Streitgespräch: Ist der Mond ein Planet?

Pluto-Forscher haben mit ihrer Neudefinition eines Planeten die Diskussion angeheizt – auch um den Mond. Im Space-Interview diskutieren zwei Beteiligte.

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Streitgespräch: Ist der Mond ein Planet?

Mike Brown (li.) und Alan Stern

(Bild: Caltech, NASA)

Lesezeit: 20 Min.
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  • SPACE
Inhaltsverzeichnis

Am 16. Juli 1969 war es soweit: Apollo 11 brach zur ersten Mondlandung auf - und am 20. Juli landete die Mondfähre Eagle mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond, während Michael Collins in der Apollo-Kapsel den Mond umkreiste. Am 21. Juli setzte dann Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond. In einem Schwerpunkt zur Mondlandung beleuchtet heise online die Ereignisse rund um die Apollo-Missionen.

Die an der Mission New Horizons zum Pluto beteiligten Wissenschaftler sind frustriert, dass der Himmelskörper am 24. August 2006 zum Zwergplaneten degradiert wurde. Die International Astronomical Union (IAU) beschloss dies damals im Zuge ihrer Neudefinition eines Planeten und löste damit eine heftige Auseinandersetzung aus. Gemäß IAU-Definition muss ein Planet rund sein, die Sonne umkreisen und vor allem den Bereich um seinen Orbit von Trümmern säubern. Pluto hat jedoch Kuipergürtel-Objekte in der Nähe seines Orbits und kreuzt zudem die Neptunbahn. Deshalb wurde er von der IAU in die neu geschaffene Kategorie eines "Zwergplaneten" eingestuft, zu der auch Ceres und Eris gehören.

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Alan Stern, der frühere Leiter von New Horizons, äußert sich seit Jahren vehement gegen dieses "Fehlurteil" und hat mit einigen anderen Forschern eine eigene Planetendefinition erstellt, die allerdings das Problem mit sich bringt, dass ihr zufolge auch Monde als Planeten gelten. Welche Definition stimmt denn nun? Und können Monde wirklich Planeten sein? Mike Brown von Caltech ist nicht dieser Meinung und hält die IAU-Definition für richtig. Er nennt sich "Pluto-Killer" und ist (wie er auf Twitter schrieb) entsetzt über "die Rückkehr der dummen Pluto-Stories". Brown glaubt, dass es im äußeren Sonnensystem einen großen Planeten – Planet neun – mit der 5.000-fachen Masse des Pluto gibt. Aber Pluto wird für ihn immer ein Zwerg bleiben.

Dieses Interview stammt aus dem Sonderheft zum 50. Jahrestag von "Space – Das Weltraum-Magazin". Anlässlich des Jubiläums ist es am 20. und 21. Juli portofrei im heise shop zu bestellen.

Es ist nun bald 13 Jahre her, dass die IAU Pluto den Planetenstatus aberkannt hat. Aber stimmt die Definition eines Planeten angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse immer noch?

Mike Brown (MB): Ja. Wir haben absolut nichts Neues darüber erfahren, was einen Planeten ausmacht, also brauchen wir die Definition auch nicht zu ändern. Es könnte zwar jederzeit neue Entdeckungen geben, aber bisher liegt uns nichts vor. Die Leute, die eine Neudefinition wollen, haben meiner Ansicht nach nur bemerkt, dass Pluto gerade wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und dass dies ihre letzte Chance sein könnte.

Alan Stern (AS): Die IAU-Definition aus dem Jahr 2006 ist nicht nur veraltet, sondern wurde damals auch überstürzt von Wissenschaftlern einer anderen Disziplin – der Astronomie – erarbeitet. Astronomen und Planetologen unterscheiden sich im Hinblick auf ihr Fachwissen etwa so wie Neurologen und Podiater in der Medizin. Als Planetologe weiß ich zum Beispiel nur wenig über Schwarze Löcher und Galaxien, ebenso wenig wie Astronomen über reale Planeten. Aber 2006 haben sie wirklich gepfuscht und Probleme für Pädagogen, Schüler und die Öffentlichkeit geschaffen, weil die seither sagen: "Das passt doch alles nicht zusammen. Jeder Science-Fiction-Planet sieht aus wie Pluto – warum soll der plötzlich kein Planet mehr sein?" Die neue Definition stimmt viel eher mit den bisher bekannten Fakten überein und hat noch dazu den Vorteil, dass sie von Planetologen mit praktischer Erfahrung erstellt wurde.

Aber ist die IAU-Definition heute nicht die, auf die sich die meisten Menschen beziehen?

MB: Genau, das ist sie. Alan wird zwar bis zum Umfallen behaupten, dass der Pluto ein Planet sein sollte. Doch das wird er nicht mehr. Es gibt keine größere Bewegung, die dafür eintritt, sondern nur eine kleine, lautstarke Minderheit.

Mehr Infos

... der International Astronomical Union

Im Orbit um die Sonne: Die Sonne zieht als Zentrum des Sonnensystems alle Planeten in eine Umlaufbahn.

(Fast) rund: Die Masse eines Himmelskörpers ist groß genug, um ihn annähernd kugelförmig zu machen.

Räumungsdienst: Er muss „seine Umlaufbahn durch sein Gravitationsfeld von weiteren Objekten geräumt haben“, also keine ähnlich großen Körper in seinem Umfeld dulden.

... von Alan Stern und anderen Planetologen

Planet: Himmelskörper substellarer Masse, der keine Kernfusion durchmachte und durch Gravitation eine kugelähnliche Gestalt annahm, die sich ungeachtet orbitaler Parameter als triaxiales Ellipsoid beschreiben lässt.

AS: Das ist nach wie vor unklar – sonst müsste ich wohl nicht Jahre nach der IAU-Definition immer noch fünf bis zehn Interviews pro Woche zu diesem Thema geben. Und bis heute werden wissenschaftliche Arbeiten zu der Frage veröffentlicht. Mike tut so, als wäre das beschlossene Sache und man solle sich nicht darum kümmern. Er will eben den Status quo aufrechterhalten. Es gibt natürlich auch Planetologen, die seine Ansicht teilen, doch die überwiegende Mehrheit tut dies nicht. Wenn man sich die entsprechende Literatur bei Google Scholar ansieht sowie in Fachbeiträgen nach "Pluto" sucht, sieht man, dass meine Kollegen ihn nach wie vor routinemäßig als Planeten bezeichnen. Dasselbe gilt für diese Trabanten, die Monde von Planeten und andere Welten im Kuipergürtel. Es sind einfach Daten. Man muss gar nicht nach Meinungen fragen, sondern sich nur die Veröffentlichungen ansehen.

Pluto-Sonde New Horizons (67 Bilder)

Plutos Oberfläche
(Bild: NASA/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Southwest Research Institute)

Dass Pluto herabgestuft wurde, scheint zu einem großen Teil davon abzuhängen, dass er als Planet seinen Bahnbereich in hohem Maße von anderen Körpern räumen hätte müssen. Aber wie ausschlaggebend ist das wirklich?

AS: Es ist überhaupt nicht wichtig, weil das nur die Frage behandelt, wo ein Objekt ist und was sich in seiner Umgebung befindet. In der Geologie klassifizieren wir Berge ja auch nicht danach, ob sie einzeln oder Teil einer Gruppe sind, ob sie in einer Reihe stehen oder was sonst in ihrer Umgebung liegt. Für die Biologie gilt dasselbe: Eine Kuh ist eine Kuh, ob sie nun in einer Herde grast oder einzeln. Objekte definieren sich nach ihren Eigenschaften, nicht nach ihrer Nachbarschaft. Auch Sterne klassifizieren wir nicht danach, ob sie Teil einer Gruppe oder einer Galaxie sind – oder ob sie ihren Orbit von anderen Körpern räumen, was übrigens keiner von ihnen tut. Bei der Definition von Asteroiden und Galaxien spielt das ebenfalls keine Rolle. Nur die IAU-Astronomen haben bei ihrer fehlerhaften Definition so gearbeitet, um die Anzahl der Planeten überschaubar zu halten. Das ist unwissenschaftlich.

Daten sind Daten. Wenn es viele Berge, viele Flüsse, viele Spezies oder Hunderte wissenschaftliche Elemente gibt, dann ist das eben so. Wir versuchen nicht, die Anzahl gering zu halten. Auch die Astronomen wollen die Anzahl der Galaxien, Sterne oder anderer Objekte im Universum nicht gering halten – mit einer Ausnahme: den Planeten. Und diese katastrophale Definition, mit der auch Jahre später niemand glücklich ist, schadet ihrem Ruf. Die Diskussion hält bis heute an, weil sie so gepfuscht haben.

MB: Ich halte die Definition der IAU für schlecht formuliert, verteidige aber nach wie vor den dahinterstehenden Gedanken. Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn man unser Sonnensystem mit anderen Augen betrachtet, kommt man schnell zur Erkenntnis, dass es da acht große Himmelsobjekte gibt, deren Gravitation alles in ihrer Umgebung definiert. Das kann man nun als "Räumung" des Sonnensystems oder wie auch immer bezeichnen. Aber wenn man diese entscheidende Tatsache im Sonnensystem nicht klar erkennt, hat man einfach nicht verstanden, worum es im Sonnensystem geht. Genau das versuchte die IAU zu beschreiben – und darum ist es auch ausschlaggebend. In unserem Sonnensystem besteht ein großer Unterschied zwischen diesen acht Körpern, ihrer Entstehung und ihren Bahnen und den vielen kleinen Himmelskörpern, die zwischen ihnen herumflitzen oder um sie kreisen.

Alan hat gefordert, dass man Pluto wieder hochstufen sollte, ebenso wie den Erdmond, zwei Jupiter und zwei Saturnmonde, weil ein Planet durch seine ihm innewohnenden physischen Eigenschaften statt durch äußerliche Bahneigenschaften definiert werden sollte. Können Sie das näher erklären, Alan?

AS: Es ist ganz einfach. Ob etwas ein Planet ist oder nicht, hat für uns ausschließlich mit seinen Merkmalen und nicht mit seinem Umfeld zu tun. Daher betrachten wir auch große Monde von Planeten als Planeten. Und es gibt Trabanten von Planeten, die schon seit Jahrhunderten als Planeten gelten. Ein paar Google-Suchen werden Ihnen beweisen, dass professionelle Planetologen zum Beispiel auch Titan und Europa als Planeten bezeichnen. Das hört man auch bei wissenschaftlichen Tagungen, weil wir Objekte eben auf diese Art beschreiben. Dazu findet man aus jeder Zeit des 20. und 21. Jahrhunderts Verweise.