Missing Link: Die unerträgliche Leichtigkeit der Thermodynamik - von KI und dem Erbe der Aufklärung

In "Aufklärung jetzt" macht Steven Pinker mit optimistischem Blick auf das Erbe der Aufklärung auch vor der künstlichen Intelligenz nicht halt.

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Missing Link: Die unerträgliche Leichtigkeit der Thermodynamik

(Bild: pixabay.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Für den kognitiven Psychologen Steven Pinker ist die künstliche Intelligenz (KI) nichts, vor der man Angst haben muss. Jedenfalls ist sie nicht in der Lage, den Menschen zu bedrohen. KIs, die Menschen aus Versehen unterjochen, weil sie gnadenlos zielstrebig den Auftrag erfüllen, etwa Büroklammern zu produzieren, hält Pinker für ein Hirngespinst. Solche Ideen seien Ausdruck einer viel zu engen Definition von Intelligenz, die "vollkommen außer Acht lässt, was für Informations- und Kontrollnetzwerke es in einem intelligenten System wie einem Computer, einem Hirn oder auch einer Gesellschaft als Ganzes gibt", schreibt er in seinem Buch "Aufklärung jetzt", das Bill Gates als sein "absolutes Lieblingsbuch aller Zeiten" lobte.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Mit dieser Art einer Entwarnung hat sich Pinker in einer dieser KI-Debatten zu Worte gemeldet, die der Literaturagent John Brockmann auf Edge.org führt und in immer neuen Büchern verdichtet. Gegen die Büroklammer-Superintelligenz des Philosophen Nick Bostrom hat Pinker einen empirischen Einwand parat: "Es ist nur eine Binse, aber bisher hat noch keine dieser KIs versucht, ihr Labor zu übernehmen oder ihre Programmierer zu versklaven. Und selbst wenn eine KI versuchen würde, Machtwillen zu entwickeln, wäre sie ohne die Kooperation von Menschen nur ein impotentes Hirn im Fass."

Denn solch eine frei drehende KI müsste ihre komplette Infrastruktur sicherstellen, von der Versorgung mit Strom bis zur Gestaltung der Effektoren, die sie mit der Welt verbindet. Für Pinker ist die Lösung ganz einfach: Baut so etwas nicht! So weit sein Beitrag zur KI-Debatte in der Süddeutschen Zeitung, der eine Auskoppelung aus seinem neuesten Buch ist: Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung.

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Eine maschinelle Superintelligenz, die sich menschlicher Kontrolle entzieht? Keine absurde Vorstellung. Aber Bangemachen gilt nicht. Ignorieren schon gar nicht.

In dieser Verteidigung setzt Pinker auf das menschliche Wirken. Als größte Gefahr bezeichnet er in seinem Buch denn auch nicht die KI-Systeme, sondern Hacker, die keine Skrupel haben, mit den von ihnen beherrschten KI-Systemen Cyberterror- oder Bioterroranschläge auszuführen.

Binsen, Fakten und Tabellen sind die große Leidenschaft von Steven Pinker. In seinem Buch führt er nicht weniger 75 Grafiken und Tabellen auf, mit denen er nachweisen will, dass es der Menschheit insgesamt immer besser geht, was Schlüsselfaktoren wie Gesundheit, Ernährung und Wohlstand anbelangt, kurzum, was die generelle Lebensqualität der Gesamt-Menschheit ausmacht. Zwar gibt der Empiriker zu, dass es Gegenden gibt, in denen es an sauberem Wasser mangelt, oder in denen Kinder jämmerlich vom Hungertod bedroht sind, doch alles in allem hat der Fortschritt der Menschheit die allgemeine Verbesserung des Lebens gebracht.

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Mit immer neuen Zahlen will Pinker beweisen, dass es voran geht und Menschen tatsächlich die Kontrolle über den Fortschritt in ihrer Hand haben. Dabei verändern sich auch die Menschen, wie Pinker in früheren Büchern erklärte: Sie werden friedlicher und lehnen den Einsatz von Gewalt ab. In "Aufklärung jetzt" wird das etwas relativiert: Ein einzelner aggressiver Terrorist im Besitz der Freischaltcodes von Nuklearraketen kann die Welt schnell zu einem sehr unfriedlichen Ort machen. Das liest sich wie ein Kommentar zur aktuellen politischen Lage in den USA.

Dabei denkt Pinker viel mehr in langen Zeiträumen. Er setzt den Beginn des allgemeinen Fortschritts mit dem Beginn der Aufklärung an. Die Ideale der Aufklärung, der Glaube an die menschliche Vernunft, gekoppelt mit dem Mitgefühl, dass alle Menschen zu "empfindungsfähigen Weltbürgern" macht, sind für Pinker die eigentlichen Motoren des Fortschritts. Für die Aufklärung führt er Denker wie Montesquieu, Smith, Kant und Vico an, durch die der Humanismus definiert wurde, dem sich Pinker verpflichtet fühlt.