilung beim Münchner Technologiekonzern. Er sei froh, dass inzwischen auch zahlreiche andere Unternehmen eingestiegen seien und das Thema vorantrieben.

Elektrisches Fliegen klingt verheißungsvoll: Der Flugverkehr leidet am eigenen Erfolg. Zu viele Menschen wollen mit zu wenigen Flugzeugen reisen, und dafür kaum etwas bezahlen. Weil die Kapazitäten nicht im gleichen Maße wachsen wie die Passagierzahlen, waren zuletzt Verspätungen und Flugausfälle an der Tagesordnung – zum Leidwesen der Mitarbeiter und der Passagiere. Und auch wenn die Maschinen immer effizienter werden, ist der Gesamt-CO2-Ausstoßes des Luftverkehrs in Deutschland zwischen 2000 und 2016 lediglich um rund 14 Prozent auf rund 2350 Kilotonnen zurückgegangen, wie aus Daten des Umweltbundesamts hervorgeht.

Die EU hat bereits vor Jahren deutlich ehrgeizigere Ziele formuliert: Bis 2050 sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2000 um 75 Prozent reduziert werden. Der Fluglärm soll um 65 Prozent im selben Zeitraum zurückgehen. Könnten elektrische Flugzeuge eine Antwort auf diese Probleme und Herausforderungen sein?

Die Entwickler dämpfen gleich mehrere Erwartungen. Zum einen werde es auf absehbare Zeit keine vollelektrischen Antriebe für größere Passagierflugzeuge geben, ist sich Siemens-Fachmann Anton sicher. Zu schwer seien die dafür notwendigen Batterien. Siemens, Airbus aber auch Boeing und der Triebwerkhersteller Rolls Royce arbeiten mit Blick auf Passagierflugzeuge deshalb an Hybrid-Motoren, bei denen verschiedene Antriebstechniken miteinander kombiniert werden.

Bei Rolls Royce etwa sieht das so aus, dass eine Gasturbine über einen Generator den Strom produziert, der für elektrischen Motoren und die Bordfunktionen benutzt wird. Ziel sei es, durch ein verändertes Flugzeugdesign mit zahlreichen kleinen, elektrisch angetriebenen Propellern, bis zu 35 Prozent der Emissionen eines Flugzeugs auf diese Weise einzusparen, sagt Ulrich Wenger, Technologie-Chef beim Triebwerkhersteller. Auch Siemens entwickelt solche Antriebe – und zielt damit vor allem auf kurze und mittellange Strecken.

"42 Prozent aller Emissionen werden erzeugt durch Flüge von unter 1000 Meilen", sagt Anton, verspricht sich also von der Technik ebenfalls einen wesentlichen Beitrag. Auch der Lärm könne durch die Technik deutlich reduziert werden.

Doch dass mit der Hybrid-Technik drastisch Emissionen eingespart werden können, ist umstritten. "Alle Studien, die wir zu Hybridkonzepten bei Großflugzeugen durchgeführt haben, zeigen: Wenn ich nur das Antriebssystem austausche, gibt es keine Verbesserung, weder beim CO2-Ausstoß noch beim Kraftstoffverbrauch", sagt Mirko Hornung, Wissenschaftsvorstand bei der gemeinnützigen Forschungseinrichtung Bauhaus Luftfahrt. Dafür müssten noch weitere Faktoren geändert werden, etwa die Aerodynamik oder das Gewicht des Flugzeugs.

Hornung ist überzeugt: Nur vollelektrische Antriebe hätten einen so großen Wirkungsgrad, dass sie auch zu niedrigeren Emissionen führten. "Der ganz große Schlüssel dabei ist die Batterietechnologie", sagt er. Solche Antriebe kommen auch zum Einsatz, etwa bei Flugtaxis, wie Siemens und Airbus zuletzt eines präsentiert haben. Doch für große Maschinen sind sie derzeit noch zu schwer.

Die Hersteller experimentieren deshalb erstmal weiter mit Hybrid. In zwei Jahren wollen Siemens und Rolls Royce ein erstes Passagierflugzeug abheben lassen, bei dem eines von vier Triebwerken mit einem Hybridmotor ausgestattet ist. Ein ähnliches Projekt mit einem kleineren Flugzeug, einer Dornier DO 228, verfolgen die Münchner unter anderem zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Doch die Experten weisen noch auf einen anderen Umstand hin: Die neuen Antriebe lassen sich nicht einfach in die bestehenden Flotten verbauen. "Das würde nicht als Umbaumaßnahme funktionieren", sagt Hornung. "Wir reden von einer ganz neuen Klasse Flugzeug."

Bis solche neuen Systeme flächendeckend zum Einsatz kommen, dürfte es daher noch Jahrzehnte dauern. "Die klassischen Flugzeuge, die heute ausgeliefert werden, werden noch 25 bis 30 Jahre fliegen", sagt Volker Thum, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. "Was in den nächsten 30 bis 40 Jahren in der Masse fliegt, ist bereits jetzt definiert." Umso wichtiger sei es deshalb, die Entwicklung möglichst schnell voranzutreiben und die neuen Maschinen zügig auf den Markt zu bringen. (mho)