Hundstage voraus: 5G-Mobilfunk kurz vor dem Boom

Den Vorteil von 5G-Smartphones wird man auch hierzulande spüren – sofern die Geräte die passende Frequenz unterstützen. Die Genauigkeit der Wettervorhersage scheint dagegen bedroht.

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Mobilfunkgeneration 5G

(Bild: dpa, Mark Schiefelbein/AP)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Dusan Zivadinovic
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Für Deutschland sind 5G-Netze und -Geräte noch Zukunftsmusik. Dennoch prasseln täglich Meldungen zu 5G ein. Sie sollen den Markt vorheizen. Dahinter können freilich durchaus seriöse Absichten stecken: So will Niedersachsen als erstes Bundesland 5G-Campusnetze fördern – also den Betrieb von 5G-Netzen mit eigenen, lokal begrenzten Frequenzen im Frequenzband von 3,7 bis 3,8 GHz.

Das niedersächsische Wirtschaftsministerium lud daher für Anfang Juli zu einer 5G-Konferenz, um Unternehmen zu helfen, eigene Campusnetze zu errichten. Von Anwendungsmöglichkeiten über die Beantragung der lokalen Frequenzen bis hin zu den benötigten Komponenten für den Werksnetzbetrieb erläuterten Experten alle Schritte eingehend. Die Frequenzen vergibt die Bundesnetzagentur voraussichtlich ab dem Herbst 2019 unabhängig von Frequenzauktionen an interessierte Unternehmen auf Antrag. Viele Firmen, darunter auch einige aus der Autoindustrie, haben großes Interesse bekundet – gute Zeiten für Netzwerkzulieferer sowie für Mobilfunkadministratoren auf Stellensuche.

Doch allen Jubelmeldungen zum Thema 5G zum Trotz: Noch ist LTE, die aktuelle 4. Mobilfunkgeneration, weltweit marktbeherrschend und das wird noch lange so bleiben. Das ist nützlich zu wissen, denn von der Verbreitung hängen die Vielfalt und das Preisniveau der Mobilfunk-Chips und damit der Hardware-Pool ab – LTE-Geräte wie Smartphones und Router werden noch jahrelang produziert und man kann stabile Preise erwarten.

Besonders deutlich charakterisiert den LTE-Erfolg die Not-Spot-Statistik: Damit meint die Branchenorganisation Global mobile Suppliers Association (GSA) die Anzahl der Länder, die noch kein LTE-Netz haben. Es sind insgesamt nur noch acht.

Ende Mai zählte die GSA 861 Netzbetreiber, die LTE entweder aktiv einsetzen (rund 750) oder vor der Einführung testen. Gegenwärtig sind 333 Netze in 141 Ländern für das schnelle LTE-Advanced ausgelegt. In Deutschland bietet Vodafone auf dieser Basis immerhin Spitzenraten bis 1 Gigabit pro Sekunde (Kategorie 16, Cat-16). Zehn Betreiber setzen allerdings schon die LTE-Spezifikation Cat-18 DL für Spitzengeschwindigkeiten bis 1,2 GBit/s ein, darunter China, Japan, Kanada – und, für manche vielleicht überraschend, die Türkei.

Summa summarum ist LTE ein Riesenerfolg für die 3GPP, unter deren Dach die Spezifikationen seit 2008 entstanden sind. Und LTE wird laut einer Studie des Netzwerkzulieferers Ericsson noch mindestens bis 2024 die weltweit vorherrschende Mobilfunktechnik bleiben (Mobility Report June 2019). Bis 2022 wird der Marktanteil demnach sogar noch auf 5,3 Milliarden Teilnehmer wachsen. Selbst 2024 sollen von den insgesamt 8,3 Milliarden Mobilfunkteilnehmern noch 5 Milliarden auf LTE entfallen.

Ende 2019 werden laut Ericsson weltweit 10 Millionen Mobilfunknutzer die 5G-Technik verwenden. Bis 2024 sollen es 1,9 Milliarden werden. Vorherrschend bleibt aber LTE.

Auch in Ericssons Zahlen deutet sich das längst vermutete Ende der GSM-Ära an (2G): In den nächsten fünf Jahren sinkt laut der Studie die Zahl der GSM-Nutzer weltweit von 1,8 Milliarden auf unter 500.000. Auch Netzbetreiber in Deutschland dürften GSM daher demnächst stilllegen. Wer noch ein GSM-Gerät verwendet, sollte sich Gedanken um einen LTE- oder 5G-Ersatz machen.

Die 5G-Verbreitung steht noch am Anfang. Aktuell haben laut der GSA 45 Betreiber in 30 Ländern 5G-Netze aufgebaut. Bis Ende 2019 kann man weltweit rund 10 Millionen 5G-Teilnehmer erwarten. Damit 5G boomt, braucht es weltweit viel mehr 5G-Netze. Der Aufbau dürfte aber teuer werden, denn anders als LTE-Basisstationen, die auch schon mal per Richtfunk oder gar Kabelmodem an Kernnetze angebunden sind, braucht 5G durchgängig Glasfasern – und davon ganz viel, denn das 5G-Netz braucht viele neue Basisstationen.

Mit ersten kommerziellen Starts in Deutschland rechnen Fachleute ab Ende 2019. Starttermine hat allerdings noch kein Netzbetreiber genannt. Weltweit investieren zurzeit rund 190 Netzbetreiber in 5G-Netze, stehen also wie die deutschen vier Betreiber kurz vor dem Start. Das ist der Grundstein für eine Verbreitung, die laut Ericsson bis 2024 zu rund 1,9 Milliarden 5G-Nutzern führen soll.

Man könnte auch kurz sagen: UMTS und LTE werden noch mehrere Jahre mit 5G koexistieren, sicherlich auch in Deutschland. Denn damit Betreiber überhaupt erwägen, LTE durch 5G zu ersetzen, müssen sie die zweite Soft- und Hardware-Generation der Technik abwarten. Bisher brauchen 5G-Basisstationen LTE-Kernnetze als Basis. Die Standalone-5G-Implementierung wird erst in ein bis zwei Jahren Fuß fassen.

In der 5G-Anfangsphase kann man zusätzliche preisgünstige LTE-Einstiegsgeräte erwarten und wenige, aber teurere 5G-Produkte. Der Anteil der 5G-Teilnehmer wird hauptsächlich durch Geräteaktualisierungen wachsen, indem Nutzer 4G-Smartphones ausrangieren und neue 5G-Geräte kaufen. Aber es kommen laut Ericsson auch etliche junge Mobilfunk-User hinzu, für die ein 5G-Gerät das allererste Smartphone überhaupt sein wird.

Vor dem 5G-Boom ventilierte Samsung schon mal heiße Luft: Der Konzern will offenbar die 5G-Welle reiten, um sein neues Spitzenmodell Galaxy S10 5G besser loszuschlagen. Es ist laut Anbieter das erste 5G-Smartphone in Deutschland. Unter anderem wollen es die Deutsche Telekom und Vodafone anbieten.

heise online kritisierte, dass die Verbesserungen des S10 5G – größerer Akku und größeres Display, verbesserte Kamera – den Aufpreis gegenüber Samsungs bisherigen Topmodell Galaxy S10+ nicht rechtfertigen. Das S10+ bekommt man Anfang Juli ab 940 Euro, während das neue Galaxy S10 5G 1200 Euro kostet. Man zahlt beim S10 5G vor allem für den schnelleren 5G-Mobilfunkstandard.

Definitiv handelt es sich beim S10 5G um ein hervorragendes Smartphone. Doch dessen 5G-Funktionen liegen wohl noch monatelang brach und wenn das erste 5G-Netz funkt, wird es womöglich bessere Geräte geben, mindestens aber eine größere Auswahl. Und da Kunden die 5G-Funktionen erst ab dem 5G-Start testen können, könnte der frühe Verkaufsstart für Samsung auf eine Verlängerung der Gewährleistung zumindest für die 5G-Funktionen hinauslaufen.

LTE-Not-Spots: Nur noch einige abgelegene Inseln sowie Äquatorialguinea, Dschibuti, Eritrea, Mauretanien, Nordkorea, Südsudan, Westsahara und die Zentralafrikanische Republik haben kein LTE-Mobilfunknetz.

Sobald 5G-Basisstationen mit 3,6 GHz auf Sendung gehen, wird man den Vorteil von 5G-Smartphones auch in Deutschland spüren. Diese werden selbst in überlaufenen Hotspots schnelle Datenraten erreichen, weil sie von der Masse der LTE-Geräte nicht ausgebremst werden, denn diese können das 3,6-GHz-Band nicht verwenden. Auch wer 5G-Geräte importiert, sollte auf das 3,6-GHz-Band Wert legen.

Einige Geräte, die etwa in den USA im Handel sind, eignen sich sogar bereits für mmWave-Bänder (High-Bands ab 24 GHz). Doch in Deutschland werden mmWave-Bänder nicht vor Ende 2020 genutzt. Die EU-Kommission hat erst Mitte Mai festgelegt, dass das Segment zwischen 24,25 und 27,5 GHz europaweit harmonisiert und zur Mobilfunknutzung freigegeben werden soll. Auf Deutschland kommt also die nächste Frequenzauktion zu; die Bundesnetzagentur hat schon Ende 2018 geplant, Nutzungsrechte für das 26-GHz-Band zu vergeben. Erst mit dem mmWave-Bereich können 5G-Geräte die versprochenen Spitzendatenraten von 10 GBit/s liefern.

Dem mmWave-Betrieb droht allerdings Unbill: Die US-amerikanischen Behörden National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und die National Aeronautics and Space Administration (NASA) glauben, 5G könnte die Qualität der Wettervorhersage um 40 Jahre zurückwerfen.

Die NOAA kritisiert die US-Regulierungsbehörde FCC für die Vergabe von mmWave-Frequenzen. Der Schutzabstand zum 23,8-GHz-Band, das Wettersatelliten zur Ermittlung des Atmosphärenwassergehalts verwenden, sei gegenüber den mmWave-Frequenzen nicht ausreichend. In den USA wurden kürzlich 5G-Nutzungsrechte für die Segmente von 24,25 bis 24,45 GHz sowie von 24,75 bis 25,25 GHz versteigert. Meteorologen fürchten nun, dass 5G-Geräte in das 23,8-GHz-Band hineinstrahlen und so Wettervorhersagen stören, weil sich deren Signale nicht vom Wasserdampfabstrahlungen in der Luft unterscheiden lassen.

Die GSM Association, in der rund 750 Netzbetreiber und 400 Unternehmen organisiert sind, reagierte geharnischt auf die Vorwürfe. Brett Tarnutzer, Leiter der Spektrumabteilung, erwiderte: „5G und Wettervorhersagen können und werden nebeneinander existieren – es ist lächerlich, etwas anderes zu behaupten. Zu vermuten, dass unsere 7-Tage-Prognose mit 5G wegfällt, ist einfach Fake News“. FCC-Cheff Ajit Pai nannte die Studie der NOAA „grundlegend fehlerhaft“ und sagte: „Zum Beispiel ignoriert NOAA die Tatsache, dass 5G mittels adaptiven Antennen-Arrays Richtstrahlen verwendet, die 5G-Signale präzise senden“.

Regulierungsbehörden setzen bei der Konzeption der Spektrumvergabe seit jeher Schutzabstände ein, um Interferenzstörungen benachbarter Dienste auszuschließen. Denn es gibt keine Sendeteile, die die festgelegte Signalbreite bis auf ein Hertz genau erzeugen können – die Signale haben mehr oder minder steil ansteigende und abfallende Flanken (siehe dazu die ITU-Infos zu Schutzabständen aus dem Jahr 2012 und 2015).

Allerdings sind laut den FCC-Vorschriften unerwünschte Einstrahlungen in benachbarte Bänder mit einem Pegel von –20 dBW erlaubt (ouf-of-band emmissions). Das würde laut NASA und NOAA zu einem Verlust von 77 Prozent der aktuellen Messdaten führen. Die Genauigkeit würde auf das Niveau von 1980 sinken, klagte der stellvertretende NOAA-Sekretär Neil Jacobs. Beispielsweise erhielte man so brauchbare Wirbelsturmprognosen erst mit zwei bis drei Tagen Verzögerung. Die NOAA fordert daher einen Störsignalpegel von maximal –50 dBW. In der EU darf der 5G-Störpegel –42 dBW nicht überschreiten.

Dieser Artikel stammt aus c't 15/2019. (dz)