E-Wende in der Autoindustrie: Der große Stellenabbau beginnt

Dem Elektroauto wird in der Automobilindustrie jeder vierte oder fünfte Job zum Opfer fallen. Dennoch ist diese Branche eine mit Zukunft.

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Automobilindustrie: Der große Stellenabbau beginnt

(Bild: Smile Fight/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Kein Tag vergeht zurzeit, an dem nicht eine neue Hiobsbotschaft aus der Automobilindustrie kommt. Aktuell ist es der Abbau von Stellen. Der Hersteller Mercedes und der Zulieferer ZF stehen stellvertretend als Beispiele für die stotternde Branche. Im Daimler-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim werden bald keine Diesel-Motoren mehr gebaut, weil die Nachfrage nach diesen Antrieben stark zurückgeht. Stattdessen werden mehr Benziner montiert. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht, nicht einmal mittelfristig, weil auch Benziner keine Zukunft haben: viele Länder verbieten künftig Benziner und Diesel, Norwegen schon ab 2025.

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Im wichtigsten Absatzmarkt von Daimler, in China, ist für die fossilen Verbrenner 2030 Schluss. Daher ist der Kampf des Betriebsrats von Mercedes nur allzu logisch, künftig Elektromotoren für E-Autos in Untertürkheim zu fertigen. Den Antrieb für das erste elektrische Auto von Daimler, den EQC, baut allerdings ZF komplett. Bestehend aus Elektromotor, Ein-Gang-Getriebe sowie Leistungselektronik inklusive Steuerungssoftware. Dennoch leidet ZF unter dem Mobilitätswandel genauso wie Mercedes: Daimler will seine Personalkosten bis 2022 um 1,4 Milliarden reduzieren, was Stellenabbau etwa im Management heißt. Der Betriebsrat von ZF befürchtet einen Stellenabbau im Getriebewerk in Saarbrücken bis 2026 um knapp 2.000 Beschäftigte.

Beides kommt nicht überraschend. Seit 2014 stagniert die Autoproduktion in Deutschland, seit 2018 sinkt sie. In diesem Jahr werden wohl so wenig Autos gebaut wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Nachfrage nach Autos geht zwar weltweit zurück, doch hierzulande wirkt sich das intensiver aus als in anderen Ländern: Das Auto ist die Schlüsselindustrie Deutschlands. Die Branche hat rund 820.000 Arbeitsplätze. Rechnet man Werkstätten und andere angrenzende Bereiche mit ein, dürften es doppelt so viele sein. Nur wie lange noch und wie steht es um die Automobilbranche als Arbeitgeber?

Nach Auskunft des Verbands der Automobilindustrie verteilen sich die insgesamt etwa 820.000 Beschäftigten auf 480.000 bei den Fahrzeugherstellern, 305.000 bei Zulieferern und 35.000 bei Herstellern von Anhängern und Aufbauten. Das Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach hat eine Studie zur Arbeitsplatzsituation in der Automobilwirtschaft erstellt und geht bis 2030 netto von einem Wegfall von 15 bis 20 Prozent aller Jobs aus, also inklusive der neu entstehenden Arbeitsplätze etwa für die Herstellung von Elektromotoren oder dem Zusammenbauen von Batterien. Das könnten zwischen 120.000 und 160.000 in der Industrie sein.

Für Professor Stefan Bratzel, den Direktor des Centers, findet aktuell die größte Transformation in der Automobilindustrie statt. "Den Wandel hin zur Elektromobilität schafft sie eher, weil das Geschäftsmodell erhalten bleibt und sich lediglich der Antrieb ändert." Schwierig werde es etwa mit der Vernetzung der Fahrzeuge, autonomem Fahren und neuen Dienstleistungen rund um Mobilität wie Sharingangebote. "Damit haben sie keinerlei Erfahrung." Aber gerade in der Dienstleistung und in Softwarelösungen entsteht neue Wertschöpfung und damit Jobs mit Zukunft in und für die Branche.

Das Ifo-Institut hat sich die alte Welt der Verbrenner und seine Produktionsstruktur genau angeschaut und errechnet, dass rund 460.000 Beschäftigte direkt am Verbrenner arbeiten, also in der Herstellung von Komponenten für Motoren und dessen Zusammenbau. 160.000 Jobs hängen indirekt davon ab, etwa in der Fertigung von Getrieben und Kraftstoffen. "Wie viele dieser Stellen verloren gehen, hängt davon ab, wie viele der weltweit künftig nachgefragten Elektroautos in Deutschland gebaut werden. Und wie schnell die Zunahme der Elektromobilität geht", sagt Professor Oliver Falck, Automobilexperte im Ifo-Institut.

Zwei treibende Faktoren sind für die Antworten ausschlaggebend: 1. Das auf Elektromobilität setzende China ist ein wichtiger Absatzmarkt für die deutschen Hersteller. Deshalb ist es wichtig, dort rasch Fuß zu fassen. 2. Ab 2020 gelten strengere CO2-Grenzwerte in Deutschland, die sukzessive bis 2030 verschärft werden. E-Autos gehen bei der Ermittlung des CO2-Ausstoßes der Herstellerflotten mit Null ein. "Deshalb wird und muss es in Deutschland bald eine viel höhere Quote an Elektroautos geben als bislang", sagt Falck.

Fakt ist dennoch: der elektrische Antriebsstrang ist einfacher als der von Verbrennern. Deshalb wird weniger Personal für dessen Herstellung gebraucht und deshalb muss mit den Beschäftigten am Verbrenner etwas geschehen. "Die Demografie hilft, weil Mitarbeiter in Rente gehen. Das Gros wird an Weiterbildung und Umschulung nicht vorbeikommen", meint Falck. Seiner Meinung nach schaffen die großen Hersteller und Zulieferer diesen Strukturwandel. "Schwierig wird es für kleine Betriebe, Mittelständler und solche, die spezialisiert sind auf Teile für den Verbrenner." "Den Wandel meistern wir", ist Falck überzeugt, "aber wir brauchen andere Kompetenzen". Hin zu Elektromobilität, Batteriesteuerung, Elektronik und Daten.

"MINT-Fähigkeiten bleiben für die Branche wichtige Skills und IT wird immer wichtiger", sagt Falck. Was ihn so sicher macht in seinem Glauben: "In den vergangenen 20 Jahren hatten wir etwa 25 Prozent Turbulenz auf dem Arbeitsmarkt. Das heißt: jeder Vierte hat den Beruf gewechselt. Und die Berufe haben sich im Laufe der Jahre stark verändert, wurden modernisiert." Deshalb hätten die Beschäftigten in der Automobilindustrie das Potential, den Wandel zu meistern.

Für Christian Brunkhorst, Experte für die Automobilindustrie bei der IG Metall, verlieren aufgrund des Wandels vom Antrieb auch Hochqualifizierte ihren Job. "In der Entwicklung von Dieselmotoren und deren Aggregaten werden Stellen für Entwickler gestrichen. Ingenieure für Thermodynamik zum Beispiel werden kaum noch gebraucht und können auch nur begrenzt zu Entwicklern für Elektromotoren umgeschult werden." Dafür seien die Disziplinen zu unterschiedlich.

Für Brunkhorst bietet die Automobilindustrie weiterhin Jobs mit sehr guten Perspektiven, weil Autos auch künftig aus Blech sind und ein Fahrwerk haben. "Aber mit großer Wahrscheinlichkeit in 30, 40 Jahren keinen Verbrennungsmotor mehr." Die Gewerkschaft will für die gefährdeten Beschäftigten Zeit gewinnen, damit sie die Unternehmen halten, bis sie umqualifiziert sind. Das könnte mit einer Umverteilung der vorhandenen Arbeit und Arbeitszeitverkürzungen gelingen.

In der neuen Arbeitswelt der Automobilindustrie spielen auch für den Mann von der Gewerkschaft MINT-Berufe eine große Rolle und auch er spricht von "Verschiebungen und Veränderungen in den Qualifikationen hin zur IT und Elektrotechnik". Wie in allen Branchen. (axk)