Larry Lessig: News Feeds befeuern "die Politik des Hasses"

Für den "Creative Commons"-Initiator Lessig stehen algorithmengesteuerte Nachrichtenströme für den Überwachungskapitalismus. Er fordert mehr "Wiki-Kultur".

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Larry Lessig: News Feeds befeuern "die Politik des Hasses"

(Bild: Render3dts/Shutterstock.com)

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Lawrence Lessig hat News Feeds, wie sie soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter anbieten, scharf als "Sinnbild des datengetriebenen und von undurchsichtigen Algorithmen gesteuerten Überwachungskapitalismus" kritisiert. Um den "ewigen Strom aus Nachrichten" am Laufen zu halten und damit "Anzeigen zu verkaufen", müssten die Plattformbetreiber den Nutzer zunächst gläsern machen, erläuterte der "Creative Commons"-Initiator am Freitag auf der Konferenz "Das ist Netzpolitik" in Berlin. Die gesellschaftlichen Folgen seien verheerend.

News Feeds "erhöhen die Selbstmordrate", "isolieren uns" und "machen uns verletzlich", erklärte der Harvard-Rechtswissenschaftler auf der Tagung zum 15. Geburtstag von Netzpolitik.org. Es gehe alles darum, die Aufmerksamkeit der Mitglieder zu monetarisieren und "die Politik des Hasses" zu befeuern. Das sei wie in einer Bar, in der alles darauf angelegt sei, "gratis" mehr Alkohol zu trinken und die Menschen süchtig zu machen.

In einem solchen Fall würde jeder sagen, dass dies überhaupt nicht gehe, verdeutlichte Lessig. Facebook verführe im übertragenen Sinne ebenfalls ständig zum Trinken. Es gehe auf dem sozialen Netzwerk permanent darum zu polarisieren und zu spalten, was die Demokratie gefährde. Dagegen wäre ein Aufschrei nötig: die wesentliche politische Errungenschaft dürfe nicht geopfert werden, um den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg "noch reicher zu machen".

Vorarbeit geleistet haben laut dem Internet-Aktivisten große US-Fernsehsender wie Fox News. Seit 2001 habe dort der Anteil der "ideologischen Inhalte" immens zugenommen. Verbreitet werde dort eine Politik des Hasses gegen "die andere Seite" wie die Demokraten oder Forscher, den die Nachrichtenmacher wahlweise als "Nazis" oder "Verrückte" darstellten: "So bauen sie Loyalität." Wer Fox News schaue, sehe eine völlig andere Realität als etwa ein Leser der "New York Times". Immer mehr Journalisten verständen sich als Partisanen und hätten großes Interesse daran, die Zuschauer zu polarisieren.

"Das Internet verschlimmert das Ganze nur", hat Lessig festgestellt. Dies liege vor allem an der mit der Kommerzialisierung des Netzes einhergegangen Entscheidung, das Hypermedium werbefinanziert zu halten. Dabei hätten selbst die Google-Gründer in ihrer Frühzeit konstatiert, dass Inhalte im Netz damit "zwangsweise voreingenommen sind gegenüber den Werbetreibenden" und die echten Bedürfnisse der Kunden in den Hintergrund gerieten.

Nun bräuchten die Online-Firmen immer mehr Daten für eine ständig auf die Interessen der Nutzer weiter zugeschnittene Werbung, führte der 58-Jährige aus. Dabei sei zwar nicht alles schlecht, da er persönlich etwa Amazons Buchempfehlungsdienst nach wie vor als nützlich empfinde. Die meisten Auswüchse des datengierigen Online-Marketings seien aber schlecht für die Gesellschaft.

Als Gegenmodell brachte Lessig die "Wiki-Kultur" ins Feld, auf deren Basis Nutzer auf Basis fester und durchsetzbarer Normen unkommerziell gemeinsam Inhalte wie die Wikipedia als einen der gut geschliffenen "Diamanten" des Netzes erstellten. Wer dort Informationen lese, "wird nicht verrückt gemacht", könne sich mehr oder weniger vorurteilsfreies Wissen aneignen und "auf ein Ziel hin ausgerichtet bleiben".

Entscheidend ist es für den Juristen nun, diese offene und kollektive Kultur in die Demokratie zu überführen. So gebe es etwa in der Mongolei zusätzlich zum Parlament Versammlungen von Bürgern, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und in den abwägenden Gesetzgebungsprozess einbezogen würden. Dies führe immer wieder zu sehr konstruktiven Änderungsanträgen, die dann auch ein gewisses Gewicht hätten. "Hier muss die Innovation erfolgen", unterstrich Lessig, der selbst schon einmal US-Präsident per Crowdfunding werden wollte. Nötig seien "eine Million an Experimenten wie dieses", um ein besseres, reflektiertes "Wir" zusätzlich zur repräsentativen Demokratie zu formen. Nur so könnte deren Ideal überleben. Das Portal Democracy R & D etwa fasse erste einschlägige laufende Initiativen zusammen. (bme)